22. Feb. 2023Frauengesundheitsbericht

Frauen leben länger, sind aber kränker

Nach über zehn Jahren erscheint der vierte Frauengesundheitsbericht. Frauen leben etwa fünf Jahre länger als Männer, aber weniger lang gesund. Beim Frauenherzinfarkt grüßt noch immer das Murmeltier – wegen später Diagnose. Neu sind extreme Beauty-Ideale wie „Ab Crack“ oder „Bikini Bridge“.

Junge Frau wartet auf Termin im Krankenhaus oder im Büro
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Eine „Vielzahl von Faktoren“ in puncto Gesundheit von Frauen und Mädchen würden „in klassischen Gesundheitsberichten“ nicht angesprochen, macht die Erstautorin des Frauengesundheitsberichts Sylvia Gaiswinkler, MA (Gesundheit Österreich GmbH) bei der Präsentation am 16.02.2023 neugierig. Gemeinsam mit Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und DI Elka Xharo, Wissenschaftskommunikation und medizinische Informatikerin stellte sie den ersten Frauengesundheitsbericht* seit 2010/2011 vor – er ist der vierte insgesamt.

„Die Themen reichen von frauenspezifischen Erkrankungen über Fragen geschlechterspezifischer Versorgung bis zu den sozioökonomischen Faktoren wie einem erhöhten Armutsrisiko“, fährt Gaiswinkler fort.

Gender Data Gap

Als besondere Herausforderung bezeichnet der Frauengesundheitsbericht die mangelnde Datenlage. Daten seien entweder nicht vorhanden, nicht repräsentativ oder schwer zugänglich. Daher hält es das sechsköpfige Autorinnenteam für entscheidend, Daten künftig für Frauen in ihren unterschiedlichen Lebensphasen und Lebenslagen zu erheben – um zielgruppengenaue Analysen zu ermöglichen.

Derzeit gebe es auch in der Medizin einen Gender Data Gap, kritisierte Xharo. Viel zu lang sei vom Mann als standardisierte Norm ausgegangen worden: „Ob bei Medikamentenzulassungen oder bei Herzinfarktsymptomen, eine geschlechtergerechte Erhebung und Auswertung von Daten ist essenziell.“ Der neue Bericht leiste hierbei einen wertvollen Beitrag, um die spezielle Situation und Bedürfnisse von Frauen sichtbar zu machen.

Krankheiten oft unzutreffend diagnostiziert

Im Unterschied zu Männern hätten Frauen und Mädchen häufig ein anderes Gesundheitsverhalten sowie andere Erkrankungsrisiken und Verläufe von Krankheiten. Und diese würden wegen „geschlechterstereotyper Zuschreibungen“ oft unzutreffend diagnostiziert. Unterschiedliche biologische Dispositionen (u.a. Körper, Hormonhaushalt, Stoffwechsel) seien Mitverursacher, dass Erkrankungen mit oft anderen Prävalenzen und Symptomen auftreten als bei Männern.

Als Paradebeispiele dafür wurden bei der Präsentation des Berichts die Herz-Kreislauferkrankungen genannt. Diese sind zwar nach wie vor die Haupttodesursache bei beiden Geschlechtern. Aber mit 35,7 Prozent bei Frauen liege der Anteil „signifikant“ höher als bei Männern mit 32,9 Prozent (gefolgt von Krebserkrankungen mit 22,1 Prozent bei Frauen und 23,0 Prozent bei Männern).

Positiv zu vermerken sei der Rückgang der Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauferkrankungen seit 2010/2011 (damals 48,2% bei Frauen vs. 37,1% bei Männern) und dass sich der Abstand zwischen den Geschlechtern verkleinert hat.

Dennoch ist das kein Grund zum Daumendrehen. Die Inzidenz behandelter Herzinfarkte beträgt laut aktuellem Bericht bei Männern 244 versus 99 bei Frauen pro 100.000 Personen. Die 30-Tages-Mortalität (Todesfälle innerhalb von 30 Tagen pro 100 stationär behandelte Myokardinfarkte) liegt jedoch bei Frauen höher als bei Männern: 5,9 vs. 4,4 Prozent.

Das liege u.a. an den unterschiedlichen Symptomen und der „oft verspäteten Diagnosestellung“ bei Frauen, hieß es bei der Präsentation. Eine Ursache dürfte auch die höhere Stressbelastung von Frauen sein, die auch mit psychischen und physischen Beeinträchtigungen einhergehe.

Frauen würden auch häufiger an psychischen Erkrankungen als Männer leiden: 15 vs. 13,9 Prozent. Bei Frauen unter 20 Jahre seien psychische Erkrankungen mit 27 Prozent sogar die häufigste Ursache für in Krankheit und Beeinträchtigung verbrachte Lebensjahre. Gute Bildung, hohes Einkommen und ein hoher Sozialstatus sind den Autorinnen zufolge „Schutzfaktoren“ für die psychische Gesundheit wie auch Erwerbsarbeit, Arbeitsplatzsicherheit und verlässliche soziale Beziehungen.

Wie viele Münzen passen aufs Schlüsselbein?

Während der Gender-Aspekt z.B. beim Herzinfarkt bereits 2005 Thema war, sind andere Phänomene eher neu. So werden laut aktuellem Bericht beispielsweise auf Instagram mit Hashtags wie #bikinibridge (Bikinihose hat im Liegen noch Luft über dem Bauch), #thighgap, #collarbonechallenge (Münzen auf Schlüsselbein), #thinspiration oder #abcrack Schönheitsideale propagiert, die gesundheitlich problematisch sind (siehe auch unseren Bericht zu Schönheits-OPs).  (Soziale) Medien können ein „Mitauslöser“ einer erhöhten Körperunzufriedenheit sein – jedoch nicht die alleinige Ursache.

Frauengesundheitsbericht im Regierungsprogramm vereinbart

Mit dem Frauengesundheitsbericht werde die weitere Umsetzung des Aktionsplans Frauengesundheit unterstützt. Der Aktionsplan, der 17 Wirkungsziele und 40 Maßnahmen für mehr Chancengleichheit für Frauen formuliert (siehe auch Webtipp), wurde 2017 erstellt. Die weitere Umsetzung des Aktionsplans ist zusammen mit der Erstellung des Frauengesundheitsberichts im türkis-grünen Regierungsprogramm 2020–2024 festgeschrieben. Als Beispiel für erfolgreich umgesetzte Projekte verweist Gesundheits- und Sozialminister Rauch etwa auf die Ausweitung der kostenlosen HPV-Impfung bis zum 21. Geburtstag.

„Perspektivenwechsel im Gesundheitssystem notwendig“

Wegen des großen Erfolgs werde heuer auch das Projekt „Frühe Hilfen“ – ein präventives Unterstützungsangebot für alle werdenden Mütter bzw. Familien – bundesweit ausgerollt. Auch die Reform des Mutter-Kind-Passes sei bereits vereinbart. Der künftige „Eltern-Kind-Pass“ werde mit erweiterten Leistungen auch in einer elektronischen Version zur Verfügung stehen.

Ganz generell hält Rauch „einen Perspektivenwechsel im Gesundheitssystem für notwendig“. Auf die psychische Gesundheit von Frauen, insbesondere jungen Mädchen wolle er einen Fokus legen: „Wir setzen hier bereits wichtige Schritte – im Rahmen der Initiative ‚Gesund aus der Krise‘ wird beispielsweise das bundesweite Projekt ‚selbst♀*wert plus‘ gefördert, das psychosoziale Belastungen von Mädchen und jungen Frauen abfedert.“

* Sylvia Gaiswinkler et al., Frauengesundheitsbericht 2022. Download unter: https://www.sozialministerium.at/Services/Neuigkeiten-und-Termine/frauengesundheitsbericht2022.html

Webtipp

Unter https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Frauen--und-Gendergesundheit.html finden sich neben dem Frauengesundheitsbericht 2022 auch weitere Informationen, Beratungsangebote (auch in den Bundesländern), Broschüren etc. zur Frauen- und Gendergesundheit:

  • Aktionsplan Frauengesundheit
  • Gender-Gesundheitsbericht
  • Broschüre: Besuch bei der Frauen-Ärztin
  • Information für Angehörige von Gesundheitsberufen zu mehrsprachigen Beratungsangeboten zum Thema sexuelle und reproduktive Gesundheit für Frauen mit Migrationshintergrund
  • Gesundheitsspezifische Angebote für Frauen, die durch die Corona-Krise unter/vor besonderen Herausforderungen stehen