13. Juli 2020Hypophysenadenom

Gutartig, aber unartig

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Etwa jeder siebte Hirntumor ist ein Hypophysenadenom. Dieses gilt zwar als gutartig, liegt aber an einer anatomisch sensiblen Stelle, weshalb die Symptome diffus und mitunter sehr stark ausfallen. Keine leichte Aufgabe für die Diagnostik. (Medical Tribune 27-28/20)

Anatomisch finden sich Hypophysenadenome direkt unterhalb des Chiasma opticum. Sie grenzen auf der einen Seite an die Hirnnerven III, IV und VI sowie den ersten und zweiten Trigeminusast. Auf der anderen Seite an die großen Gefäßstrukturen A. carotis interna und Sinus cavernosus. Komprimieren die Adenome beispielsweise die Sehnervenkreuzung, klagt ein Patient meist über eine immer schlechter werdende Sehkraft und Gesichtsfeldeinschränkungen (bitemporale Hemianopsie!). Unspezifische Kopfschmerzen können dazukommen.

Eine radiologische Abklärung mittels MRT ist indiziert, wenn endokrinologische Symptome hinzukommen, schreibt Prof. Dr. Shlomo Melmed von der Abteilung für Innere Medizin am Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles. Je nachdem, welche Zellen der Hypophyse proliferieren, fallen die endokrinologischen Befunde unterschiedlich aus: Bis zu 60 % der endokrin aktiven Hypophysentumoren gehen auf Prolaktinome zurück. Bei Frauen kommt es vor allem zu einer Oligo- bzw. Amenorrhö, Männer leiden verstärkt unter einer geringen Libido oder Impotenz. Eine Galaktorrhö kann beide Geschlechter betreffen.

Zahnschmerzen und Schnarchen

Im Serum ist die Prolaktinkonzentration teils massiv mit 150 ng/ml erhöht, Werte über 250 ng/ml zeigen ein Makroprolaktinom an. Oft korrelieren die Serumwerte mit der Größe des Adenoms. Tumoren der somatotropen Zellen rufen eine Akromegalie hervor. Bevor die Diagnose steht, haben Betroffene meist eine Odyssee durch die verschiedensten Disziplinen hinter sich. So kann das Übermaß an Somatotropin und IGF-1* z.B. zu einem vergrößerten Kiefer führen, der wiederum Zahnschmerzen begünstigt. Bei einer unkontrollierten Akromegalie sind exzessives Schnarchen und Schlafapnoe möglich. Hypertonie und Arrhythmien lassen manchen Kollegen an atherosklerotische Gefäßveränderungen denken und die Insulinresistenz wird einem Diabetes zugeschrieben.

Der klassische „Riesenwuchs“ tritt nur bei Kindern auf, solange die Epiphysenfugen noch nicht geschlossen sind, so der Autor. Ein oraler Glukosetoleranztest (75 g Glukose) mit Blutentnahmen nach 0, 30 und 60 min sichert die Diagnose. Pathologisch ist ein erhöhter Mindestwert des IGF-1 von mehr als 0,4 μg/l. Kortikotropin-produzierende Raumforderungen führen zu den typischen „Cushing-Symptomen“ wie Vollmondgesicht, Striae und zentrale Adipositas. Bei jungen Frauen sind Osteoporose und Zyklusstörungen nicht selten. Hinzu können proximaler Muskelschwund, Akne, Hirsutismus und psychiatrische Erkrankungen wie Psychosen oder Depressionen kommen. Melmed rät dazu, die Labordiagnose mit einem Dexamethasontest zu sichern. Sinkt die Cortisolkonzentration im Plasma nach der abendlichen Gabe von 1 mg Dexamethason am nächsten Morgen nicht unter 1,8 μg/dl, wird ein Befund sehr wahrscheinlich. Alternativ lassen sich erhöhte Cortisolspiegel im 24-Stunden-Sammelurin nachweisen.

Da der Tumor aber so klein sein kann, dass er in der MRT nicht auffällt, braucht es im Zweifel Spezialuntersuchungen, etwa eine Blutentnahme aus dem Sinus petrosus inferior. Im Vergleich zu den bereits genannten stellen thyreotropinbildende Adenome eine Rarität dar. Typischerweise finden sich erhöhte, nicht-supprimierte TSH-Konzentrationen im Serum. Die Werte der freien Schilddrüsenhormone fallen normal oder leicht erhöht aus. Die Behandlung von Hypophysenadenomen richtet sich v.a. nach deren Größe und den vorliegenden Symptomen, erklärt der Autor. Liegt ein asymptomatischer Zufallsbefund vor, kann bei Mikroadenomen (< 10 mm) zugewartet werden. Nach ein, zwei und fünf Jahren sollte man den Befund kontrollieren. Kommen Symptome hinzu, braucht es eine Neueinschätzung. Endokrin inaktive Makroadenome (≥ 10 mm) lassen sich transsphenoidal resezieren.

Behandlung zunächst mit Medikamenten

Bei Prolaktinomen steht die medikamentöse Therapie mit dem Dopaminagonisten Cabergolin an erster Stelle. Als Behandlungsoptionen der Akromegalie benennt Melmed Somatostatinanaloga wie Octreotid oder Lanreotid. Alternativ kommen Antagonisten am Wachstumshormonrezeptor infrage, z.B. Pegvisomant. Bilden sich die Beschwerden nicht ausreichend zurück, muss man eine Operation oder Strahlentherapie erwägen. Beim Cushing gilt die selektive transsphenoidale Adenomektomie als Mittel der Wahl. Versagt diese, braucht es radikalere Methoden, wie die Resektion des gesamten Adenoms oder eine Radiatio – allerdings mit höheren Komplikationsraten.

* Insulin-like growth factor 1

Referenz:
Melmed S. N Engl J Med 2020; 382:937–950; doi: 10.1056/NEJMra1810772

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune