19. Okt. 2018

Der Krankheitsgewinn

Wer kennt das Problem nicht? Die Arbeit zehrt einen schon seit gefühlten Ewigkeiten langsam, aber sicher aus, der Zahnarzt besteht darauf, dass die Weisheitszähne gezogen werden müssen, die Schule stellt noch ein paar zwangsfreiwillige Veranstaltungen für Eltern auf die Beine, Opas Pflegerin hat das Handtuch geworfen, und dann gibt auch noch die Waschmaschine ihren Geist auf. Oder das Auto. Und dann reißt das letzte Nervlein, und man bekommt so ein Gefühl des Schwebens im luftleeren Raum und sehnt sich nach einer ruhigen Gummizelle. Abgeschottet vom Lärm des Alltags, von den Anforderungen der Patienten, den Beschäftigungsideen der Lehrer und der Ignoranz der Mechaniker, die das kaputte Teil nicht rechtzeitig reparieren. Nicht einmal der Zahnarzt kann einen mehr erreichen. Und man schwebt vollgepumpt mit Goodies in einem weichen Bettchen vor sich hin und ist glücklich. So ungefähr kann man den primären und sekundären Krankheitsgewinn definieren.

L wie Leidensfähigkeit

Meist ist es ja nicht ganz so drastisch. Meist ist es nur der ganz normale Praxiswahnsinn, und nachdem ich den hundertvierundzwanzigsten Patienten mit einer banalen Erkältung krankgeschrieben habe, regt sich bei mir in schwachen Momenten auch der Wunsch nach so einem kleinen Gripperl. Nach ein paar Tagen in meinem schönen Bettchen mit duftender weicher Bettwäsche, einem schnurrenden Kater, der sich an mich kuschelt, und einem Göttergatten, der mir Tee und Suppe kocht und mir sagt, wie arm ich bin. Doch halt! Dieser Gedanke ist gefährlich, und ich bemühe mich auch gleich, ihn wieder aus meinem Hirn zu vertreiben. Bitte, bitte, nicht krank werden! Bitte, liebes Hirn, denk an etwas anderes. Manchmal tut es mir den Gefallen, manchmal aber auch nicht.

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Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune