Schmerzversorgung: Patienten wollen ernst genommen werden

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Eine besser ausgebaute Versorgungsstruktur wäre die Basis, um eine raschere Diagnose und Therapie von Schmerzpatienten zu erreichen. Doch ganz oben auf der Wunschliste der Betroffenen steht, von Ärzten und Gesellschaft ernst genommen zu werden. (ärztemagazin 03/17)

SERIE CHRONISCHER SCHMERZ – TEIL 1

RUND 23 PROZENT der Österreicher leiden an chronischen Schmerzen. Chronische Schmerzen, das sind „länger als drei Monate auftretende beziehungsweise über den Heilungsprozess verletzten Gewebes hinaus fortbestehende Schmerzen“, wie der größte österreichische Patientenbericht „Chronischer Schmerz“ aus 2014 erklärt. Am häufigsten (68 Prozent) liegen Rückenschmerzen vor, gefolgt von Gelenks-, Kopf- und Nervenschmerzen (jeweils 64, 28 und 27 Prozent). Eine überwiegende Mehrheit berichtet über chronische Schmerzen seit ein bis fünf Jahren, bei 16 Prozent sind sogar mehr als 15 Jahre seit dem Auftreten der ersten Schmerzen vergangen. Wenig überraschend führt der chronische Schmerz zu einer deutlichen Verschlechterung der physischen und psychischen Lebensqualität, zu Behinderungen und zu deutlichen Einschränkungen im Sozial- und Arbeitsleben; dies ist nicht nur auf die körperlichen und psychischen Belastungen zurückzuführen, sondern auch auf die finanziellen Kosten aufgrund teurer Behandlungen oder einer Berufsunfähigkeit. Außerdem wurde festgestellt, dass Schmerzpatienten in Bezug auf die erhaltene Behandlung nur mäßig zufrieden sind; ein Drittel ist „wenig zufrieden“, wobei ältere Menschen (>60 Jahre) vergleichsweise am wenigsten zufrieden sind. Und: Personen mit beziehungsweise ohne private Zusatzversicherung sind ähnlich zufrieden, besser gesagt: ähnlich unzufrieden.

Chronischer Schmerz in Österreich

  • 23% der Bevölkerung leiden an chronischen Schmerzen, am häufigsten sind Rückenschmerzen
  • Die Mehrheit leidet seit ein bis fünf Jahren an chronischen Schmerzen
  • Erster Ansprechpartner ist der Hausarzt (46%), gefolgt vom Facharzt (42%)
  • 45% konsultieren zwei bis drei Ärzte, 23% mehr als fünf Ärzte
  • 45% müssen regelmäßig Schmerzmedikamente einnehmen
  • 80% unterziehen sich zusätzlich Physiotherapie und psychologischer Betreuung.

ÄRZTESHOPPING. Trotz dieser enormen Zahl an Betroffenen ist die derzeitige Betreuungslage, höflich ausgedrückt, suboptimal, berichtet Dkfm. Erika Folkes, Sprecherin der 2012 gegründeten „Allianz Chronischer Schmerz“:1 „Viele Patienten fühlen sich nicht ernst genommen, und viele Ärzte geben zu schnell auf, da sie auch gar keine Zeit haben, die Patienten vernünftig zu erheben und entsprechend weiterzuleiten.“ Die Folgen: Erstens müssen die meisten Patienten eine lange Wartezeit bis zur adäquaten Therapie in Kauf nehmen. Zweitens ist häufig ein Ärzteshopping zu beobachten: Laut Bericht konsultieren Schmerzpatienten in Österreich mehrheitlich zwei bis drei Ärzte, fast ein Viertel hat sogar mehr als fünf Ärzte im Zusammenhang mit den chronischen Schmerzen aufgesucht. In der Praxis sieht es daher so aus: „Die erste Anlaufstelle ist der Hausarzt, hier hört der Patient leider nicht selten, dass er sich die Schmerzen nur einbildet. Doch selbst wenn die Beschwerden hier ernst genommen werden, erfolgt danach meist die Überweisung an einen Facharzt – Neurologe, Orthopäde, Internist –, und damit ist meistens Schluss“, lautet das nüchterne Fazit der Expertin. „Denn die Ärzte probieren alles Mögliche aus, wovon das meiste nicht refundiert wird; die Patienten unterziehen sich also physikalischer Therapie, Lymphdrainage, autogenem Training, wirklich allem, und trotzdem haben sie zum Schluss häufig nicht einmal eine richtige Diagnose.“

STRUKTUR GEFORDERT. Was wünschen sich die Betroffenen also? Folkes: „Eine schnelle Diagnose und eine individuell abgestimmte Therapie. Und damit sind wir auch gleich beim zugrundeliegenden strukturellen Problem: So ein Vorgehen ist eigentlich nur in einem Schmerzzentrum oder in einer Schmerzambulanz möglich, doch Schmerzzentren gibt es in ganz Österreich nur eines, nämlich in Klagenfurt, wo nur Kärntner therapiert werden können. Schmerzambulanzen gibt es viel zu wenige und sie werden zurzeit eine nach der anderen geschlossen.“ Die strukturellen Probleme stehen also im Vordergrund. Es fängt damit an, dass der chronische Schmerz in Österreich keine anerkannte Krankheit ist und chronische Schmerzen kein Ausbildungsgegenstand in Studium oder ärztlicher Weiterbildung sind. Wie sieht es mit dem Schmerzdiplom der Ärztekammer aus? „Im Vergleich zum deutschen Schmerzdiplom ist das ein Schnellsiedekurs“, so die Einschätzung von Folkes. Die Allianz Chronischer Schmerz fordert, dass chronische Schmerzen als eigenständige Disziplin anerkannt werden und dass Mediziner in der Therapie komplexer chronischer Schmerzsymptome ausgebildet werden. Denn: Aufgrund des hohen Leidensdruckes und der häufig starken psychischen Belastung, die mit den chronischen Schmerzen einhergeht, sei es den Betroffenen ein großes Anliegen, dass die Ärzte gut über Symptome und Auswirkungen der Erkrankung Bescheid wissen, betont Folkes. „Patienten möchten außerdem ernst genommen werden, sie möchten eine verständliche Erklärung über die Krankheit und – ich weiß, dass das nicht ausreichend abgegolten wird – dass der Arzt genügend Zeit für das Patientengespräch hat.“

„Wir werden als Schmerzpatienten nicht akzeptiert, in vielen Fällen stempelt man uns als Hypochonder ab“, beklagt Folkes, Sprecherin der 2012 gegründeten „Allianz Chronischer Schmerz“
„Wir werden als Schmerzpatienten nicht akzeptiert, in vielen Fällen stempelt man uns als Hypochonder ab“, beklagt Folkes, Sprecherin der 2012 gegründeten „Allianz Chronischer Schmerz“

FINANZIELLER NUTZEN.Ein Vorbild für die bessere Betreuung durch ausgebildete Ärzte wären beispielsweise die dänischen Schmerzzentren, in denen Ärzte verschiedener Fachrichtungen die Patienten rasch abklären und entsprechend schnell behandeln könnten. „Aber dazu müsste man Geld in die Hand nehmen, um diese Strukturen zu ändern“, zeigt sich Folkes realistisch. „Eine weitere Krux ist, dass Gesundheit Landessache ist und jedes Bundesland damit die Versorgung dieser Patienten selbst bestimmt. Das kann besser aussehen, wie eben in Kärnten, oder schlechter, wie in Vorarlberg, wo es keine einzige Schmerzambulanz gibt.“ In Wien wäre es möglich, Primärzentren zu Schmerzzentren auszubauen, „hier arbeiten wir mit dem Patientenanwalt zusammen“. Eines sei jedenfalls klar: Die Kosten für die derzeitige Situation seien enorm. „Man muss sich von Seiten des Gesundheitssystems vor Augen führen, dass es nicht mehr kostet, wenn sofort richtig diagnostiziert und therapiert wird“, ist Folkes überzeugt. „Die ganze Befunderhebung, die Anzahl der besuchten Ärzte, die Bildgebung – wenn man diese Kosten gezielt in den Umbau der Strukturen investiert, würde sich das auch finanziell lohnen.“

ANERKENNUNG. Von Seiten der Ärzte gibt es zumindest Versuche, das Problem anzugehen. „Die Österreichische Schmerzgesellschaft hält beispielsweise einmal im Jahr eine Tagung ab, die nächste findet im Mai in Zell am See statt. Und mittlerweile wird an solchen Kongressen wenigstens nachgefragt, was wir uns als Patienten wünschen. Ich habe im Publikum ehrliche Betroffenheit bei den Ärzten gesehen – als wären unsere Schmerzen etwas Neues, als wüsste man nicht, dass Menschen täglich mit Schmerzen einschlafen und mit Schmerzen aufwachen – so sie überhaupt noch schlafen können.“

DIE AKZEPTANZ von Schmerzpatienten in der Gesellschaft hat ebenfalls noch sehr viel Luft nach oben. „Wir werden als Schmerzpatienten nicht akzeptiert, in vielen Fällen stempelt man uns in der Familie und im Freundeskreis als Hypochonder ab. Und das ist ein gesellschaftliches Problem, denn durch die mangelnde Anerkennung ziehen sich viele Betroffene aus dem sozialen Leben ganz zurück.“ Um diese Entwicklungen umzukehren, hat Erika Folkes eine grundsätzliche Forderung: „Die Behandlung chronischer Schmerzen muss von politischen Entscheidungsträgern endlich als eine der höchsten Prioritäten anerkannt werden. Wir wünschen uns, dass unsere Unterschriftenaktion2 von den Gesundheitsverantwortlichen ernst genommen und entsprechende Maßnahmen schlussendlich auch umgesetzt werden.“

Referenzen:
1 www.schmerz-allianz.at
2 www.schmerz-allianz.at/aktuelles/unterschriftenaktion/