Migräne: Die neuen CGRP-Antikörper

Antikörper gegen die Zellbewegung des Virus
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Nachdem es jahrzehntelang in der pharmakologischen Behandlung von Migräneattacken kaum Fortschritte gab, läutet die Substanzklasse der CGRP-Antikörper eine neue Ära der Therapie ein. (CliniCum neuropsy 3/19)

Epidemiologisch ein Schwergewicht war die Migräne lange Zeit ein Stiefkind der Pharmaforschung. Die herkömmlichen Therapieansätze zur Behandlung von akuten Attacken und zur Pharmakoprophylaxe der Migräne haben eines gemeinsam: ihr aus medizinischer Sicht beinahe schon biblisches Alter.

Bisherige Migränetherapie

Wöber: „Die Wirksamkeit tritt schon ab der ersten Behandlungswoche ein!“

Eine Säule der Akuttherapie der Migräne sind Analgetika und NSAR. „Mittel der ersten Wahl sind Acetylsalicylsäure, Ibuprofen und Diclofenac“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Christian Wöber, Spezialbereich Kopfschmerz, Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Wien. Wenn damit nicht das Auslangen gefunden wird, sind auch Paracetamol, Naproxen oder Metamizol einen Versuch wert. Ebenfalls schon seit Jahrzehnten für die Akuttherapie verfügbar sind Triptane. Daten des Hauptverbandes zeigen allerdings, dass in Österreich nur sechs Prozent der Migränepatienten ein Triptan verordnet bekommen. Meist wird bei drei oder mehr beeinträchtigenden Attacken pro Monat begonnen, auch über eine Migräneprophylaxe nachzudenken, deren Ziel es ist, die Häufigkeit von Attacken um zumindest 50 Prozent zu reduzieren.

Neben nicht pharmakologischen Maßnahmen (Lebensstilmodifikation, Ausdauersport, Beachtung von Triggerfaktoren, Entspannungstechniken, …) kommen hier Betablocker, Kalziumkanalblocker, Antiepileptika und Antidepressiva zum Einsatz. Ergänzt wird das Prophylaxe-Armamentarium durch pflanzliche Arzneimittel (z.B. Mutterkraut), Nahrungsergänzungsmittel und Onabotulinumtoxin A bei chronischer Migräne. Die Vermutung, dass CGRP (Calcitonin-Gene-Related Peptide) in der Pathophysiologie der Migräne eine Rolle spielen könnte, wurde erstmals bereits vor 30 Jahren geäußert. Das Polypeptid aus 37 Aminosäuren kommt im Körper in zwei Varianten vor: Während β-CGRP vor allem im Nervengeflecht des Darms zu finden ist, kann α-CGRP ubiquitär im ZNS, aber auch in den Nervenenden des peripheren Nervensystems, in der glatten Muskulatur von Arterien und in verschiedenen Organen nachgewiesen werden.

CGRP ist ein äußerst potenter Vasodilatator und wirkt positiv inotrop. Zudem weiß man, dass CGRP beim Herzinfarkt ausgeschüttet wird, Vasospasmen bei Subarachnoidalblutungen hemmt und eine Rolle bei der Übertragung von Sinnesreizen sowie in der Wundheilung spielt. Das Rationale für den Einsatz von CGRP-Antikörpern bei der Migräne war die maßgebliche Rolle, die CGRP bei der neurogenen Inflammation, beim Blutfluss in den Arteriolen und bei der Schmerzleitung im trigeminalen System spielt. Während bei Migräneattacken CGRP in der Vena jugularis externa deutlich ansteigt, sinkt die CGRP-Konzentration nach erfolgreicher Behandlung einer Migräneattacke mit Triptanen. Bei Menschen, die eine Migräne haben, ist es auch möglich, durch i.v.-Verabreichung von CGRP eine Attacke auszulösen.

Rascher Wirkungseintritt

„Die Unterschiede zwischen den einzelnen monoklonalen Antikörpern gegen CGRP selbst oder den CGRP-Rezeptor sind nicht allzu groß“, fasst Wöber zusammen. Mit den getesteten Substanzen konnte sowohl bei episodischer als auch bei chronischer Migräne eine Reduktion der Migränetage, der Tage mit Akutmedikation und eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden. Ein wichtiger Aspekt: „Die Wirksamkeit tritt schon ab der ersten Behandlungswoche ein!“ Open-label-Studien zeigen, dass die Wirkung zumindest für ein Jahr anhält. In den bisherigen Studien waren die Substanzen auch sehr gut verträglich: Die Nebenwirkungen waren vergleichbar mit Placebo. Dennoch rät Wöber aufgrund der physiologischen Wirkungen von CGRP bei Patienten mit manifesten Gefäßerkrankungen, Myokardinfarkt oder SAB bei bestimmten Risikokonstellationen zur Vorsicht, ebenso bei Schwangerschaft und Kinderwunsch, Störungen der Blut-Hirn-Schranke, Patienten mit immunsuppressiver Therapie oder schweren Infekten und bei Ulcera im Gastrointestinaltrakt oder entzündlichen Darmerkrankungen.

„Neue Entwicklungen bei primären Kopfschmerzen“, 16. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN), Eisenstadt, 22.3.19

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum neuropsy