21. Feb. 2017

„Patenschaften wirken präventiv“

Der Verein „PatInnen für alle“ organisiert Patenschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Aufgrund der positiven Erfahrungen sind Ärzte gefragte Paten. (Medical Tribune 8/2017)

Vereinsobfrau Mag. Erika Kudweis mit ihrem Patenkind Ali.
Vereinsobfrau Mag. Erika Kudweis mit ihrem Patenkind Ali.

Aus der Resilienz-Forschung ist bekannt, dass es für ein Kind einen großen Unterschied macht, ob es eine Vertrauensperson hat oder ob es allein mit seinen Problemen zurechtkommen muss. Ist die Familie nicht mehr am Leben oder räumlich zu weit weg – wie bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen –, so können Paten, die den jungen Menschen ihre Aufmerksamkeit schenken, viel Gutes bewirken. Selbiges gilt für Kinder, die zwar Familie haben, deren Eltern aber so stark mit eigenen Sorgen beschäftigt sind, dass sie die Begleitung ihres Kindes nicht mehr so gut schaffen, wie sie eigentlich möchten.

Sehr gute Erfahrungen hat der im Frühjahr 2016 gegründete gemeinnützige Verein „PatInnen für alle“ bisher mit Patenschaften gemacht, die für Ärztinnen und Ärzte vermittelt wurden. „Dieser Berufsgruppe liegt das menschliche Wohl am Herzen. Sie erkennen den enormen Bedarf zu helfen und können die Folgen einer Vernachlässigung im Gesundheitsbereich gut abschätzen“, erklärt Vereins­obfrau Mag. Erika Kudweis. Hinzu komme, dass sie zusätzlich zu medizinischen Fachkenntnissen auch viel Menschenkenntnis mitbringen, ihre Kontakte nutzen, Verantwortung übernehmen.

Familienähnliche Beziehungen

Kudweis übernahm selbst 2014 die Patenschaft für einen jungen Flüchtling, den damals 17-jährigen Ali aus Afghanistan. Er wohnt mittlerweile in einer WG und konnte – auch durch ihre Mithilfe – eine Schneider-Lehre beginnen. „Man kriegt viel mehr zurück, als man gibt“, hebt die PR-/Kommunikationsexpertin und dreifache Mutter hervor. „Und man kann mit ganz wenig Hilfe ganz viel bewirken.“ 2016 lag der Fokus von „PatInnen für alle“ auf Flüchtlingen zwischen 15 und 17 Jahren. Seit heuer werden Patenschaften auch für bedürftige Kinder im Volksschulalter, unabhängig von der Herkunft, organisiert und begleitet. Vorbilder für die Gründung des Vereins waren das in Österreich älteste Projekt für Patenschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge „Connecting People“ sowie der französische Verein „Parrains Par Mille“ für alle anderen Kinder.

„Beide unserer Zielgruppen sehnen sich nach Aufmerksamkeit“, weiß Kudweis. „Die jungen Flüchtlinge vermissen ihre Familien – ihre Eltern und Geschwister – und sind oft sehr einsam. Wenn Kinder beispielsweise wegen eines schwerkranken Geschwisterkindes oder der Trennung der Eltern zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, wirkt sich das schnell negativ auf Verhalten und Noten in der Schule aus.“ Eine Patenschaft wirke präventiv: Sie könne bereits dann ansetzen, wenn eine schwierige Phase zu erwarten ist oder gerade begonnen hat und noch kein „Schaden“ entstanden ist. Ziel sei, mithilfe affektiver und sozialer Beziehungen familienähnlicher Art, die psychische und gesundheitliche Entwicklung der jungen Menschen zu unterstützen.

Positive Erfahrungen mit Patenschaften von Ärzten gibt es bislang vorrangig mit jungen Flüchtlingen. Kudweis bringt ein Beispiel: Wenn die Jugendlichen den Termin ihrer Einvernahme für das Asylverfahren erfahren und dieser näher rückt, dann macht sich zunehmend Angst breit. Eine Angst, die Schule, Lehrplatzsuche etc. in den Hintergrund drängt. Sowohl eine Krankenschwester als auch eine Ärztin hätten betont, dass sie das von ihren Patienten kennen: Entweder ziehen sie sich in Angst-dominierten Phasen in sich zurück, oder sie können auch aggressiv werden. Beide konnten mit dem Verhalten gut umgehen.

Ärzte verfolgen ihr Ziel hartnäckig

„Prinzipiell ist aufgefallen, dass Ärzte in jedem Bereich hartnäckig ihr Ziel mit den Jugendlichen verfolgen, auch bei Rückschlägen das Ziel nicht aus den Augen verlieren und es so fast immer erreichen. Dies den jungen Menschen vorzuleben ist für deren Entwicklung sicherlich ein wertvoller Beitrag“, ist Kudweis überzeugt und nennt ein zweites Beispiel: Eine Patin beobachtete die latenten Bauchschmerzen ihres Patenkindes und sprach die Betreuungseinrichtung darauf an. Dort hatte man nichts bemerkt. Aus Angst vor einem Arztbesuch sagte der Bursche nichts. Die Ärztin ließ in Absprache mit der Einrichtung die Schmerzen abklären. Es war das ein mühsamer Weg, doch sie blieb hartnäckig dran, bis feststand, dass eine Lebensmittelallergie für die Beschwerden verantwortlich war.

„Die auftretenden gesundheitlichen Probleme sind meist relativ leicht mit hiesigem medizinischen Angebot in den Griff zu bekommen“, hält Kudweis fest. Auch seien die Jugendlichen ja versichert. Was es brauche, sei oft eher das Verständnis für die Notwendigkeit einer medizinischen Abklärung – und dieses könnten Ärzte den Betreuern besonders gut vermitteln, weil sie vom Fach sind. Im medizinischen Bereich spreche auch nichts dagegen, wenn das Patenkind in der eigenen Ordination versorgt wird. Nicht möglich sei hingegen die Vermischung der Rolle von Psychotherapeuten mit der von Paten.

Überschaubarer „Zeitaufwand“

Eine Patenschaft zu übernehmen bedeutet immer, einen jungen Menschen – in Ergänzung zur Familie bzw. zu den Betreuern – zu begleiten und zu unterstützen. „Patenschaften sind in der Kultur Österreichs ja zutiefst eingeprägt“, gibt Kudweis zu bedenken. „Viele von uns haben die Erinnerung an eine Patin oder einen Paten – man denke an Tauf- bzw. Firmpaten, bloß ohne religiösen Hintergrund.“ Patenschaften sind immer freiwillig für beide Seiten und können daher auch beendet werden. Die Paten übernehmen diese Funktion ehrenamtlich.

Als notwendigen „Zeitaufwand“ nennt die Vereinsobfrau zirka einmal pro Woche zwei bis drei Stunden – vor allem in der Anfangsphase, in der die Beziehung aufgebaut wird. „Gerade bei minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen handelt es sich um Jugendliche, die – sobald eine Beziehung des Vertrauens da ist – auch gar kein Problem haben, wenn es Phasen gibt, in denen sie die Paten nicht sehen können, etwa wegen Auslandsaufenthalten oder Kongressen“, betont die Vereinsobfrau. Meist blieben ja Telefon und Internet zur Kommunikation zur Verfügung. Verpflichtend sei ein wertschätzender und einfühlsamer Umgang mit dem Patenkind.

 

Werden Sie Pate!

Derzeit warten Kinder und Jugendliche in Gablitz, Herzogenburg, Purkersdorf und Wien auf Paten.
Wer für den nächsten Infoabend eine Einladung erhalten möchte, schickt eine E-Mail an: kudweis@patinnenfueralle.at
Als Vorbereitung auf Patenschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind vier Ausbildungsmodule (je ein Abend à drei Stunden) zu absolvieren:

  1. Asylrecht
  2. Flucht und Trauma
  3. Die Betreuungseinrichtung stellt sich vor
  4. Chancen und Grenzen einer Patenschaft

Bei Patenschaften für Volksschulkinder ist vorgesehen:

  1. ein Vorbereitungsgespräch mit Vertretern des Vereins und
  2. ein Gespräch mit einer Psychologin/einem Psychologen.

Zukünftige Paten verfassen einen Vorstellungsbrief an das Patenkind. Das „Matchen“ erfolgt dann durch den Verein in Zusammenarbeit mit der Familie bzw. der Betreuungseinrichtung.
www.patinnenfueralle.at

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune