25. Geburtstag: Kinderherz-Pioniere in Linz erobern die Welt
Ihre Herzen schlagen im Team-Takt für die Kinder, auch jene, die noch nicht geboren sind: Die Gründungsväter – Gerald Tulzer, Rudolf Mair, Gertraud Geiselseder und Wolfgang Arzt – haben vor rund 25 Jahren Neuland betreten und das Kinderherz Zentrum Linz am Kepler Universitätsklinikum (KUK) aufgebaut. Mittlerweile stellt es gemeinsam mit dem Institut für Pränatalmedizin europaweit das größte und weltweit das zweitgrößte Zentrum für pränatale Herzeingriffe mit bisher 200 intrauterinen Herzeingriffen dar. Zwei von drei Patienten kommen von weiter her, aber auch Gastärzte reisen um den halben Globus, um in Linz zu lernen.
Als 1995 die ersten Kinder behandelt wurden, habe es noch keine bestehende Struktur gegeben, blickt Prim. Univ.-Prof. Dr. Gerald Tulzer zurück. Der Kinderkardiologe baute das Kinderherz Zentrum gemeinsam mit dem Herzchirurgen Prim. Priv.-Doz. Dr. Rudolf Mair und der Anästhesistin Prim. Dr. Gertraud Geiselseder (mittlerweile in Pension) sowie Prim. Priv.-Doz. Dr. Wolfgang Arzt, der fast gleichzeitig das Institut für Pränatalmedizin an der damaligen Frauenklinik gegründet hat, völlig neu auf.
Mehr als 25 Jahre später kommt den kleinsten Patienten das gesamte Spektrum der modernen Kinderkardiologe zugute:
- Kinderherzchirurgie mit Neugeborenenherzchirurgie und entsprechende Intensivtherapie, europaweit Operationen mit höchstem Schwierigkeitsgrad (zertifizierte Auswertung der europäischen Qualitätsdatenbank)
- pränatale Diagnostik mit Herzeingriffen am Ungeborenen
- nicht-invasive Diagnostik wie spezielle Echokardiographien, Weiterentwicklung und Spitzenpositionieren im Bereich Herzrhythmusstörungen sowie
- Herzkatheteruntersuchungen mit Interventionen
Bei zwei Dritteln der Herzkinder Ursache unbekannt
Viele Menschen und Berufsgruppen waren und sind am Gelingen beteiligt: Herzchirurgen, Kinderkardiologen, Kinderintensivmediziner, Kinderanästhesisten, Kinderradiologen, Kardiotechniker, Psychologen und Pflegekräfte in allen Bereichen.
Etwa jedes hundertste Kind hat einen Herzfehler, womit sie die häufigsten Fehlbildungen bei Kindern sind. Nur bei zirka einem Drittel kennt man den Grund: Chromosomenschäden, Infektionen oder mütterliche Krankheiten wie z.B. Diabetes. Ungefähr 30 Prozent der operierten Kinder sind Neugeborene, rund 65 Prozent jünger als ein Jahr. Insbesondere bei Frühkorrekturen von angeborenen Herzfehlern in dieser Altersgruppe nimmt das Kinderherz Zentrum Linz eine führende Rolle in Österreich ein.
Herzoperierte Kinder in Linz: 98 Prozent Überlebenschance
Die betreuten, herzoperierten Kinder haben eine Überlebenschance von etwa 98 Prozent – und dies, obwohl der Schwierigkeitsgrad und die Operationszahlen ständig steigen. Unbehandelt führen viele komplexe Herzfehler, der wohl schwerste ist das hypoplastische Linksherzsyndrom, unweigerlich zum Tod.
Warum die Kinderherz-Pioniere überhaupt auf die Idee kamen, bereits im Mutterleib zu operieren, erklärt Mair mit dem wichtigen Blutdurchfluss als „Wachstumsreiz“ für die einzelnen Herzabschnitte: „Daher verfolgen wir bereits seit 25 Jahren das Prinzip der frühzeitigen Vollkorrektur, um Folgeschäden hintanzuhalten.“ Bisher wurden mehr als 13.000 Eingriffe aller Art im Mutterleib wie Fruchtwasser- und Plazentapunktionen, Nabelschnurpunktionen und fetalchirurgische Eingriffe.
Stärke im Team: Institut für Pränatalmedizin und Kinderkardiologie
Das vom Gynäkologen Arzt gegründete Institut für Pränatalmedizin, um Fehlbildungen und Wachstumsstörungen ungeborener Kinder zu diagnostizieren, abzuklären und zu behandeln, ist wesentlicher Teil des Erfolgs. Der liege generell in der Teamarbeit, „das ist unsere Stärke“, betont Kinderkardiologie-Primar Tulzer, „eine exzellente Kooperation besteht zudem mit vielen zusätzlichen Fachbereichen, z.B. der Radiologie, der Neonatologie, der Kinder- und Jugendheilkunde, Kinderchirurgie, dem Labor und dem Institut für Medizinische Genetik“.
In der Kinderkardiologie steht für Herzkatheteruntersuchungen und Interventionen ein hochmodernes Herzkatheterlabor mit 3D-Bildgebung zur Verfügung. Bei zirka 70 Prozent der Untersuchungen erfolgen therapeutische Eingriffe, wie beispielsweise Verschlüsse von Scheidewand-Defekten im Herzen.
Zurück zu den Anfängen: Schon im ersten Jahr des kinderherzchirurgischen Programms wurden komplexe Vollkorrekturen von Truncus arteriosus communis, Transposition der großen Arterien und Taussig-Bing-Anomalie erfolgreich durchgeführt (siehe auch Chronologie). Mit mittlerweile mehr als 200 intrauterinen Herzeingriffen ist Linz europaweit das größte Zentrum dieser Art.
Weltweit erste erfolgreiche Pulmonalklappen-Sprengung in Linz
Nur durch die intensive Zusammenarbeit von Pränatalmediziner und Kinderkardiologen gelang weltweit auch der erste erfolgreiche Herzeingriff im Mutterleib knapp nach der Jahrtausendwende. Es handelte sich um eine Pulmonalklappen-Atresie, über die Medical Tribune 2007 (MT8, S.8) berichtet hat. Die kleine Patientin hieß Johanna, und als sie rund 6 Jahre alt war, hatten die beiden, Gynäkologe Arzt und Kardiologe Tulzer, bereits weitere neun Kinderherzen im Mutterleib operiert.
„Ich steche die Nadel unter Ultraschallsicht zwischen die Rippen in das kindliche Herz und führe sie bis zur verschlossenen Klappe“, schilderte Arzt, damals Leiter des Institutes für Pränatalmedizin an der Landes-Frauen- und Kinderklinik (LFKK) Linz, wie die fetale Operation einer Aortenstenose- oder Pulmonalklappen-Atresie konkret abläuft. Das Herz eines Feten in der 26. SSW sei etwa so groß wie ein Tischtennisball, „die Klappe nur zirka 3 mm“, so der Gynäkologe. Mit der Nadelspitze werde schließlich die verschlossene Klappe perforiert.
Dann beginne der Part des Kardiologen der den Katheter durch die Hohlnadel einführt und die Klappe mithilfe eines Ballons erweitert. „Ich könnte nie mit zweidimensionalem Ultraschall die Nadel so exakt im richtigen Winken führen wie ein erfahrener Gynäkologe“, betonte Tulzer damals, wie wichtig das Arbeiten im Team ist.
Kinderherzanästhesie: Körpergewicht von 550 Gramm bis 70 Kilo
Zurück zum 25-jährigen Jubiläum: Eine besondere Spezialisierung in der Anästhesie und Intensivmedizin ist die Kinderherzanästhesie. Hier treffe der Grundsatz „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen voll zu“, sagt Univ.-Prof. Dr. Jens Meier. Jährlich werden um die 660 Narkosen bei den Herzoperationen und bei Interventionen im Herzkatheter verabreicht. „Das Besondere ist, dass bei uns Frühgeborene, Neugeborene bis zum Jugendlichen anästhesiert werden und sich deren Körpergewicht zwischen 550 Gramm und 70 Kilogramm bewegt“, schildert Meier. 12 Kinder können gleichzeitig intensivmedizinisch betreut werden. Jährlich wird rund jedes zehnte Kind vor oder nach einer Herzoperation durch eine ECMO versorgt.
Führungsrolle bei Studien, Ausbildung von Gastärzten
Die kleinen Patienten kommen aus allen neun Bundesländern – rund ein Drittel aber aus Oberösterreich – und aus dem benachbarten Ausland. Das Linzer Kinderherz Zentrum nimmt auch an europa- und weltweiten Studien nicht nur teil, sondern hat auch die Führungsrolle inne. International ist auch die Ausbildung von Gastärzten, die aus der ganzen Welt – etwa aus China, Japan, Thailand, dem arabischen Raum etc. – nach Linz kommen, ein Schwerpunkt.
Aber auch hierzulande sei die Ausbildung von jungen Fachärzten ein wesentliches Ziel, sagt Tulzer, „denn der Mangel an spezialisierten KinderkardiologInnen ist eine Herausforderung, die es zu meistern gilt“. Mit der Ausbildung könne die Sicherung und weitere Verbesserung der Versorgungsqualität gewährleistet werden.
