
Kardiovaskuläre Risikoreduktion bei Diabetes
KONGRESS – Seit der EMPA-REG-OUTCOME- und der LEADER-Studie haben sich die Anforderungen an die Diabetestherapie geändert: Erstmals stehen Substanzen zur Verfügung, mit denen man nicht nur den Zucker senken, sondern auch das kardiovaskuläre Restrisiko verringern kann. (Medical Tribune 51-52/17)
Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die häufigste Todesursache bei Diabetes. „Zwei Drittel der Diabetiker sterben an koronarer Herzerkrankung, Herzinsuffizienz oder Schlaganfall“, betont Univ.-Prof. Dr. Heinz Drexel, Geschäftsführer des Forschungszentrums VIVIT, Feldkirch. Diabetes erhöht das Risiko für eine koronare Herzerkrankung auf das Doppelte. Noch stärker steigt die Wahrscheinlichkeit, auch eine Herzinsuffizienz zu erleiden. Wie der Kardiologe aufzeigt, hat das für die Betroffenen enorme Folgen: „Im Vergleich zu Gesunden haben 60-jährige Diabetiker eine um sechs Jahre geringere Lebenserwartung. Bei Diabetikern mit Infarkt oder Schlaganfall sind es sogar zwölf Jahre!“
Die gute Nachricht: Es gibt heute effektive Therapien, mit denen das kardiovaskuläre Risiko von Diabetikern gesenkt werden kann. Eine der bestuntersuchten Substanzgruppen sind die Statine: In einer Metaanalyse aus 14 randomisierten Statinstudien wurden im Jahr 2008 auch die Daten von mehr als 18.000 Diabetikern ausgewertet. Das Ergebnis: Ähnlich wie bei Nicht-Diabetikern konnte durch eine LDL-Cholesterin-Senkung um 40 mg/dl eine 20%ige Reduktion des Risikos kardiovaskulärer Ereignisse erreicht werden. „Umgekehrt heißt das aber auch, dass wir trotz bester kardiovaskulärer Standardtherapie noch ein Restrisiko von 80 % haben“, erklärt Drexel.
Glukosesenkung ist wichtig!
Reduziert auch die reine Senkung der Glukose die Morbidität und Mortalität? Ein gutes Modell zur Beantwortung dieser Frage ist der Typ-1-Diabetes. In der DCCT-Studie wurde untersucht, ob eine bessere glykämische Kontrolle von Typ-1-Diabetikern langfristig von Vorteil ist. Nach zehn Jahren hatten Patienten, die eine intensive Insulintherapie erhalten hatten, zwar signifikant weniger mikroangiopathische Folgeschäden, die Mortalität war in beiden Behandlungsarmen jedoch gleich. Erst in der Nachfolgeuntersuchung EDIC stellte sich heraus, dass die reine Blutzuckersenkung langfristig auch die Sterblichkeit reduziert. „Wie wir auch von der Nachbeobachtung der UKPDS wissen, müssen wir darauf aber sehr lange warten“, merkt Dr. Helmut Brath, Leiter der Diabetesambulanz im Gesundheitszentrum Wien Süd, an.
Neue Antidiabetika
Seit zwei Jahren weiß man, dass es nicht egal ist, mit welchem Medikament man den Zucker senkt. Die EMPA- REG OUTCOME-Studie zeigte, dass manche Substanzen offenbar mehr können: Zur großen Überraschung vieler Experten konnte bei Diabetikern mit bestehender Herz-Kreislauf-Erkrankung durch Empagliflozin, das zusätzlich zur besten derzeitigen Diabetestherapie verabreicht wurde, nicht nur der primäre Endpunkt (3-Punkt-MACE) um 14 % verringert werden, sondern auch der kardiovaskuläre Tod (- 38 %) und die Gesamtmortalität (- 32 %). Im Vorjahr legte die LEADER-Studie nach: Auch mit Liraglutid lässt sich bei Typ-2-Diabetikern mit hohem kardiovaskulären Risiko eine vergleichbare Risikoreduktion für den primären kombinierten Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher Myokardinfarkt oder nicht-tödlicher Schlaganfall) erreichen. Kardiovaskuläre Todesfälle und die Gesamtmortalität konnten mit dem GLP-1-Rezeptoragonisten ebenfalls signifikant reduziert werden.
Wann welche Substanz?
Welche Patienten sollten nun mit den neuen, auch kardiovaskulär wirksamen Antidiabetika behandelt werden? „In EMPA-REG OUTCOME und LEADER waren nur kardiovaskulär vorerkrankte Diabetiker eingeschlossen. Wenn nicht wirklich Kontraindikationen vorhanden sind, sollten diese Patienten aus meiner Sicht zwingend eine der beiden Substanzen erhalten“, betont Brath. „Nach heutigem Wissen spricht aber nichts dagegen, auch andere Diabetiker mit den neuen Medikamenten zu behandeln.“ Der Diabetologe verweist auf Registerdaten von SGLT2-Hemmern, die nahelegen, dass auch Menschen ohne manifeste kardiovaskuläre Erkrankung in ähnlichem Ausmaß von der Therapie profitieren. Bei der Entscheidung zwischen Empagliflozin und Liraglutid müssen Unterschiede in der Wirkungsweise, im Nebenwirkungsprofil, der Art der Applikation und der Erstattung berücksichtigt werden. „Wenn ich ein sehr hohes HbA1c und schon einen Infarkt hinter mir hätte, würde ich persönlich zu Liraglutid greifen“, so Drexel.
„Wäre ich eher herzinsuffizient und mein HbA1c-Wert nicht so hoch, würde ich Empagliflozin bevorzugen.“ Brath erläutert, wer aus seiner Sicht keinen SGLT2-Hemmer erhalten sollte: „Für Patienten, die zu genitalen Infektionen neigen oder einen Insulinmangel haben, ist das keine geeignete Therapie.“ Empagliflozin sei auch kein ‚Antidenkpräparat‘: „Wenn wir keine suffiziente Aufklärung über die potenziellen Nebenwirkungen machen können, sollten wir diese Substanz nicht geben. Das gilt zum Beispiel bei Sprachbarrieren oder kognitiven Einschränkungen im höheren Alter.“ Dass Liraglutid subkutan verabreicht werden muss, ist für beide Experten kein großer Nachteil. Dazu Brath: „Wenn jemand unter keinen Umständen spritzen will, dann geht das natürlich nicht. In den meisten Fällen ist das aber kein Problem.“ Wichtig sei, den Patienten klarzumachen, dass es sich nicht um Insulin handle. Es bedarf daher auch keines großen Schulungsaufwandes. „Liraglutid ist relativ einfach anzuwenden. Damit das auch gut funktioniert, sollte jeder Patient aber zumindest einmal vor unseren Augen gespritzt haben. Ich würde dringend raten, den Pen auch einmal selbst auszuprobieren.“
45. ÖDG Jahrestagung; Salzburg, 16. November 2017