15. Okt. 2020COVID-19 in Schulen

AKH-Ärztin: „Kinder wollen Maske statt Lockdown“

Es brauche mehr Schutzmaßnahmen, damit die Bildungseinrichtungen offen bleiben können, sagt Univ.-Prof. Dr. Susanne Greber-Platzer, Leiterin der Kinderklinik der MedUni Wien, nach der ersten Schulschließung in Österreich wegen gehäufter COVID-19-Fälle. Sie nennt – mit Verweis auf die neuen RKI-Empfehlungen – etwa das Tragen von Mund-Nasen-Schutz (MNS) auch im Klassenzimmer. Das sei weniger belastend für die Kinder als ein neuerlicher Lockdown, weiß die Pädiaterin.

Schüler einer Mathematikstunde während Covid-19
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Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie musste in Österreich wegen eines Clusters eine ganze Schule geschlossen werden: Nach anfänglichen 18 Corona-Infektionen bei Lehrern (zehn von 25) und Schülern (acht von 235) – weitere Testergebnisse waren noch ausständig – wurde der Schulbetrieb an der Mittelschule samt angeschlossenem Polytechnikum im oberösterreichischen Großraming, Bezirk Steyr-Land, am Montag, 12.10.2020, auf Distance Learning umgestellt, wie die „OÖNachrichten“ berichteten.

Salzburg: Kuchl in Quarantäne, Oberstufe in Home-Schooling

Drei Tage später, am 15.10.2020, wurde auch bekannt, dass – neben der Quarantäne für Kuchl in Salzburg – alle Oberstufen der Schulen (ab inklusive der 9. Schulstufe) außer im Pinzgau und Lungau ab nächster Woche auf Home-Schooling umstellen. Der Salzburger Tennengau hatte zuletzt eine 7-Tages-Inzidenz von 284,4 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner und ist damit bundesweiter Spitzenreiter. Zum Vergleich: Salzburg 93,1, Österreich 84,4 und Deutschland 29,6. Noch könnten in „so gut wie allen Landesteilen“ COVID-19-Patienten aufgenommen und behandelt werden, berichtet Gesundheitsreferent Landeshauptmann-Stellvertreter Dr. Christian Stöckl, „aber wenn es mit den Infektionszahlen so exponentiell weitergeht, sind wir innerhalb von zehn bis zwölf Tagen an der Kapazitätsgrenze – das müssen wir verhindern“.

Schon länger häufen sich Berichte über Fälle in Schulen bzw. mögliche Schul-Cluster. Immer mehr Eltern und Schüler sind verunsichert und kritisieren das Corona-Management in Schulen, das noch dazu von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ausfällt. Die einen wollen daher jetzt schon Homeschooling, zumindest für die Oberstufe, die anderen sehnen sich nach mehr Schutzmaßnahmen in den offenen Schulen.

Doch sind die Schüler und ihre Lehrer aus ärztlicher Sicht überhaupt ausreichend vor einer möglichen Ansteckung mit SARS-CoV-2 geschützt? Nein, lautet die deutliche Antwort von Univ.-Prof. Dr. Susanne Greber-Platzer, MBA, Leiterin der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Medizinische Universität Wien, auf eine medonline-Anfrage nach der ersten Schulschließung in Oberösterreich. Sie spricht sich jedoch grundsätzlich für offene Schulen aus, denn Kinder wollen lieber „Maske statt Lockdown“.

MNS „möglichst durchgehend“

Der Grund: „Für unsere Kinder und Jugendlichen waren die Isolation, das Fehlen von sozialen Kontakten und dem täglichen Lernen in den Bildungseinrichtungen während des Lockdowns so belastend, dass unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen möglichst die Kindergärten und Schulen offen bleiben sollten“, sagt Greber-Platzer. Schutzmaßnahmen seien u.a. „möglichst durchgehendes Tragen“ von MNS, Händehygiene, Abstand bei Aktivitäten im Freien.

Damit die Bildungseinrichtungen offen bleiben können, gehöre aber auch die Empfehlung, „dass ein Kind mit direktem Kontakt zu einer COVID-19-positiven Person in Quarantäne daheim bleibt, ein krankes Kind erst nach 48 Stunden Symptomfreiheit – außer leichtem Schnupfen – wieder in den Kindergarten oder in die Schule geht und in der Freizeit auf die gesetzlichen Regeln geachtet wird“. Greber-Platzer verweist auch auf die am 12.10.2020 vom deutschen Robert-Koch-Institut (RKI) herausgegebenen „Präventionsmaßnahmen in Schulen während der COVID-19-Pandemie“ (PDF als Download).

Darin hält zwar das RKI – unter Verweis auf einen nicht rezenten systematischen Review eines schwedischen Arztes (Jonas F. Ludvigsson, Mai 2020) – fest, dass Kinder und jüngere Jugendliche zwar nicht Treiber der Pandemie sind, empfiehlt aber umfangreiche SARS-CoV-2-Präventionsmaßnahmen für den Präsenzunterricht. Dazu zählen Abstand halten auch im Unterricht, Hygieneregeln befolgen und das Tragen von Alltagsmasken bei einem Mindestabstand von < 1,5 m.

RKI empfiehlt MNS im Klassenzimmer je nach Inzidenz

Zusätzlich wird ab einer 7-Tages-Inzidenz von 35/100.000 ein MNS im Klassenzimmer für ältere Schüler empfohlen, ab einer Inzidenz von 50/100.000 auch für jüngere (Grundschule). Zudem wird ab dieser Grenze auch die Verkleinerung der Klassen (durch Teilung oder Wechselunterricht) empfohlen.

Was die rinnende Nase anlangt, ist jedoch das RKI strenger als Greber-Platzer: Da laut der deutschen Behörde nicht alle Personen mit jeglicher respiratorischer Symptomatik getestet werden können, und auch andere Erreger zu Übertragungen (und somit Ausbruchssituationen) führen können, die mit COVID-19-Ausbrüchen verwechselt werden können (z.B. Influenza), sollten Schüler oder pädagogisches Personal bei „Erkrankungen mit jeglicher respiratorischer Symptomatik“, soweit umsetzbar und insbesondere ab einer 7-Tages-Inzidenz von 35/100.000, für mindestens fünf Tage zuhause bleiben und die Schule erst wieder besuchen, wenn sie über 48 Stunden symptomfrei waren.

Kinderklinik: Infizierte Kinder meist asymptomatisch

Die Kinderklinik am AKH Wien behandelt schwerpunktmäßig Kinder mit chronischen Erkrankungen und akut schwerer Erkrankung. Dementsprechend würden auch regelmäßige Kontrollen, Behandlungen und Untersuchungen an der Klinik erfolgen, informiert Greber-Platzer auf Nachfrage, ob auch an/mit/nach COVID-erkrankte Kinder und Jugendliche bzw. junge Erwachsene seit dem Sommer an der Kinderklinik waren bzw. sind. „Vereinzelt waren diese Patientinnen und Patienten positiv, wobei die COVID-Testung im Rahmen der verpflichtenden Durchführung vor einer Aufnahme an der Klinik erfolgte bzw. weil ein Elternteil positiv war“, berichtet Greber-Platzer, „dies waren Kinder jeder Altersstufe“. Sie hätten sich jeweils über die Familie infiziert, „hatten aber selbst praktisch keine Symptome mit Ausnahme einer jugendlichen Patientin – ohne chronische Erkrankung – der Notfallambulanz, welche Fieber und abdominelle Symptome aufwies“.

Stoffmasken täglich waschen

Als MNS empfiehlt die Kinderärztin Einmal-MNS (z.B. OP-Masken), da Stoffmasken die Feuchtigkeit länger halten. Werden Stoffmasken verwendet, sind diese täglich bei 60 Grad zu waschen. Und es bestehe natürlich keine Gefahr, dass CO2 nicht entweichen könne, fügt sie wegen nach wie vor kursierender falscher Informationen von Maskenskeptikern hinzu.

Was neuere Studien zur Rolle der Kinder in der Pandemie, daraus mögliche resultierende Schutzmaßnahmen gemäß den neuen RKI-Empfehlungen, Cluster-Analysen und eine mögliche Verbreitung von jüngeren auf ältere Personen auch außerhalb von Altenheimen betrifft, hat medonline-Anfragen an die AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) und an das Sozial- und Gesundheitsministerium (BMSGPK) gestellt. Die Antworten des BMSGPK lesen Sie hier, die Anfrage an die AGES ist noch in Bearbeitung:

„Ausbrüche in Schulen in zunehmendem Ausmaß“

Medonline stellte drei Fragen an das Sozial- und Gesundheitsministerium (BMSGPK):

1. Wie bewerten Sie neuere Studien, z.B. jene aus Polen zu einem Kindergarten-Cluster1, v.a. in Bezug auf die derzeitigen Testkriterien bei Verdachtsfällen?

Ausbrüche in Schulen werden in Österreich nach den Sommerferien in zunehmendem Ausmaß gemeldet. Auch aus Kindergärten werden immer wieder Fälle berichtet, wobei sowohl Personal als auch Kinder betroffen sind. Dabei ist häufig zu beobachten, dass der Eintrag in Schulen und Kindergärten über Erwachsene passiert.

In welchem Ausmaß die Übertragung innerhalb von Schulen und von den Schulen in Haushalte erfolgt, ist derzeit noch unklar. Die derzeitige Datenlage spricht allerdings nach wie vor dafür, dass Kinder nicht die Treiber der Pandemie sind. Darum hat das derzeit empfohlene Vorgehen hinsichtlich Testung von Kindern nach wie vor Gültigkeit. Aktuelle Studienlage und neue Erkenntnisse werden seitens des BMSGPK beobachtet, evaluiert und finden in den Empfehlungen entsprechende Berücksichtigung.

2. Was halten Sie von den neuen RKI-Empfehlungen, wird sich Österreich hier an Deutschland orientieren?

Derzeit arbeitet das BMSGPK mit dem BMBWF (Bildungsministerium) an Leitlinien zu Hygiene und Prävention, welche generelle Präventionsmaßnahmen darstellen, Zuständigkeiten beschreiben und das Vorgehen bei Auftreten von Verdachts- und Erkrankungsfällen festlegen soll. Unabhängig von der vom BMSGPK veröffentlichten Corona-Ampel mit wöchentlichen Schaltungen und Maßnahmen auf regionaler Ebene je Ampelfarbe hat das BMBWF eine Corona-Ampel für Schulen entwickelt, welche je nach Ampelfarbe konkrete Maßnahmen in Schulen vorsieht.

3. Was macht das BMSGPK, um die mögliche Verbreitung aus Schul- und Haushaltsclustern (Letztere lt. AGES-Analysen bisher die häufigsten) von jüngeren Personen auf ältere Personen zu verhindern – in Altenheimen als auch im privaten Wohnbereich?

Die Bevölkerung wird dazu aufgerufen verstärkt Achtsamkeit walten zu lassen, die allgemeinen Hygienemaßnahmen einzuhalten, bei entsprechender Symptomatik zu Hause zu bleiben, auf Feierlichkeiten im großen Rahmen zu verzichten und Abstandsregeln einzuhalten. Umsichtiges Handeln jeder/jedes Einzelnen ist jetzt mehr denn je gefragt um ein weiteres Steigen der Infektionszahlen hintanzuhalten und vulnerable Personen zu schützen. Hinsichtlich Maßnahmensetzung im Bereich der Schulen und Heime steht das BMSGPK sowohl auf politischer als auch auf Verwaltungsebene in regelmäßigem engen Austausch mit der Landesebene, welche mit der Setzung von Maßnahmen u.a. in Landespflegeheimen betraut ist, und dem Bildungsressort betreffend Schulen. Die Corona-Kommission entscheidet wöchentlich über die Ampelschaltung und damit einhergehend, ob Maßnahmen auf nationaler oder regionaler Ebene nachgeschärft werden müssen.

Susanne Greber-Platzer

1 https://wwwnc.cdc.gov/eid/article/27/1/20-3849_article