„Die Allgemeinmedizin ist mein Traumberuf“
Es gibt sie doch noch: junge Mediziner in Österreich, die sich nach der abgeschlossenen Ausbildung direkt ins Abenteuer „Kassenpraxis“ stürzen. MT besuchte Allgemeinmediziner Dr. Jakob Steinmann, Jahrgang 1984, in seiner Ordi in Wien. (Medical Tribune 40/18)
Medizin studieren? Sofort … fast egal wo. Nach der Ausbildung jedoch wird den Jungärzten von heute nachgesagt, wählerisch zu sein: Sich als Allgemeinmediziner niederzulassen, haben nur sehr wenige Studierende und Absolventen zum Ziel. Als „Einzelkämpfer“ eine Praxis zu schupfen, scheint sich mit den Anforderungen einer modernen Lebensplanung kaum mehr vereinbaren zu lassen. Das vermelden zumindest (Standes-)Politik und Medien regelmäßig. Dr. Jakob Steinmann ist Jahrgang 1984. Er kann mit den Charakterisierungen seiner Generation wenig anfangen. Er selbst habe seine Leidenschaft für die Allgemeinmedizin im Studium entdeckt, erzählt er. Diese biete einem Einblick in verschiedene klinische Fachgebiete. „Nach der Absolvierung des Turnus und Erlangung des ius practicandi machte ich Praxisvertretungen“, schildert der junge Kollege seinen Werdegang. „Dabei lernte ich den Alltag in einer Ordination für Allgemeinmedizin von allen Standpunkten kennen: medizinisch, organisatorisch, wirtschaftlich und verwaltungstechnisch.“
Steigerung der Patientenzahlen um über 60 Prozent
Die Ordination des jungen Herrn Doktor befindet sich in der Siedlung Kabelwerk, einer trendigen Gegend im Süden Wiens mit hervorragender Infrastruktur. Wie in der Hauptstadt üblich, löste Steinmann seiner Vorgängerin, die in Pension ging, ein Drittel des Patientenstamms finanziell ab. Hinzu kamen Renovierungskosten im sechsstelligen Eurobereich. Die Praxisräumlichkeiten sind nun modern und freundlich ausgestattet und barrierefrei. Völlig unbeschwert sei die erste Zeit – nachdem er im April 2017 den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt hatte – nicht gewesen, gesteht Steinmann ein. „Zu Beginn war die größte Herausforderung, wie sich medizinisch, wirtschaftlich, organisatorisch, personell und bürokratisch alles vereinbaren lässt“, bietet er Einblicke.
„Der Medizin konnte ich am Anfang nur ein Drittel meiner Arbeitszeit widmen. Das hat sich innerhalb eines Jahres Gott sei Dank stark geändert: Mittlerweile nimmt sie zwei Drittel ein.“ Auch wirtschaftlich gehe sich nach dem ersten Jahr alles gut aus, gibt Steinmann sich erleichtert: Er konnte die Patientenzahl seiner Vorgängerin um über 60 Prozent steigern. In der Kabelwerksiedlung wohnen viele Jungfamilien. Der Patientenstamm ist trotzdem bunt gemischt: vom Kleinkind bis zur 98-Jährigen. Die Leute kommen auch von weiter her, da sie die Ordination sowohl per PKW als auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichen. Es steht für die Siedlung ein öffentliches Besucherparkdeck mit moderaten Preisen zur Verfügung.
Guter Austausch mit Ärzten und Therapeuten im Grätzel
Als „Einzelkämpfer“ fühlt Steinmann sich nicht in seiner Ordination. Er hat zwei Assistentinnen und arbeitet mit Wahl- und Kassenärzten der Umgebung zusammen. Der Jungmediziner findet auch, dass sich der Beruf Allgemeinmediziner gut mit dem Privatund Familienleben vereinbaren lässt. In einem Primary Health Care Center hätte er sich nicht vorstellen können zu arbeiten. „Die Patienten wollen ja auch wirklich einen Hausarzt als ihren persönlichen Ansprechpartner“, gibt er zu bedenken. Er setze lieber auf ein gutes interdisziplinäres Netzwerk mit Medizinern und Therapeuten im Bezirks-Grätzel. Diese hätten ihn – ebenso wie die Patienten – trotz seiner relativen Jugend sofort akzeptiert. Das Praxisteam ist bemüht, die Wartezeiten für die Patienten kurz zu halten. Dazu soll z.B. beitragen, dass Dauerrezepte auf der Homepage vorbestellt werden können. Zusätzlich zum Standardangebot eines Allgemeinmediziners bietet Steinmann z.B. Therapie Aktiv an.
„Meine Diabetes-Betroffenen nehmen das gerne in Anspruch“, schildert er. „Es ist ein gutes Tool der Kassen: medizinisch wertvoll und wenig bürokratisch.“ Auch Hausbesuche macht der junge Herr Doktor regelmäßig. „Ich erlebe diese nicht als belastend, sondern sehr positiv“, hebt er hervor. „Sie bieten mir eine tolle Möglichkeit, mir ein Gesamtbild der Patienten und ihres familiären Umfelds zu machen.“ Auf der Homepage des „Kabelwerkarztes“ ist zudem hervorgehoben, dass sechs Sprachen in der Ordination gesprochen werden. „Ich selbst beherrsche neben meiner Muttersprache Deutsch noch Englisch und ein wenig Französisch“, relativiert Steinmann, angesprochen auf sein Sprachtalent, schmunzelnd. „Darüber hinaus habe ich Altgriechisch in der Schule gelernt. Das hat mir viel im Studium geholfen. Meine Assistentinnen decken die übrigen lebenden Sprachen ab: Italienisch, Slowenisch und Serbokroatisch.“
Kontakt mit allen Bevölkerungsschichten
Da der Arztberuf zunehmend zum Mangelberuf wird, soll es heute im Spiel von Angebot und Nachfrage viel leichter für Absolventen des Medizinstudiums sein, eine Kassenstelle zu bekommen, als für die frühere Ärztegeneration. Ob es Mitbewerber für die Übernahme seiner Ordination gegeben hat, weiß Steinmann allerdings nicht. Nur, dass ihm die Stelle seiner Vorgängerin angeboten wurde und dass er genug Punkte hatte (siehe „Eckpunkte einer Kassenpraxis“). Ebenso wenig könnte der junge Kollege für sein Grätzel bestätigen, dass die Allgemeinmedizin ein Mangelberuf sei. Zumal es in der näheren Umgebung fünf weitere Allgemeinmediziner gibt, welche „sich sehr engagiert um die Versorgung der Bewohner des Bezirksteils kümmern“. Seinen Beruf empfiehlt Steinmann gerne weiter: „Ich bin mit meiner aktuellen Situation sehr zufrieden“, resümiert er. „Den Schritt in die Selbstständigkeit habe ich nicht bereut. Die Allgemeinmedizin ist zu meinem Traumberuf geworden. Möge es zukünftigen Kollegen genauso gehen!“ Was er ganz besonders schätzt an seiner Profession? – wollen wir zuletzt noch wissen. „Den Kontakt mit allen Bevölkerungsschichten“, antwortet der Jungarzt. „Und dass ich leidenden und kranken Menschen bei der Genesung helfen kann.“
Eckpunkte einer Kassenpraxis
„Kassenverträge werden in den meisten Bundesländern nach einem offenen Punktesystem an den Bewerber mit der höchsten Punktezahl vergeben. Die Kriterien, für die bestimmte Punkte vergeben werden, liegen bei den jeweiligen Landesärztekammern auf und können dort eingesehen werden. In der Tat sind aktuell (2016) in ganz Österreich etwa 70 Kassenstellen für Allgemeinmediziner unbesetzt, weshalb – eine gewisse geografische Flexibilität vorausgesetzt – Punktelisten langsam an Bedeutung verlieren. Bei der direkten Übernahme einer Kassenpraxis ist mitunter an den Seniorarzt eine Ablöse für den ,ideellen Wert, den Patientenstock‘ zu bezahlen. Auch dies ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt, orientiert sich zumeist an einem Prozentsatz der letzten beiden Jahresumsätze, verliert bei der schwindenden Zahl an Nachfolgebewerbungen aber ebenso an Bedeutung. Können Räumlichkeiten und/oder Gerätschaften mit übernommen werden, sind diese natürlich ihrem Zeitwert nach in freier Vereinbarung abzulösen.“
Praxissteckbrief
Dr. Jakob Friedrich Steinmann Arzt für Allgemeinmedizin
Gertrude-Wondrack-Platz 1/1.01, 1120 Wien
Tel.: 01/667 26 86
Internet: www.kabelwerkarzt.com
Leistungen: Allgemeinmedizin, Blutabnahme, Harnuntersuchung, EKG, Infusionen, Vorsorgeuntersuchungen, Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen, Führerscheingutachten, Atteste, Hausbesuche, Impfungen und Impfberatung, Therapie Aktiv
Quelle und Buchtipp
Österreichische Ärztekammer: Traumberuf Ärztin/Arzt für Allgemeinmedizin.
Eine Standortbestimmung.
Verlagshaus der Ärzte, 2. Auflage 2017, 64 Seiten,
ISBN 978-3-99052-173-1, 14,90 Euro