15. Mai 2019

Mein Leben in Plastik

Gerade bin ich mit dem letzten Patienten fertig geworden. Bevor wir uns aufs Kontrollieren der Tageslisten, Lesen der Befunde und sonstige Nachbearbeitungen stürzen, führen wir noch ein paar hirnlose Arbeiten aus, um den Kopf wieder frei zu kriegen. Post holen, Handtuchspender nachfüllen etc.

H wie Hygiene

Die Untersuchungsliege in meinem Sprechzimmer braucht eine neue Papierrolle. Also hole ich eine aus dem Karton. Ein sauberer Karton mit neun Rollen. Jede davon extra in Plastik verpackt. Ist angeblich aus hygienetechnischen Gründen notwendig. Echt jetzt? Daneben holt die beste aller Assistentinnen Papierhandtücher aus einem ebenso sauberen Karton um die Spender in den Toiletten nachzufüllen. Auch da ist jedes Paket Handtücher extra in dickes Plastik gehüllt. Und auch da will man uns weismachen, dass das wirklich und wahrhaftig nötig ist, damit wir und unsere Patienten unsere Pfoten auch ganz sicher sauber bekommen. Wenn ich manchmal so mitkriege, wie sich die Leute ihre Hände waschen, dann denke ich dass das Abtrocknen ihr geringstes Hygieneproblem ist. Die beste aller Assistentinnen kommt mit einem dicken Stapel Post zurück. Dabei bekommen wir eh keine Werbung und keine Sendungen ohne persönliche Anschrift.

Mal sehen: Zwei oder drei Befunde sind dabei, eine Einladung zur Fortbildung, ein Schreiben der Bank und der Rest sind Zeitschriften und Werbung. In Plastik eingepackte Kataloge für Ordinationsbedarf. Wozu? Zeitschriften ebenfalls in Plastik gehüllt und meine persönlichen Lieblinge: ein einzelnes dickes Papier in einer Plastikhülle. Auf jeden Fall stellen diese Firmen damit sicher, dass ich garantiert nie eines ihrer Produkte verwenden werde. Im heimischen Postkasten ist es nicht viel besser. Zwei Hochglanz-Modemagazine eines bekannten Grazer Großkaufhauses in Plastikhülle. Wir haben eine Partnercard. Also wenn schon, dann hätte eines auch gelangt. Zwei Menschen, die sich eine Karte und eine Adresse teilen, können wohl auch zwei Nasen in dieselbe Zeitung stecken. Wenn sie diese überhaupt sehen wollen.

Meine Einkaufstour

Der Göttergatte hält gerade ein ganztägiges Seminar im LKH. Also bin heute ich diejenige, die mehr Zeit hat und deshalb den Wocheneinkauf erledigen darf. Normalerweise macht er das immer, da er viel besser qualifiziert ist dafür. Groß und stark zum Schleppen schwerer Kisten und mit Geduld und Freundlichkeit ausgestattet beim Warten an der Kasse. Außerdem möchte er nicht jeden gleich schütteln, der Trinkwasser in Plastikflaschen kauft, obwohl daheim bestes Trinkwasser aus dem Hahn sprudelt. Deswegen geht er übrigens normalerweise mit dem Müll. Weil er die Nachbarn immer noch nett findet, auch wenn er auf besagte Plastikflaschen zusammen mit Blechdosen im Biomüll trifft.

Mein erster Besuch gilt dem Obst und Gemüse. Keine Zeit morgen für den Bauernmarkt. Also versuche ich wenigstens, möglichst lokale Produkte im Supermarkt zu finden, was einem bei näherem Hinsehen auch gelingt. Nur: Warum müssen die Salatherzen in einer Hartplastikschale und danach noch in einer Plastikhülle untergebracht werden? Irgendwann hab ich mein Grünzeug zusammen und will ein bisschen Magerschinken. Die freundliche Verkäuferin produziert einen heftigen Niesanfall. Mit beiden Händen verhindert sie, das alle Umstehenden eine Dusche erfahren. Dann greift sie zu meinem Schinken.

„Äh, Handschuhe?“, frage ich. Bei aller Liebe zur Müllvermeidung. Man kann auch am falschen Platz sparen! „Nein“, antwortet sie fröhlich. „Wir hatten eine Schulung und da hat man uns gesagt, es ist viel hygienischer ohne.“ „Da haben Sie was falsch verstanden. Das gilt nur, wenn man die Handschuhe nicht wechselt und sich nicht zwischendurch mal die Hände reinigt. Dann ist der bakterielle Graus, der darunter wächst wirklich schlimmer.“

Sie glaubt mir das nicht, bietet mir aber an, für mich Handschuhe anzuziehen. „Was macht das für einen Unterschied, wenn Sie den Schinken schon dreißig Mal angegriffen haben, jetzt beim einunddreißigsten Mal Handschuhe zu nehmen?“ Im Sinne der Müllvermeidung lasse ich sie ohne Handschuhe werkeln. Dafür will sie mir jetzt zwischen die Schinkenblätter Plastikblättchen legen. Ja, geht’s noch? Rettet den Hausverstand! Ich ziehe weiter zu den nächsten Regalen. Da stelle ich dann fest, dass meine Lieblingspackerlsuppe (ja, sowas braucht man an Tagen, wenn man nur eine halbe Stunde Mittagspause hat, nicht selber kochen kann und was Warmes braucht) Palmöl enthält. Weil wir hier in Europa ja weder Oliven noch Sonnenblumen noch sonst irgendwas haben. Wozu brauchen Kartoffeln Palmöl?

Und noch mehr Plastik

Nach zwanzig Minuten bin ich raus aus dem Supermarkt und heilfroh darüber. Daheim öffne ich eine Pralinenschachtel, die ich heute von einer Patientin bekommen habe. Ich brauche Trost. Aber: Außenrum Plastik. Dann ein Karton. Dann noch mal Plastikauflage im Karton, darunter Papier. Dann endlich: Neun wundervolle Pralinen in einer Schale aus Hartplastik. Da bin ich ja beruhigt, dass man jetzt aus umwelttechnischen Gründen kein Plastiksackerl mehr an der Kasse bekommt!

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune