Kein Lockdown für Schmerztherapien

Anlässlich der 20. Österreichischen Schmerzwochen machen sich Schmerzmediziner Sorgen um die Versorgung chronischer Schmerzpatienten in der COVID-19-Pandemie, freuen sich aber auch über einen neuen Qualitätsstandard für unspezifischen Rückenschmerz.

Die Hand dreht die Würfel und ändert den Ausdruck "Rückenschmerzen" in "keine Schmerzen".
Fokusiert

„Die notwendigen Maßnahmen zur Behandlung und Prävention von COVID-19 erschweren die Betreuung von Menschen mit chronischen Schmerzen“, warnt OÄ Dr. Waltraud Stromer, Vizepräsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG), Landesklinikum Horn, Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin: „Eine Unterversorgung leistet der Schmerzchronifizierung Vorschub und erhöht die Behandlungsbedürftigkeit dauerhaft.“ Daher müsse sichergestellt sein, dass medikamentöse Schmerztherapien weiterlaufen und alle Maßnahmen einer multimodalen Schmerztherapie weiterhin durchgeführt werden, unterstrich die Schmerzmedizinerin auf einer Pressekonferenz anlässlich der 20. Österreichischen Schmerzwochen der ÖSG.

Therapien weiterführen

„Laufende medikamentöse Schmerztherapien dürfen nicht gestoppt oder unterbrochen werden“, betont Stromer. Zu Beginn der COVID-19-Krise waren ja Unsicherheiten hinsichtlich der Verwendung bestimmter Schmerzmedikamente aufgekommen. Mittlerweile jedoch hat eine Studie gezeigt, dass weder RAAS-Hemmer noch Ibuprofen bezüglich einer SARS-CoV-2-Infektion bedenklich sind und daher auch kein Grund besteht, diese wichtigen Medikamente für die Behandlung chronischer Schmerzpatienten abzusetzen. Auch für Opioid-Analgetika sind keine negativen Auswirkungen im Zusammenhang mit COVID-19 belegt. „Nicht die Schmerztherapie, sondern unbehandelte Schmerzen schwächen das Immunsystem und stellen damit ein Risiko dar“, stellt Stromer klar.

Anna Rauchenberger

OÄ Dr. Waltraud Stromer, Vizepräsidentin der ÖSG, Landesklinikum Horn und Moorheilbad Harbach

Auch dringende schmerztherapeutische Maßnahmen müssten während der Pandemie unbedingt durchgeführt werden, etwa neurolytische Nervenblockaden für refraktorische oder therapierefraktäre Schmerzen bei fortgeschrittener Krebserkrankung, vertebrale Augmentation zur Linderung akuter Schmerzen und Vermeidung von Immobilität sowie interventionelle Behandlung des Komplexen Regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) zur Linderung von Schmerzen sowie zur Vermeidung möglicher Langzeitbehinderungen.

Qualitätsstandard „Unspezifischer Rückenschmerz“

Auch wenn die COVID-19-Pandemie derzeit alle anderen Gesundheitsthemen überlagert, so gibt es doch Neues aus dem Bereich der Schmerzmedizin zu berichten. So hat eine Projektgruppe im Auftrag des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz den österreichischen Qualitätsstandard „Unspezifischer Rückenschmerz“ erstellt. „Das ist ein Meilenstein“, bekräftigt Stromer – auch wenn es sich vorerst noch um ein Arbeitspapier handelt. Dieser Qualitätsstandard enthält 14 Empfehlungen für den Ablauf von Diagnose, Therapie und Nachbehandlung von Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen. Die Empfehlungen basieren auf dem Konzept einer abgestuften Versorgung auf drei Ebenen (Basisversorgung, spezialisierte Versorgung, hochspezialisierte Versorgung). „Der Qualitätsstandard sorgt dafür, dass Rückenschmerzpatienten jeweils zum richtigen Zeitpunkt die angemessene Behandlung in der richtigen Versorgungseinrichtung erhalten und die Therapie leitliniengerecht verläuft“, erklärt die Schmerzmedizinerin. Die Koordination für den gesamten Versorgungsprozess übernimmt demnach ein behandlungsführender Arzt.

Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, MSc, Generalsekretär der ÖSG, Leiter der Abteilungen für Anästhesie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt am Wörthersee sowie am LKH Wolfsberg, verweist auch auf das „Update der evidenz- und konsensbasierten Österreichischen Leitlinie für das Management akuter, subakuter, chronischer und rezidivierender unspezifischer Kreuzschmerzen 2018“, das auf Basis wissenschaftlicher Evidenz und Expertenempfehlungen den optimalen Behandlungspfad und die Sinnhaftigkeit von zusätzlichen Maßnahmen beschreibt. „Wenn die Leitlinie konsequent eingehalten wird, sollten Kreuzwehpatienten künftig rascher wirksame Hilfe erfahren und überflüssige Bildgebung oder Wirbelsäulenoperationen der Vergangenheit angehören“, ist Likar überzeugt.

B&K/APA-Fotoservice/Reither

Prim. Univ.- Prof. Dr. Rudolf Likar, Generalsekretär der ÖSG, Klinikum Klagenfurt am Wörthersee

1,9 Millionen Betroffene

Die österreichischen Schmerzwochen finden heuer zum 20. Mal statt. „Für uns ist es ein besonderes Jahr“, bekräftigt Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic, Präsident der ÖSG und Leiter der Abteilung Neurologie am Salzkammergut-Klinikum in Vöcklabruck: „Die Schmerzwochen haben sich inzwischen zu einer der am längsten laufenden Awareness-Kampagnen im Medizinbereich entwickelt.“ Der Fokus liegt im Jubiläumsjahr auf dem Thema Rückenschmerz – im Einklang mit der entsprechenden internationalen Kampagne der International Association for the Study of Pain (IASP) und der Europäischen Schmerzföderation (EFIC).

Anna Rauchenberger

Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic, Präsident der ÖSG, Salzkammergut-Klinikum Vöcklabruck

„Unspezifische Kreuzschmerzen sind leider ein sehr verbreitetes Gesundheitsproblem“, sagt Mitrovic. Rechnet man eine repräsentative Gesundheitsbefragung der Statistik Austria hoch, so sind 1,9 Millionen Österreicher von chronischen Kreuzschmerzen oder einem anderen chronischen Rückenleiden betroffen.