Seitens der Patienten gibt es für herzkranke Kinder und betroffene Familien mit dem Verein Herzkinder eine österreichweite wertvolle Anlaufstelle. Der Hilfsorganisation unter der Leitung von Michaela Altendorfer sei es ein Herzensangelegenheit, betroffene Familien ein Stück des Weges zu begleiten und sie mit vielen Angeboten zu unterstützen.
Mehr Infos samt Video: www.kinderherzzentrum.at
Die Chronologie des Kinderherz Zentrums im Detail
- Ausgangsbasis: An der früheren Landes-Frauen- und Kinderklinik (LFKK) gab es primär keine Kardiologie und auch keine Herzchirurgie, aber eine bedeutende Zahl an behandlungsbedürftigen herzkranken Neugeborenen und Kindern. Im damaligen AKh Linz bestand eine sehr aktive Herzchirurgie, die entsprechend auf die Behandlung erworbener Herzerkrankungen ausgerichtet war.
- 1987: Ausbildung von Univ.-Prof. Dr. Gerald Tulzer in Echokardiographie in Eigeninitiative
- 1989–1990: Fellowship am Children‘s Hospital of Philadelphia, Start Aufbau des kinderkardiologischen Programms in der damaligen LFKK
- 1993: Gründung eigenes Department für Kinderkardiologie mit stark steigenden Patientenzahlen
- 1994: Prim. Priv.-Doz. Dr. Rudolf Mair absolviert ein Clinical Fellowship (Ausbildungsstelle) am Children‘s Hospital Boston für die entsprechende chirurgische Ausbildung, ebenfalls in Eigeninitiative
- 1994: Prim. Dr. Gertraud Geiselseder, Anästhesie-Ausbildung am Children‘s Hospital Boston
- 1995: Start des kinderherzchirurgischen Programms, Gründung des Kinderherz Zentrums Linz mit den vorhandenen Ressourcen (operiert wurde in den OP-Sälen der Herzchirurgie, ab 1996 wurde für zwei Tage pro Woche das Katheterlabor der Kardiologie des AKh angemietet. Die Intensivbetreuung erfolgte an den Intensivstationen des AKh sowie der LFKK.
- 1995: Bereits im ersten Jahr wurden komplexe Vollkorrekturen von Truncus arteriosus communis, Transposition der großen Arterien und Taussig-Bing-Anomalie erfolgreich durchgeführt.
- 1997: Erstmals in Österreich wurde ein Neugeborenes mit Hypoplastischem Linksherzsyndrom erfolgreich operiert.
- 2000: Start der Ross-Konno-Operationen bei Neugeborenen mit kritischer Aortenstenose
- 2003: Einführung En Bloc-Rotation der Ausflusstrakte bei komplexer Transposition der großen Arterien
- Zeitgleich ab dem Jahr 2000 wurde in Kooperation mit dem Department für Pränatalmedizin der LFKK ein Programm für fetale Interventionen aufgebaut, das heute das größte in Europa ist.
- Parallel dazu wurde das Herzkatheter-Programm entwickelt, welches mit seinen Interventionen heute ebenfalls zu den führenden europäischen Stellen zählt.
- Von anfangs 96 Operationen im Jahr 1995 stiegen die Operationszahlen relativ rasch an, sodass 2006 bereits über 300 Fälle operiert wurden. Seither bewegen sich die Patientenzahlen zwischen 300 und 350 Fällen und annähernd ebenso vielen Herzkatheteruntersuchungen pro Jahr.
- 2003: Kooperationsvertrag zwischen Land OÖ und Stadt Linz: rechtliche Bestätigung des Kinderherz Zentrums
- 2011: Department für Kinderkardiologie wird zur Abteilung aufgewertet.
- 2016: Kinderherzchirurgie wird eigenes Department.
- Mit zunehmender Größe des Programms wurden in der kardiologischen, der chirurgischen sowie in der anästhesiologisch /intensivmedizinischen Gruppe eigene spezialisierte Teams geformt. So weist die Klinik für Kinderkardiologie neben dem Vorstand heute 9 Facharzt-stellen und 3 Assistentenstellen auf, am Department für Kinderherzchirurgie arbeiten neben dem Vorstand noch 2 Fachärzte und 2 Assistenten und an der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin sind es 20 Fachärzte, die dafür ausgebildet sind.
Stimmen zum 25-jährigen Jubiläum
25 Jahre Kinderherz Zentrum Linz sind ein freudiger Anlass zu gratulieren und die Leistungen hervorzuheben:
LH Mag. Thomas Stelzer: „Bei uns in Oberösterreich setzen wir uns mit aller Kraft für unsere Herzkinder und deren Familien ein. Es ist kaum vorstellbar, unter welchen Belastungen Familien stehen, wenn Kinder gesundheitliche Probleme mit dem Herzen haben. Aber man kann sich in Oberösterreich auf die beste medizinische Versorgung verlassen. Das Kinderherz Zentrum erbringt medizinische Spitzenleistungen, die auf der ganzen Welt bekannt sind und geschätzt werden. Ich gratuliere dem gesamten Team für das außerordentliche Engagement und die gelebte Begeisterung – das verdient größten Respekt! Oberösterreich investiert weiter kräftig in die Gesundheitsversorgung. Mit dem Neubau des Kinderbettentraktes können die unterschiedlichen, hochspezialisierten Disziplinen zukünftig unter einem Dach zusammengeführt werden und so noch bessere Abläufe und Arbeitsbedingungen ermöglichen. Ich wünsche dem Team des Kinderherz Zentrums alles Gute für die Zukunft.“
Gesundheitsreferentin und LH-Stv.in Mag.a Christine Haberlander: „In Oberösterreich schützen wir die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger ein Leben lang und bereits ab dem ersten Herzschlag. Seit einem Vierteljahrhundert steht das Kinderherz Zentrum in Linz für internationale Spitzenmedizin im Bereich der Kinderherzen und betreut zurzeit regelmäßig rund 7.000 junge Patientinnen und Patienten. Als oberösterreichische Gesundheitsreferentin erfüllt mich diese Einrichtung mit großem Stolz und ich freue mich, dass wir mit dem neuen Kinderbettentrakt auch zukünftig die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung stellen können, damit die betroffenen Kinder auch jenen Raum nach modernsten Standards erhalten, den sie benötigen, um gesund zu werden.“
KUK-Geschäftsführer Mag. Dr. Franz Harnoncourt: „Herzeingriffe bei kleinen Kindern sind sehr komplex und benötigen größte medizinische Erfahrung. Was vor 25 Jahren noch kaum denkbar war ist hier in Linz Routine. Durch die fächerübergreifende Zusammenarbeit sowie das Zusammenwirken aller dafür notwendigen Fachrichtungen bietet das Kinderherz Zentrum weltweit anerkannte Spitzenmedizin und unterstreicht die Bedeutung des Kepler Universitätsklinikums in der Kindermedizin. Gerade die kleinsten Patienten benötigen das Zusammenwirken aller Professionen und Spezialisten, um Ihnen die modernsten Möglichkeiten der Therapie anbieten zu können. Das Kinderherz Zentrum am Kepler Universitätsklinikum ist ein herausragendes Beispiel für die Bündelung aller Kompetenzen mit dem Ziel, den PatientInnen – also vom ungeborenen bis zum adoleszenten Kind – die weltweit beste Medizin bieten zu können. Ich gratuliere zu dieser Vorreiterrolle in der medizinischen Versorgung von Herzkindern, die einen wichtigen Schwerpunkt in der Kinderversorgung am Kepler Universitätsklinikum darstellt.“
KUK-Ärztlicher Direktor Priv.-Doz. Dr. Karl Heinz Stadlbauer: „Das optimal abgestimmte Zusammenspiel von verschiedenen Teams bringt Qualität und Fortschritt in der Versorgung für unsere kleinen PatientInnen. Ich gratuliere allen Beteiligten, die zum Gelingen dieser weltweit beachteten Expertise bei Kinderherzen beigetragen haben - diese Qualität und dieses Know How werden wir auch zukünftig weiterentwickeln, um der Vorreiterrolle weiterhin gerecht zu werden.“
KUK-Pflegedirektorin Simone Pammer, MBA:„Auch die MitarbeiterInnen der Pflege tragen ganz wesentlich zur bestmöglichen Versorgung, Pflege und Betreuung der kleinen PatientInnen bei. Die Pflegepersonen bringen ihre hohe fachliche Expertise und Kompetenz sowohl auf der Station, als auch in der Ambulanz, im OP, in der Angiografie und im Intensivbereich ein und sind daher ein wichtiger Teil des multiprofessionellen Versorgungsteams. Durch regelmäßige Fort- und Weiterbildungen ebenso wie Schulungen wird die Expertise kontinuierlich weiterentwickelt und hochgehalten. Weiters schaffen die Pflegepersonen eine sichere Umgebung für die PatientInnen und versuchen ihnen und den Angehörigen in diesen besonderen Lebenslagen bei all ihren Ängsten, Bedürfnissen und Fragen beizustehen.“