13. Apr. 2020

Lipide im Auge behalten: Zusammenarbeit ist wichtig

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Neben Vererbung scheinen für die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) die gleichen Risikofaktoren wie für Herz-Kreislauf- Erkrankungen ausschlaggebend zu sein. Warum daher eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Augenärzten, Hausärzten und Internisten wichtig ist, erklärt der Grazer Augenarzt Dr. Andreas Borkenstein. (Medical Tribune 15-16/20)

Wie häufig ist AMD und welche Risikofaktoren sind bekannt?

Borkenstein : Die Makuladegeneration ist die häufigste Augenerkrankung, die bei über 60-Jährigen zu schwerem Sehverlust oder Sehbehinderung führt. 8–10 % der 50-Jährigen, 20 % der 70-Jährigen und mehr als 30 % der über 80-Jährigen sind betroffen. Die Pathogenese ist multifaktoriell, wobei neben der Vererbung (wichtigster Faktor) Rauchen und Sonnenlicht eine entscheidende Rolle spielen. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Einfluss von Adipositas, Hypercholesterinämie, Hypertonie sowie der Lebensstil und die Ernährung sind seit vielen Jahren in Diskussion. In letzter Zeit wird immer offensichtlicher, dass für AMD ähnliche Risikofaktoren gelten wie auch für kardiovaskuläre Erkrankungen (z.B. Atherosklerose).

Kann man einer AMD vorbeugen oder schwere Verläufe stoppen?

Dr. Andreas Borkenstein: «Das Zuweisen zum Fachkollegen ist essenziell, damit der Patient nicht auf der Strecke bleibt.»

Borkenstein : Eine gängige Klassifikation unterscheidet frühe, mittlere und späte Formen bzw. trockene und feuchte AMD. Die trockene AMD (ca. 80–90 % aller Fälle) schreitet eher langsam voran, es entstehen Drusen in der Makula (Gelber Fleck) und eine geographische Atrophie (Abb. oben). Patienten bemerken ein Skotom zentral, mittig, störend vor allem beim Lesen. Bei der feuchten AMD (ca. 10–20 % aller Fälle) können zusätzlich Blutungen und Ödeme entstehen (choroidale Neovaskularisationen, CNV) und die Netzhaut verdickt sich, es kommt zu Metamorphopsien. Was viele nicht wissen: Die trockene Form kann in die feuchte übergehen, aber auch wieder zurück in die trockene.

Bei der trockenen Form wird konservativ behandelt, indem man versucht, Risikofaktoren zu minimieren, um die Progression zu verlangsamen. Die Ernährung ist dabei ein Hauptfaktor. Die großen Studien AREDS 1 und AREDS 2 (Age-Related Eye Disease Study) konnten zeigen, welche Vitamine und Spurenelemente entscheidend sind: Vitamin C, E, Betacarotin, Zink, Kupfer. Jedoch sollte beachtet werden, dass Betacarotin in hoher Dosierung für Raucher und ehemalige Raucher das Lungenkrebsrisiko stark erhöhen kann. Daher enthalten die modernen Präparate statt Betacarotin nun v.a. Lutein, Zeaxanthin und Omega-3-Fettsäuren.

Ernährungstechnisch empfiehlt man eine mediterrane Kost mit viel Fisch, grünem Gemüse wie Salat, Brokkoli, Spinat und Karotten. Vitaminpräparate sollten natürlich niemals überdosiert werden. Eine Interaktion mit Hausärzten (Laborkontrollen) ist entscheidend! Bei der feuchten AMD gibt es die Möglichkeit der intravitrealen Injektion (IVOM) von VEGF-Hemmern (Anti-Vascular Endothelial Growth Factor), um Gefäßneubildungen und Blutungen entgegenzuwirken. Hier konnten in den letzten Jahren deutliche Fortschritten erzielt werden und es sind bereits mehrere potente Präparate verfügbar.

Was empfehlen Sie also für die Primärprävention?

Borkenstein : Neben der Ernährung ist ein wichtiger Faktor die Vermeidung von zu viel Sonnenlicht – also das regelmäßige Tragen einer Sonnenbrille von Kindheit an – gerade bei gleißendem Licht (Gletscher, Berg, Strand). Leider ist es zu spät, wenn die erste Sonnenbrille im 87. Lebensjahr und bei bereits fortgeschrittener AMD besorgt wird. Ich vergleiche es immer mit den „Pack Years“ und dem Krebsrisiko bei Rauchern. Das sollte jeder verstehen! Ab 55–60 wird die jährliche Präventivuntersuchung beim Augenarzt empfohlen, der mithilfe der optischen Kohärenztomographie (OCT) schon sehr früh (oftmals vor Symptomen) geringste Veränderungen der Makula erkennen kann (Abb. Mitte und unten).

Weshalb ist Ihnen die Zusammenarbeit mit Hausärzten und Internisten so wichtig?

Borkenstein : Die Fallzahlen nehmen zu, nicht nur weil die Menschen älter werden, sondern auch aufgrund der Lebensweise: ungesunde Ernährung mit Übergewicht und höhere Cholesterinwerte. Es gibt Studien, die versucht haben, den Zusammenhang zwischen Risikofaktoren und Pathogenese der AMD und Atherosklerose aufzuzeigen. Die MARS-Studie1, die „Münsteraner Altern- und Retina-Studie“, hat schon 2004 in einer großen epidemiologischen Untersuchung bestätigt, dass Gesamtcholesterinwerte und LDL-Cholesterinwerte im Serum mit AMD-Schweregraden korrelieren und sich das auch im Quotienten zwischen Gesamtcholesterin zu HDL-Cholesterin widerspiegelt.

Die Beobachtung von mir in der Praxis ist, dass Hausärzte oder Internisten bei erhöhten Cholesterinwerten zwar kardiovaskulär (internistisch) perfekt abklären, aber dann bei gutem Befund den Patienten sagen: „Sie sind erst 59, das Cholesterin ist zwar erhöht, aber wir müssen derzeit nichts tun, kardiologisch ist alles ok. Kommen Sie in ein bis zwei Jahren wieder.“ Dieses Spielchen kann sich über mehrere Jahre erstrecken, parallel kann (still und heimlich) die AMD entstehen. Die Problematik aus meiner Sicht: Für den Patienten ist es nicht verständlich, dass er seine Augenanamnese (Mutter hatte AMD) dem Hausarzt mitteilen sollte, andererseits meldet der Patient beim Augenarztbesuch nicht seine veränderten bzw. erhöhten Laborwerte. Durch diese „Non-Communication“ verlieren wir wertvolle Zeit – das ist schade! Wir müssen zusammenarbeiten.

Auch bei einem günstigen Quotienten mit hohem HDL-Cholesterin gibt es keine Entwarnung?

Borkenstein : Nein, eine Studie von Burgess et al.2 konnte zeigen, dass erhöhtes HDL-Cholesterin ein potenzieller Risikofaktor sein kann mit ungünstigen Auswirkungen bei AMD-Patienten. Augenärzten ist vermehrt aufgefallen, dass IVOM-Therapien bei Patienten in gutem Allgemeinzustand (BMI < 30), deren Laborwerte (inkl. Cholesterin) normal sind, eine AMD-Progression effektiver verlangsamen können. Das sind bisher nur klinische Beobachtungen, die sich allerdings mit den Studienergebnissen sehr gut decken. So gab es auch Tierstudien, bei denen Makulaveränderungen durch cholesterinreiche Fütterung ausgelöst werden konnten. Man vermutet derzeit, dass Cholesterin gemeinsam mit genetischen Faktoren, Sonnenlicht und Rauchen eine wichtige Rolle spielt.

Ganz konkret: Dem Hausarzt oder Internisten fallen leicht erhöhte Cholesterinwerte auf, aber das Herz ist gesund – was ist dann zu tun?

Borkenstein : In diesem Fall wäre es gut – so wie auch bei Diabetikern üblich –, eine Augenanamnese zu erheben und im Bedarfsfall zum Facharzt für Augenheilkunde zu überweisen, insbesondere bei über 50-Jährigen mit Risikofaktoren oder positiver AMD-Familienanamnese. Werden bei der Fundoskopie oder in der OCT kleinste Veränderungen sichtbar, sollten unverzüglich die genannten Parameter – gemeinsam als Team (Hausarzt/Internist/Augenarzt) – eingestellt werden.

Wie funktioniert diese Zusammenarbeit bisher, hat Ihr Engagement schon gefruchtet?

Borkenstein : Im Kleinen (mit einigen Kolleginnen und Kollegen) funktioniert das schon sehr gut, ähnlich wie bei Diabetes-Patienten. Risikopatienten werden vom Hausarzt/Internisten zum Augenstatus und zur Netzhautuntersuchung zugewiesen. Das Auge ist bekanntlich die einzige Stelle im Körper, an der man Gefäße (ohne Ultraschall) sehr gut und mit wenig Aufwand exakt beurteilen kann (z.B. Arterieller Hypertonus oder Diabetes). Wir schicken Patienten dann mit ausführlichem Befund zurück, dann wird gemeinsam die Medikation eingeleitet. Dieses Vorgehen bringt eine „Triple-Win“-Situation. Patienten fühlen sich gut aufgehoben und Hausarzt sowie Augenarzt erreichen schneller das gemeinsame Ziel einer effektiven Therapie.

Wie oft sind Kontrollen nach einer ersten gemeinsamen Risikoerhebung bzw. einer Ersteinstellung nötig?

Borkenstein : Wir machen meist eine Kontrolle nach sechs Monaten, kontrollieren dann nochmals das Blutbild und die OCT. Bei sehr schweren Formen mit IVOM-Therapie sind Kontrollen alle vier Wochen notwendig. Bei Personen mit entsprechender Lebensweise und Typ-2-Diabetes kann sich zusätzlich im Alter eine AMD entwickeln, auch in diesen Fällen kann man als Team zielgerichteter vorgehen.

Schicken Sie Ihrerseits auch Patienten zum Hausarzt?

Borkenstein : Ja, vice versa; wenn ich bei einem 60-Jährigen neu aufgetretene Drusen erkenne oder eine winzige Netzhautblutung, dann wird dieser sofort zum Hausarzt oder Internisten geschickt. Man sollte diverse mögliche Ursachen und Auswirkungen im Kopf haben, auch wenn es nicht das eigene Spezialgebiet ist. Das Zuweisen zum Fachkollegen ist daher essenziell, damit der Patient nicht auf der Strecke bleibt. Hybris und arrogante Denkweise nach dem Motto: „Ich weiß alles am Besten“ sollten der Vergangenheit angehören!

Was liegt Ihnen zur aktuellen Corona-Pandemie aus augenärztlicher Sicht am Herzen?

 Borkenstein : SARS-CoV-2 kann bei 3–5 % aller Fälle eine Konjunktivitis hervorrufen und durch eine Tröpfcheninfektion bei Kontakt mit der Bindehaut oder durch Tränenflüssigkeit übertragen werden. Einige Studien postulierten für HNO-Ärzte und Augenärzte das höchste Ansteckungsrisiko aufgrund der räumlichen Nähe und des direkten Kontaktes bei den Untersuchungen. Deshalb gelten auch bei uns höchste Vorsichtsmaßnahmen. Umgekehrt sollte man als Praktischer Arzt auch bei Patienten mit Corona-untypischen Symptomen (gerötetes oder juckendes Auge) eigene Schutzmaßnahmen beachten und eine Corona- Infektion ausschließen.

1 Hense HW et al., Ophthalmologe 2004; doi: 10.1007/s00347-003-0868-1
2 Burgess S et al., Ophthalmology 2017; 124(8): 1165–1174. doi:10.1016/ j.ophtha.2017.03.024

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune