„Man muss auf Fragen und Ängste der ImpfskeptikerInnen vorbereitet sein“

Ärztinnen und Ärzte werden von der Bevölkerung als Grundvertrauenspersonen gesehen. Das bietet die Chance, im persönlichen Kontakt über Impfungen zu informieren. Sie müssen immer auf Fragen und Ängste von skeptischen Patientinnen und Patienten vorbereitet sein – sonst sind diese Kontakte vergebene Chancen.

medONLINE: Frau Prof. Wiedermann-Schmidt, der diesjährige Impftag stand unter dem Motto „Gesunde Gesellschaft – gehört Impfen (noch) dazu?“. Wie verbreitet ist die Impfmüdigkeit in der Bevölkerung?

Wiedermann-Schmidt: Es fällt auf, dass der Anteil der Menschen, die dem Impfen uneingeschränkt positiv gegenüberstehen, weniger als 50 Prozent ausmacht. Ebenso viele Personen schätzen sich als impfkritisch oder -skeptisch ein. Etwa vier bis sechs Prozent bezeichnen sich als völlige Impfgegner. Es scheint, als sei das Grundverständnis für Impfungen nicht genügend verankert. Sonst gäbe es nicht derart viele SkeptikerInnen, die nicht verstehen, warum man weiterimpfen muss, auch wenn die Erkrankungszahlen zurückgehen. Befragungen zeigten, dass für viele Menschen nicht klar ist, dass Masern eine gefährliche Erkrankung sind bzw. weshalb und wie oft geimpft werden soll. Das zeigt deutlich, dass die Informationen, die wir zu vermitteln versuchen, nicht in der Bevölkerung ankommen.
In jüngsten Befragungen zeigte sich weiters, dass SchülerInnen zwischen zehn und 16 Jahren ein sehr gutes Publikum für Wissensvermittlung sind. Sie sind interessiert und wollen Informationen haben, und das nicht unbedingt von Eltern, sondern sie wollen auf Augenhöhe abgeholt werden. Das impliziert, dass Schulen, in denen schließlich auch geimpft wird, geeignete Orte für die Informationsgabe sind. Vor allem scheint mir dieses Alter auch wichtig, um Gesundheitskompetenz in die Bevölkerung zu bringen, da diese jungen Menschen die Gesellschaft von morgen bilden, die dann ein anderes Bewusstsein für Impfungen an den Tag legen kann.
Ärztinnen und Ärzte, ApothekerInnen und die anderen Gesundheitsberufe bleiben Informations- und Vertrauensquelle Nr. 1 bei Menschen. Es müssen aber auch zusätzliche Zugänge genutzt werden, wie etwa die Schulen. Ich bin der Meinung, dass sich die Ausbildungsprogramme noch nicht ausreichend mit dem Impfthema beschäftigen und die Informationen und Anlaufstellen auch besser akkordiert werden müssten. Derzeit fehlen die Quervernetzungen in den verschiedenen Zuständigkeitsbereichen. Außerdem muss bei den jungen Leuten vermehrt die Informationsverbreitung über Social Media – wie Facebook – genützt werden; dies geschieht bislang im Bereich der evidenzbasierten Informationsverbreitung kaum und ist sicher ein Versäumnis bei einer großen Flut an unkontrollierbaren Meldungen und Fehlinformationen, die vorwiegend über soziale Medien und Internet verbreitet werden.

Wie erreicht man Erwachsene?

Auch das Arbeitsleben, in dem in einem gewissen Alter bis zu 90 Prozent der Tageszeit verbracht werden, muss genutzt werden.
Dazu gab es am Impftag einen interessanten Vortrag: Es wurde gezeigt, dass der Arbeitsplatz ein idealer Platz ist, um Information über die Förderung der Gesundheit weiterzugeben. Bei der Umsetzung gibt es aber oft Probleme hinsichtlich der Zuständigkeiten. Der Zugang sollte möglichst niederschwellig gestaltet werden. Ein gesunder Mensch geht zwar nicht zum Arzt, um sich eine Impfung zu holen – ist sie jedoch einfach in unmittelbarer Umfeld erhältlich, ist die Motivation größer.
Auch Ärztinnen und Ärzte sollten den Kontakt mit PatientInnen aktiv nutzen, um sie auf ihren Impfstatus anzusprechen! Auch wenn im österreichischen Impfplan verankert ist, dass das Impfen im Erwachsenenalter in der Eigenverantwortung liegt, sollte man bei jedem Besuch beim Arzt/bei der Ärztin diese Möglichkeit nutzen (z. B. sollte der Kinderarzt/die Kinderärztin auch die Eltern an ihren Impfstatus erinnern).

Wie kann man den „Argumenten“ impfskeptischer Patientinnen und Patienten entgegentreten? Gibt es Hilfestellungen?

Wir haben auch in Fortbildungsveranstaltungen versucht, die häufigsten Argumente und was man diesen entgegnen kann zusammenzustellen. Am hilfreichsten ist in der Praxis, das Gespräch weg von den Emotionen, hin zu den wissenschaftlichen Belegen zu bringen. Gemeinsam mit der MedUni und dem Verlag MANZ habe ich jüngst einen Impfratgeber für Laien verfasst, der sich in jedem Impfkapitel auch mit dem Thema „Mythen und Wahrheit“ beschäftigt und leicht verständlich Fakten und Evidenz über Impfungen vermitteln soll. Am Ende jedes Kapitels sind außerdem die Hauptfragen, die Menschen heutzutage beschäftigen, zusammengestellt.
Als Ärztin/Arzt muss man immer damit rechnen, dass z. B. eine besorgte Mutter fragt, ob durch zu viele Impfungen die Gefahr einer Überlastung des Immunsystems bei den Kindern besteht. Man muss also immer auf die Furcht, die Ängste und die Fragen vorbereitet sein, was natürlich Zeit kostet, die aber im ärztlichen Gespräch mit einkalkuliert werden muss.

In Ihrem Vortrag ging es darum, ob ein starkes Immunsystem durch Globuli, Probiotika etc. Impfungen erspart.

Dabei ging es vor allem um die Definition, was ein starkes Immunsystem ist. In den Medien und auch im Internet wird den Menschen weisgemacht, das Immunsystem müsse mit den verschiedensten Mitteln ständig gestärkt werden, damit wir fit und abwehrfähig sind. Tatsächlich ist es aber so, dass bei einem im Grunde gesunden Menschen eine sogenannte immunologische Homöostase vorherrscht, die Voraussetzung für eine ausgewogene Immunabwehr ist. Zur Erhaltung dieser Homöostase ist das menschliche Mikrobiom verantwortlich, das jedoch durch verschiedene Umwelteinflüsse wie Lebensstil, Ernährung, aber auch durch das Alter negativ beeinflusst werden kann (Dysbiose). In diesem Fall kann die Substitution von Immunstimulanzien oder Probiotika hilfreich sein, um das immunologische Gleichgewicht wiederherzustellen. Dies kann aber nur als ergänzende Maßnahme gesehen werden, jedoch niemals Impfungen ersetzen, da diese gezielt gegen bestimmte Erreger wirken und einen spezifischen Schutz garantieren.

Wie steht es um die Durchimpfung des Gesundheitspersonals?

Das ist leider ein Dauerbrenner. Man müsste dafür sorgen, dass das Gesundheitspersonal bereits ausreichenden Impfschutz aufweist, wenn es in den Beruf einsteigt. Aber es braucht auch Maßnahmen, um zu kontrollieren, ob der Impfschutz aufrechterhalten wird.
Es gibt die Diskussion, inwiefern das Gesundheitspersonal gleich wie die restliche Bevölkerung, die frei für sich entscheiden kann, ob sie sich impfen lässt oder nicht, behandelt werden soll. Der ethische Grundsatz ist hier ein anderer, da die PatientInnensicherheit im Vordergrund steht. Unter diesem Aspekt ist es sicher noch nicht in allen Berufsgruppen und Spitalseinheiten ausreichend durchgesetzt, dass dieses Konzept umgesetzt wird. So kam es, dass beim Masernausbruch vor zwei Jahren fast acht Prozent der Fälle beim Gesundheitspersonal auftraten. Das ist eigentlich nicht zu tolerieren, dass Patientinnen und Patienten sich während eines Krankenhausaufenthalts beim Personal anstecken könnten! Dasselbe zeigte sich auch während der Influenzawelle in diesem Winter, während der viele Personen dieser Berufsgruppen erkrankten. Das zeigt deutlich, dass die Durchimpfungsrate zu gering ist.

Oft wird das Argument ins Rennen geführt, dass man ja gar nicht weiß, ob man gegen die richtigen Influenzastämme impft.

Das Problem ist, dass es wirklich Jahre gibt, in denen die Impfung nicht den hauptzirkulierenden Stamm enthält. Das ist trotzdem kein gutes Dauerargument, denn heuer ist dieser Stamm im Impfstoff enthalten, und die Impfung wirkt sehr gut. Lässt sich das Gesundheitspersonal regelmäßig impfen, kann davon ausgegangen werden, dass sich eine breite Immunität aufbaut, da oftmals die Stämme des Vorjahres wieder auftreten. Und selbst wenn der Impfschutz nicht optimal ist, hat sich gezeigt, dass die Verläufe milder sein können und dass die virale Ausscheidung deutlich geringer ist, wenn Antikörper vorhanden sind. Somit schwächt sich die Transmissionsrate ab, was eines der Ziele ist, warum Gesundheitspersonal geimpft wird.

Ein Thema am Impftag war das Impfen außerhalb der Zulassung. Was müssen Ärztinnen und Ärzte beachten?

Es gibt klare Zulassungskriterien, die durch die Art der Impfstudien und die Personengruppe, die darin getestet wurde, geregelt werden. Wurde eine bestimmte Gruppe nicht abgedeckt, bedeutet das aber kein Impfverbot. Empfehlungen im Impfplan entsprechen zwar immer der Zulassung, aber in bestimmten medizinischen Situationen muss man den Nutzen und die Risiken abwägen. Es obliegt der Ärztin/dem Arzt aufgrund des Wirkungsspektrums und des Grundes für das Abweichen von der Zulassung zu entscheiden, ob die Impfung sinnvoll ist. Im Vortrag wurde auch von rechtlicher Seite sehr bestärkt, als Ärztin/Arzt diese Entscheidung zu treffen und gegebenenfalls auch abseits der Zulassung zu impfen.
Auslöser für diesen Programmpunkt war, dass Lieferengpässe dazu geführt haben, dass bestimmte Auffrischungen nicht hätten durchgeführt werden können. Die Frage war zum Beispiel, ob in dieser Situation auch die Impfstoffe für die Grundimmunisierung verwendet werden können, die nur für Auffrischungsimpfungen zugelassen sind. Die klare Antwort ist ja, da die Alternative wäre, nicht zu impfen. Gleiches gilt auch, wenn erwachsene Personen nicht geimpft sind und nur durch für Kinder zugelassene Impfstoffe versorgt werden könnten. Der Sorge von Seiten der Ärztinnen und Ärzte zu möglichen nichtausreichenden Reaktionen kann u. a. durch Titerbestimmungen entgegengewirkt werden.

Die HPV-Impfung war in Österreich lange Zeit nicht im Gratis-Impfprogramm enthalten. Was machte es möglich, dass wir vom Schlusslicht zum Vorreiter wurden?

In Österreich mussten wir doch ziemlich lange warten, bis die HPV-Impfung in das kostenfreie Impfprogramm übernommen wurde – wir waren bei der Implementierung Schlusslicht in Europa! Aber der Vorteil dieser langen Wartezeit war, dass viele Erfahrungen und vor allem die Effekte der Impfung in anderen Ländern beobachtet werden konnte. In dieser „Wartezeit“ wurde auch ein reduziertes 2-Dosen-Schema zugelassen, was eine deutliche Verbesserung der Kosten-Nutzen-Relation gebracht hat. Für Österreich hat das ermöglicht, dass das Impfprogramm für Mädchen und Buben implementiert wurde. Mit diesem geschlechterneutralen Programm war Österreich wiederum nicht nur in Europa Vorreiter, und viele Länder nehmen sich nun ein Beispiel an Österreich, da auf diese Weise eine höhere Durchimpfungsrate und eine schnellere Entstehung eines Herdenschutzes erreicht werden kann.

Wie weit ist die Masernelimination in Europa?

Dr. Mark Muskat von der WHO ist Spezialist für Masern. In Europa sind die Masernfallzahlen leider noch immer viel zu hoch, es bestehen große Impflücken. Um diese Lücken schließen zu können, müsste bei Kindern und Jugendlichen der Impfstatus aktiv erhoben werden.
Interessant wird auch die Entwicklung in den USA, in der die Durchimpfungsrate bisher sehr hoch war. Seit der Neuwahl des Präsidenten scheint es aber leider so, dass wissenschaftlich unseriöse Menschen wie Andrew Wakefield & Co wieder eine Bühne bekommen haben, und es ist zu befürchten, dass solche „BeraterInnen“ dem Impfwesen sehr schaden werden.

Danke für das Gespräch!

Buchtipp: „Impfen – Wann. Wogegen. Warum“

Kaum ein medizinisches Thema polarisiert so heftig wie das Impfen. Die Autorin Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien, vermittelt Kenntnisse und Wissen über Impfungen auf wissenschaftlicher Basis für Laien. Sie zeigt, welche Impfungen die wichtigsten sind, welche empfohlen werden und wann der richtige Zeitpunkt für sie ist – aber auch, wann und unter welchen Umständen Vorsicht geboten ist. Zugleich räumt der neue Ratgeber der Reihe „Gesundheit.Wissen“ der MedUni Wien in Kooperation mit dem Manz-Verlag auch mit “Impf-Mythen” auf und erklärt, wie das menschliche Immunsystem und Impfungen wirklich funktionieren.

Ursula Wiedermann-Schmidt
MANZ Verlag Wien
ISBN: 978-3-214-08087-7