„Es gibt keine Allheilmethode in der Schmerztherapie“

Die meisten Schmerzpatienten konnten beim Hausarzt gut betreut werden, ist OGAM-Prasident Dr. Christoph Dachs uberzeugt. Ausnahmen sieht er bei komplexen Schmerzsyndromen und therapieresistentem Schmerz. (ärztemagazin 06/17)

SERIE CHRONISCHER SCHMERZ – TEIL 4

Dr. Christoph Dachs Arzt für Allgemeinmedizin, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM) und Lehrbeauftragter der Paracelsus Privatuniversität Salzburg
Dr. Christoph Dachs
Arzt für Allgemeinmedizin, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM) und Lehrbeauftragter der Paracelsus Privatuniversität Salzburg

DIE ZAHLEN SIND bekannt: Rund 1,5 bis zwei Millionen Menschen leiden in Österreich an einer Form chronischer Schmerzen, bei 350.000 bis 400.000 Menschen haben sich die Schmerzen zu einer Schmerzkrankheit verselbstständigt. Wo werden diese Patienten behandelt? In Österreich stehen dafür Schmerzzentren und Schmerzambulanzen zu Verfügung, diese sind jedoch laut Expertenmeinung in viel zu geringer Zahl vorhanden (wie etwa kürzlich beim Auftakt der Österreichischen Schmerzwochen moniert). In der überwiegenden Mehrheit der Fälle ist eine Betreuung von schmerzgeplagten Patienten beim Hausarzt jedoch durchaus möglich und auch erfolgreich, erklärt Dr. Christoph Dachs, Allgemeinmediziner in Hallein und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin.

90 PROZENT BEIM HAUSARZT Grundsätzlich sei eine „unkomplizierte Schmerztherapie“ für den Hausarzt sicher kein Problem, wobei der Ausbildungsstand natürlich entscheidend sei. „Jeder Arzt, jede Ärztin sollte nicht nur ausgebildet sein in der klassischen Schmerztherapie, sondern man sollte idealerweise Infiltrationstechniken, manuelle Therapien oder Akupunktur beherrschen. Nur so ist ein multimodaler Zugang möglich.“ Dass im Bereich der ärztlichen Ausbildung hier gewisse Schwachstellen vorliegen, gibt der Experte zu. „Im Prinzip sollte ein gutes Verständnis für eine multimodale Schmerztherapie in die Ausbildung zum Allgemeinmediziner integriert sein, das ist allerdings noch nicht vorhanden.“ Sinnvoll sind laut Ansicht von Dachs daher auch die von den einzelnen Schmerzgesellschaften angebotenen Schmerzdiplome, „doch diese Möglichkeit wird meist nur von Leuten in Anspruch genommen, die ein Interesse an Schmerztherapie haben – obwohl dieses Interesse eigentlich bei allen Allgemeinmedizinern vorhanden sein sollte.“

Bedeutet dies, dass einige Allgemeinmediziner nicht für die Betreuung von Schmerzpatienten geeignet sind? „Natürlich gibt es unterschiedliche Ausbildungsqualitäten, doch die meisten Hausärzte haben schon ein gutes Grundverständnis für Schmerztherapie. Ich würde sagen, in rund 90 Prozent der Fälle ist ein Einstieg in die Schmerztherapie beim Hausarzt gut möglich.“ Allerdings: Komplexe Schmerzsyndrome oder therapieresistente Schmerzen sind auch in einer allgemeinmedizinischen Praxis oft schwer zu behandeln. Da Schmerz „relativ schnell“ chronifizieren könne, sollte man außerdem bei ausbleibendem Therapieerfolg innerhalb weniger Wochen einen Facharzt für Orthopädie oder Neurologie beiziehen, meint Dachs, da es für solche Fälle eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit brauche. Zudem verweist Dachs darauf, dass ein sehr geringer Prozentsatz der Patienten keine Morphine verträgt und daher ebenfalls sehr schwierig zu behandeln ist. „Der noch vor einigen Jahren herumgeisternde Terminus ‚Jeder Schmerz ist behandelbar‘ ist schon allein deswegen nicht aufrechtzuerhalten.“

REALISTISCHE ZIELE STECKEN Bei allen Patienten, bei denen eine schwierige Behandlung absehbar sei, sollte jedenfalls eine „bestimmte Offenheit“ an den Tag gelegt werden, erklärt Christoph Dachs. „Der Grundsatz der Schmerztherapie ist das Stecken realistischer Ziele. Wenn ich einem Patienten sage, seine Schmerzen sind 100-prozentig zu behandeln, und dann geht das nicht, dann wird dieser Patient sehr unzufrieden sein. Wenn ich allerdings erkläre: ‚Sie sind derzeit auf der Schmerzskala auf 80, ein gutes Ergebnis wäre, wenn wir es auf 40 schaffen‘, dann ist das in vielen Fällen eine realistische Einschätzung, die vom Patienten auch akzeptiert wird. Ziel der Therapie ist jedenfalls, dass Patienten mit ihrem Schmerz wirklich leben können.“ Um diese für den Patienten zunächst natürlich unangenehmen Wahrheiten auch aussprechen zu können, ist die Beziehung vom Patienten zum Hausarzt und auch umgekehrt ein „enorm wichtiger Aspekt. Ich würde sogar sagen, die Beziehung ist ein ganz wesentliches Merkmal einer erfolgreichen Betreuung“, betont der Allgemeinmediziner. „Studien zeigen immer wieder: Je besser ich auf den Patienten eingehe, desto besser sind die Ergebnisse der Schmerztherapie. Ob das objektiv nachweisbar ist, ist eigentlich unerheblich, entscheidend ist das subjektive Gefühl des Patienten. Das ist der psychologische Aspekt bei der Schmerztherapie, und dieser ist nicht zu unterschätzen.“

BEDÜRFNISSE ERNST NEHMEN Unerlässlich ist auch der individuelle Zugang zu jedem Schmerzpatienten. „Es gibt keine Allheilmethode in der Schmerztherapie. Man muss den Patienten dort abholen, wo er steht, und abschätzen, was kann ich dem Patienten zutrauen, was kann er schaffen.“ Nicht jeder Patient könne nach dem Stufenschema behandelt werden, manche Patienten sind zudem grundsätzlich skeptisch gegenüber Medikamenten und würden vielleicht eine Akupunkturbehandlung bevorzugen. „Man muss immer die Bedürfnisse des Patienten ernst nehmen, das ist wirklich wichtig, um einen guten Zugang zu ihm zu haben. Andrerseits sollte man als Arzt auch das einsetzen, was man gut kann! Das ist eben für den einen Kollegen die Akupunktur, für die andere Kollegin sind das beispielsweise Infiltrationen“, bricht der ÖGAMPräsident eine Lanze für die individuelle Therapiewahl.

BREITES DENKEN … Von Bedeutung ist für Dr. Dachs auch das „breite Denken“, also nicht nur klassische Methoden auszuprobieren. Sein Beispiel aus der Praxis: „Ich erlebe es nicht so selten, das wir Patienten zu einer Schmerzambulanz schicken und diese dann mit dem Stufenschema zurückkommen, das wir schon längst ausprobiert haben; hier wäre eine umfassendere Therapie zu erwarten gewesen.“ Andrerseits müssen auch gewisse Einschränkungen akzeptiert werden: „Eine meiner Patientinnen mit einer ausgeprägten Unverträglichkeit von vielen Schmerzmitteln ist schon zufrieden, wenn sie aufgrund der Infiltrationen ein paar Stunden schmerzreduziert ist. Wir wissen genau, dass das nicht lang fristig hilft, aber zumindest ist der Schmerz kurzfristig bekämpft. Wir haben schon vieles ausprobiert, und das ist eben der Weg, den wir konsequent weitergehen.“

… UND OFFENES ZUHÖREN Von ärztlicher Seite warnt Dachs auch davor, sich zu sehr auf etwas zu fixieren. „Ein Beispiel: Man ist davon überzeugt, dass der Patienten einen Bandscheibenvorfall hat und behandelt eben ausschließlich in die Richtung. Das ist zunächst in Ordnung, doch wenn der Schmerz nicht anspricht, ist ein Hinterfragen, ein ständiges Reflektieren wichtig: Bin ich mit meiner Behandlung am richtigen Weg? Oder könnte ich etwas Anderes ausprobieren? In manchen Fällen gelingt damit ein Durchbruch, der lange Zeit nicht möglich erschienen wäre.“ Altbekannt, aber immer wieder übersehen oder vergessen ist in diesem Zusammenhang auch eine ordentliche Anamnese, sie macht 70 bis 80 Prozent der Diagnose aus. Technische Untersuchungen sind gut, aber „eben nur Hilfsbefunde“, so Dachs. „Die Statistik zeigt allerdings, dass Patienten in vielen Fällen bereits nach den ersten Worten unterbrochen werden. Doch wenn man den Patienten zu früh ‚abwürgt‘, besteht die Gefahr, dass man ein bestimmtes Bild im Kopf bekommt und das stur weiterverfolgt – davon muss man sich befreien. Wenn man Patienten aber offen zuhört, fällt in den meisten Fällen früher oder später das entscheidende Stichwort für die richtige Diagnose..“