5. Apr. 2016

2,4 Mio. unnötig beim Facharzt?

Faktenfreies Diskutieren ist hierzulande gesundheitspolitischer Sport. Das sieht man auch wieder bei der aktuellen „Rettet das beste Versorgungsmodell vor einem PHC-Gesetz“-Diskussion. Was sagen die Fakten? Laut Gesundheitsbefragungen 2007 und 2014 (dazwischen gab es keine) ist die Quote der Bevölkerung über 60 Jahre, die wenigstens einmal einen Hausarzt aufsuchte, von etwa 90 % auf 80 % gesunken. Man könnte meinen, das ist nicht schlimm, aber das ist falsch! Weil ich Österreich gerne mit Dänemark (DK) vergleiche:  Dort gehen 95 % zu ihrem Hausarzt.

Wo gehen unsere Patienten hin? Genau, zum Facharzt, der bekanntlich der Sekundärversorgung zugerechnet wird. Haben 2007 „nur“ 42 % der Österreicher über 60 einen (Wahl-)Facharzt aufgesucht, sind es 2014 schon sagenhafte 67 %. Das ist eine Steigerung von 50 %, die der zunehmenden Beliebtheit der Wahlärzte zuzurechnen ist, die in öffentlichen Statistiken allerdings verleugnet wird. Zum Vergleich, in DK waren 46 % der 60 plus beim Hausarzt. Bei den unter 60-Jährigen ist der Unterschied noch krasser: In DK sehen nur 25 % einen Facharzt, bei uns 61 %. Wurden dadurch Spitalsambulanzen entlastet? Nein, auch diese Besuche sind um 50 % gestiegen, von 20 % auf 32 % – damit haben wir die Dänen eingeholt, deren Spitäler einen expliziten fachärztlichen ambulanten Versorgungsauftrag haben, was ja bei uns nicht der Fall ist.

Hätten wir das dänische Versorgungsmodell, wären 762.000 Österreicher (über 15) 2014 zusätzlich zum Hausarzt gegangen, dafür aber 2,4 Mio. nicht zu einem Facharzt, 213.000 nicht in eine Spitalsambulanz und 671.000 Spitalsaufnahmen wären nicht angefallen. Bedenkt man, dass die Dänen ungefähr gleich viel Geld für ihr Gesundheitssystem ausgeben wie wir, weiß man, warum dort die Ärzte zufrieden sind. Darben die Dänen? Nein! Dänen über 65 haben 13 gesunde Lebensjahre vor sich, wir neun.
Wenn also jemand erklärt, dass wir ein gut funktionierendes Versorgungssystem haben, dass aus machtpolitischen Motiven zerschlagen werden soll, dann ist das schelmisch. Wie es aussieht, blendet da eher wer aus machtpolitischen Motiven Fakten aus.

Kommentar: Dr. Ernest Pichlbauer, Unabhängiger Gesundheits­ökonom, Wien

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune