28. Feb. 2024Tag der Seltenen Erkrankungen

Rare Diseases: Wie Emilia und andere Betroffene gut leben

Am 29. Februar, dem Welttag der Seltenen Erkrankungen, rücken Betroffene ins Rampenlicht, so z.B. Emilia aus Tirol, die eine strenge Diät einhalten muss. Initiativen wie „Education and Care in RARE“ in Wien oder die RHEUMALIS Stofftiersprechstunde-App erleichtern vieles – und in Linz gibt es ein Fest für die Superheldinnen und Superhelden.

tirol kliniken/Johannes Schwamberger
Sabine Scholl-Bürgi, Emilia Ölz, Teresa Ölz, Johannes Zschocke und Coco (Assistenzhund)

Emilia ist heute 14 Jahre alt. Sie kann überall dabei sein, muss aber immer eine streng ketogene Diät einhalten. „Ich wiege jede einzelne Mahlzeit von Emilia genau ab“, berichtet ihre Mutter auf einer Pressekonferenz der tirol kliniken, „jeder Bissen, den sie zu sich nimmt, muss vorher kontrolliert worden sein.“ Brot, Reis, Kartoffeln und Nudeln sind tabu. Grund ist eine seltene angeborene Stoffwechselstörung namens GLUT1-Defizienzsyndrom.

Bei dieser seltenen Erkrankung fehlt genetisch bedingt der Glukose-Transporter Typ 1, weshalb nicht genug Traubenzucker aus dem Blut ins Gehirn gelangt. Wegen des Energiemangels kommt es zu zerebralen Krampfanfällen, einer verzögerten Entwicklung und Bewegungsstörungen. Das war auch bei Emilia der Fall: Nach dem Abstillen kam es zu vielen epileptischen Anfällen und später zusätzlich zu Gangstörungen.

„Endlich hatte die Krankheit einen Namen“

Nach einigen Fehldiagnosen konnte die Innsbrucker Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde die richtige Diagnose stellen. „Endlich hatte die Krankheit einen Namen. Endlich wussten wir, was los ist“, berichtet die Mutter. Damit konnte auch die richtige Behandlung starten – eine Ernährung mit nur sehr wenigen Kohlenhydraten, dafür sehr fettreich.

„Die ketogene Ernährungstherapie ist in diesem Fall einem Medikament gleichzusetzen“, erklärt ÖÄ PD Dr. Dipl. oec. troph. Sabine Scholl-Bürgi, Geschäftsführende Oberärztin der Kinderklinik (Pädiatrie I) und behandelnde Ärztin. Die Ketonkörperkonzentration im Blut müsse täglich kontrolliert werden. Unterschreiten die Ketonkörper einen bestimmten Wert, können innerhalb kürzester Zeit Symptome auftreten.

Nase von Pudel Coco beugt Anfällen vor

Im Grunde dürfe Emilia nicht mehr Kohlenhydrate essen, als in 100g Karotten vorhanden seien, „alles andere hat für sie einen starken Anfall zur Folge, der meist im Krankenhaus endet“, verdeutlicht ihre Mutter. Seit fast 5 Jahren ist Pudel Coco an der Seite von Emilia, auch bei der Pressekonferenz. Als Signalhund erschnüffelt er ein Absinken der Ketonkörper und schlägt rechtzeitig an – seither hatte Emilia nie wieder einen Anfall.

tirol kliniken/Johannes Schwamberger

Coco, Signalhund

Die Mehrheit der seltenen Krankheiten, darunter auch das GLUT1-DS, sei auf genetische Veränderungen zurückzuführen, erläutert Univ.-Prof. Dr. Johannes Zschocke, PhD, Direktor des Zentrums für Seltene Krankheiten in Innsbruck (ZSKI). „Die Erforschung dieser Veränderungen, ihre Vererbbarkeit und ihre Folgen, stehen derzeit im Mittelpunkt der Forschung des Innsbrucker Instituts für Humangenetik“, sagt Zschocke.

Österreichweit ist Emilia eine von rund 15 Kindern und Jugendlichen, bei denen das GLUT1-DS bekannt ist. 6 davon werden an der Innsbrucker Kinderklinik betreut. In ihrer Gesamtheit sind seltene Erkrankungen (mehr als 5 Betroffene von 10.000 EW) gar nicht so selten: Es gibt ca. 7.000 unterschiedliche seltene Erkrankungen bei etwa 7% der Bevölkerung – also bundesweit rund 500.000 Patientinnen und Patienten.

Kindgerechtes Programm und Instrument für Erwachsene

In Wien wurde anlässlich des Tages der Seltenen Erkrankungen das nach eigenen Angaben weltweit erste Programm zur Psychoedukation von Kindern und Jugendlichen vorgestellt (siehe Bericht auch hier). Es trägt den klingenden Namen „Education and Care in RARE“ und wurde von einem interdisziplinären Team um Kinderärztin Dr. Julia Vodopiutz, Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde von MedUni Wien und AKH Wien, entwickelt.

„Bislang hatten wir für den Großteil der seltenen Krankheiten kein kindgerechtes Informationsmaterial, sodass wir Kindern bei Mitteilung einer lebensverändernden Diagnose kein Anschauungsmaterial zur Verfügung stellen konnten“, erklärt Vodopiutz die Hintergründe. Das Behandlungsteam konnte auch nicht auf ein Psychoedukationsprogramm zurückgreifen, um die psychosoziale Last zu beeinflussen. „Das wollten wir ändern – und uns zugleich ein Instrument zur ressourcenstärkenden Intervention in die Hand geben“, sagt die Kinderärztin.

Seltenen Erkrankungen einen Namen geben

Das Programm könne individuell an den aktuellen Entwicklungsstand des Kindes angepasst und bei allen pädiatrischen seltenen Erkrankungen angewendet werden. Zentral sei dabei die Kompetenz, die eigene seltene Erkrankung benennen und erklären zu können – denn viele hätten nicht einmal einen Namen. „Es hat sich gezeigt, dass es sinnvoll ist, mit den Kindern verschiedene Namen für ihre seltene Erkrankung zu finden“, schildert Vodopiutz aus der Praxis, um das „sprachliche Rüstzeug“ je nach Umfeld zu haben.

„Education and Care in RARE“ ziele auch auf die Etablierung eines qualitätsgesicherten Informations- und Kompetenztransfers vom interdisziplinären Behandlungsteam zum Kind ab. „Damit verfügt das Team über Material zum aktiven Gestalten, um seltene Erkrankungen verständlicher kommunizieren zu können und begreifbarer zu machen“, betont Ao. Univ.-Prof. Dr. Susanne Greber-Platzer, MBA, Leiterin der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde von MedUni Wien und AKH Wien.

„Education and Care in RARE“ als bundesweites Angebot

Das Programm werde dankenswerterweise durch den Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) und die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) gefördert. Dadurch könne die Implementierung des Programms allen österreichischen pädiatrischen Einrichtungen, die in die Behandlung und Betreuung von seltenen Krankheiten involviert sind, angeboten werden.

Weltweit seien rund 300 Millionen Menschen von seltenen Erkrankungen betroffen, informiert die Medizinische Universität Wien abschließend. Als Zeichen der Solidarität beteiligen sich die MedUni Wien und das Univ.-Klinikum AKH Wien rund um den „Rare Disease Day“ an der „Global Chain of Lights“-Aktion: Die Eingangsbereiche werden in Grün, Blau, Pink und Lila – den Farben der Kampagne – leuchten.

Theo Tiger führt durch Stofftiersprechstunde-App

Die österreichische Patientenorganisation RHEUMALIS weist im Vorfeld des Welttages der Seltenen Erkrankungen auf die „RHEUMALIS Stofftiersprechstunde“-App hin – eine spielerische und informative App für Kinder mit Rheuma und ihre Ärztinnen und Ärzte. Die App soll die Wartezeit in der Ambulanz verkürzen und dabei spielerisch Wissen vermitteln. Außerdem sei sie eine zusätzliche „distanzmindernde Gesprächsunterstützung“ für das kindgerechte diagnostische Gespräch und die Erklärung von Untersuchungen und Medikationen.

Dabei führt Theo Tiger, der Hauptcharakter des neuen RHEUMALIS Buchs („Der Löwen-Alles-Tiger“) durch die App. Die „Stofftiersprechstunde“ sei bereits ein erprobtes Konzept: Da Kinder ungern vor Ärztinnen und Ärzten ihre Beschwerden und Probleme ansprechen, kommen sie mit einem Stofftier und erzählen dessen Beschwerden und Probleme.

„Durch Bildung, Forschung und Unterstützung können wir gemeinsam dazu beitragen, dass Kinder mit Rheuma die bestmögliche Versorgung erhalten und ein erfülltes Leben führen können. Unsere App soll ein Baustein sein, der die Kinder stärkt, und jene unterstützt, die sie behandeln und betreuen“, betont RHEUMALIS-Leiterin Karin Formanek.

Entwickelt wurde die kostenlose App* von RHEUMALIS gemeinsam mit erfahrenen (Kinder-)Rheumatologen und Experten für Online-Plattformen zur spielerischen Wissensvermittlung (Sponsoren: AbbVie, Novartis, Roche und Pfizer). Im Google Playstore ist die App mit dem Prädikat „von Pädagogen empfohlen“ ausgezeichnet.

KUK: International stark vernetzt

Das Linzer Kepler Universitätsklinikum (KUK) rückt die Herausforderungen und Fortschritte bei der Behandlung seltener Krankheiten sowie die starke internationale Vernetzung in den Fokus. Die pädiatrischen Spezialbereiche des KUK hätten sich in der Betreuung und Erforschung von zahlreichen Gruppen von seltenen Erkrankungen einen internationalen Ruf verschafft, heißt es in einer Aussendung.

Dazu zählen besonders Defekte der Bauchwand, Durchgängigkeitsstörungen des Darms, funktionelle Erkrankungen des Verdauungssystems, Hormonstörungen, Knochen- und Muskelerkrankungen sowie seltene Epilepsien. Insgesamt gibt es 26 Spezialambulanzen mit multidisziplinären Teams, die Beratung, Behandlung und Betreuung anbieten. Die Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde ist Teil des Europäischen Referenznetzwerks für seltene Wachstumsstörungen und Knochenerkrankungen.

Das Team unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Högler ist international vernetzt, mit dem Ziel, Zugang zu den neuesten Therapien zu ermöglichen. Die von Prim. Priv.-Doz. Dr. Simon Kargl geleitete Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie wiederum ist Teil des Europäischen Referenznetzwerks ERNICA für seltene angeborene Fehlbildungen. Diese Mitgliedschaft ermögliche nicht nur den Zugang zu gemeinsamer Forschung und internationalen Fortbildungen, sondern auch die klinischen Austauschprogramme für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Einladung zu Kinderfest mit Info, Spaß und Spiel

„Anlässlich des Tages der Seltenen Erkrankungen ist es uns wichtig, betroffenen Kindern und Familien eine Stimme zu geben, das Besondere dieser Kinder hervorzuheben und gemeinsam das Wissen über das Seltene zu vergrößern“, laden OÄ Dr. Johanna Ludwiczek, Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie, und OA Dr. Roland Lanzersdorfer, Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde, zu einem Kinderfest ein.

Neben Austausch und Information sollen „auch Spiel und Spaß nicht zu kurz kommen. Nachsatz: Für die Initiatorin und den Initiator des Kinderfestes ist jedes Kind mit einer seltenen Erkrankung „eine wahre Superheldin“ bzw. „ein wahrer Superheld“. Um das Bewusstsein für den Tag der Seltenen Erkrankungen zu schärfen, wird auch das Ars Electronica Center in Linz für einen Tag in den Farben der „Rare Diseases“ erstrahlen.