Neunerhaus Gesundheitszentrum: Solidarität mit Unähnlichen

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen. Nach diesem Motto lud das Neunerhaus Gesundheitszentrum in Wien zur Feier seines einjährigen Bestehens. Abgesehen von den üblichen Begrüßungsansprachen konnte man hier auch eine bewegende Ansprache der bekannten Philosophin und Publizistin Isolde Charim hören. Wie gut, wenn kluge Menschen mit Herz Ansprachen halten (was nicht immer selbstverständlich ist, wie ich soeben auf einer anderen Veranstaltung erlebt habe). „Und so erleben wir die Umwandlung der Gesellschaft in eine Festung“, führte Charim aus, um auf politische Gründe der steigenden Not vieler Menschen in unserem Land hinzuweisen. Und ein besonderer Satz, der nachdenklich machen und uns mit seiner beachtenswerten Logik aufrütteln soll: „Hier wird Solidarität mit Unähnlichen praktiziert!“

Obdachlos und krank

Viele Menschen, „die nicht so sind wie wir“: obdachlos und krank. Und diese Kombination ist keine Seltenheit. Bei Neunerhaus werden diese Menschen behandelt, die sonst unversorgt blieben. Ein schönes Beispiel, wie niederschwellige, effektive und effiziente Versorgung für diese benachteiligte Zielgruppe gelingen kann. Seit der Eröffnung erhielten hier 4.873 obdachlose, wohnungslose und nichtversicherte Menschen medizinische Versorgung und Beratung – ohne Angst vor Kosten. Von Allgemeinmedizin über Zahnmedizin bis zur Wundversorgung – und immer gekoppelt mit Beratung durch SozialarbeiterInnen. Möglich ist das durch eine Finanzierung des Fonds Soziales Wien und der Wiener GKK, guter Kooperation mit Ärzte- und Zahnärztekammer sowie durch Spenden und Kooperationen.

Als Palliativmediziner sehe ich viele Parallelen zwischen Neunerhaus und Palliative Care: Menschen, die im klassischen System oft an den Rand gedrängt werden, finden in diesen Bereichen die ihnen zustehende kompetente Behandlung und Beachtung. „Du bist wichtig, weil Du Du bist!“ So lautet ein bekannter Satz von Dr. Cicely Saunders, der 2005 verstorbenen Begründerin der Hospizbewegung. „Du bist wichtig“ – so lautet der Claim des Neunerhaus. Solidarität mit Unähnlichen! Was für ein schöner Zugang zum Menschen. Der einzig richtige. Zu allen Menschen.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune