7. Mai 2018

MT50: Bilder sagen manchmal mehr als tausend Worte (14/1989)

Stethoskop auf einem Tisch in einer Arztpraxis, Schwarz-Weiß-Poster
Kichigin/GettyImages

Authentische, teils geradezu spektakuläre Bilder sind Teil der DNA der Medical Tribune – und genauso wichtig wie die Textbeiträge an sich. Von Beginn an sorgten gerade auch die medizinischen Fotos in der MT für Gesprächsstoff unter Österreichs Ärzten. Bilder wie jene zur Zungen-Nekrose sieht man nicht alle Tage, kaum ein Arzt bekommt sie in Anbetracht ihrer Seltenheit in der täglichen Praxis zu Gesicht. Da im Fall des Falles aber rasches Handeln angesagt ist, sollte jeder Arzt über die Ursachen von Durchblutungsstörungen der Zunge Bescheid wissen, wie die Medical Tribune 1989 berichtete.

Folgender Artikel erschien am 7. April 1989:

Zungen-Nekrose

Was hätten Sie getan?

NEUSS – Dank ihrer reichlichen Blutversorgung sind Durchblutungsstörungen der Zunge oder gar Zungennekrosen sehr seltene Ereignisse. Kaum ein Arzt bekommt sie je in seiner Praxis zu Gesicht. Da aber für manche dieser Zungen eine schnelle Diagnosestellung von vitaler Bedeutung sein kann, sollte jeder Arzt über die Ursachen von Durchblutungsstörungen der Zunge Bescheid wissen und auch die Therapiemöglichkeiten kennen.

Von klinischer Bedeutung sind besonders arterielle Durchblutungsstörungen der Zunge. Ätiologisch spielt dabei die Horton-Riesenzellarteriitis eine große Rolle. Migräneartige Kopfschmerzen, allgemeine Gliederschmerzen, zentralnervöse Symptome bis hin zu Apoplexien und Erblindung, Aortensyndrom, Angina pectoris, Myokardinfarkt und Nierenfunktionsstörungen gehören ebenso zum Symptomenbild dieser Autoimmunerkrankung wie Appetitlosigkeit, Erbrechen und Gewichtsverlust. Weniger beachtet wurden bisher ischämische Attacken im Zungenbereich: Schmerzhafte Schwellungen, Sprech- und Schluckschwierigkeiten, schließlich auch Zungenulzerationen bis hin zu Nekrosen.

Jede schmerzhafte Zungenschwellung, kombiniert mit einer Ulzeration oder einer Zungennekrose, sollte sofort an einen M. Horton denken lassen. Besonders dann, wenn ältere Frauen über heftige Kopfschmerzen klagen, ist dies von entscheidender Bedeutung, denn ergotaminhaltige Analgetika, die regelmäßig bei migräneartigen Kopfschmerzen verordnet werden, wären genau das falsche. Die Durchblutungsstörungen der Zunge würden sich nämlich verschlechtern. Hochdosierte Kortisonbehandlung ist das Mittel der Wahl, so daß die Patienten schon nach wenigen Tagen beschwerdefrei werden.

Wesentlich seltener, dafür umso dramatischer, verlaufen Durchblutungsstörungen der Zunge infolge venöser Abflußstörungen. Diese treten z. B. dann auf, wenn der Mundboden oder der Zungengrund während wiederholter und forciert durchgeführter Intubationsversuche traumatisiert wird. Auch Phlegmonen im Mundbodenbereich können durch Ödembildungen den venösen Abfluß aus der Zunge soweit behindern, daß eine maximale Schwellung der Zunge eine Nottracheotomie zu Lebensrettung notwendig macht.

Quelle: Prof. Dr. H. J. Schultz-Coulon, Klinik für HNO-Krankheiten am Lukaskrankenhaus Neuss, und A. Laubert, HNO-Klinik Hannover; HNO (1988), 36. Jg., S. 49–53

 

Zu den Bildern:

Das ist keineswegs ein Zahn, der die Zungenspitze verdrängt. Was hier zu sehen ist, ist die Demarkation einer Zungenspitzennekrose bei Riesenzellarteriitis Horton.

Hochdosierte Kortisontherapie brachte dieser 73jährigen Patientin in wenigen Tagen eine nahezu dramatische Besserung ihrer Beschwerden und eine saubere Heilung der Zunge.

Diese 80jährige Patientin entwickelte eine akute Zungenspitzennekrose, deren Ursache im dunkeln blieb. Vermutet wird eine arteriosklerotische Mikrozirkulationsstörung. Im weiteren Verlauf demarkiert sich die Zungenspitze und die Verletzung heilt ab. Wegen des fortgeschrittenen Alters der Patientin verzichtete man auf eine weitere diagnostische Abklärung.

Eine gigantische Zungenschwellung ging bei diesem Mann in eine Totalnekrose mit ausgedehnter Mundbodenphlegmone über. Der 52jährige Patient (ein Alkoholiker) verstarb an ischämischem Linksherzversagen. Selbst höchste Kortisondosen konnten ihn nicht retten. Verdachtsdiagnose: Zungenvenenthrombose, auf die sich infolge einer Abwehrschwäche die phlegmonöse Entzündungsreaktion aufgepfropft hat.

Alle Abb. aus: HNO 36. Jg. (1988), S. 79 u. 80

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune