Verschwiegenheitspflicht: Wann gilt sie nicht?
Juristische Themen zählen nicht unbedingt zur Kernkompetenz meiner Kolumne. Ich möchten dennoch aus Anlass eines OGH-Urteils über eine eherne Regel des medizinischen Standes berichten – und über Umstände, unter denen diese gebrochen werden darf.
Ärzte haben gemäß Ärztegesetz § 54 über das, was ihnen in ihrer ärztlichen Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden ist, zu schweigen. Allerdings gilt die Verschwiegenheitspflicht nicht absolut. Es gibt Konstellationen, in denen Schweigen nicht angezeigt ist oder Mitteilungen sogar explizit gefordert werden.
In einer Entscheidung aus dem Jahr 2002 hat es der OGH für zulässig erachtet, die Führerscheinbehörde zu informieren, wenn der Patient bewusstlos und mit erheblichem Restalkohol in eine Krankenanstalt eingeliefert wird und der Verdacht einer Alkoholkrankheit besteht.1 Auch konnte von einer ernstzunehmenden Gefahr anderer Verkehrsteilnehmer aufgrund der Alkoholkrankheit des Patienten ausgegangen werden, da dieser nebenberuflich als Rettungswagenfahrer tätig war und sich stets unkooperativ verhielt. Nach Entlassung des Patienten gegen Revers übermittelte die Krankenanstalt den Befund an den Amtsarzt – zur Überprüfung der Kfz-Tauglichkeit.
Nach gewissenhafter Interessenabwägung ist eine Mitteilung des Arztes im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege vertretbar und auch geboten. Voraussetzung ist jedoch, dass die Durchbrechung der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht das einzige Mittel darstellt, um eine konkrete Gefahr abzuwenden.2
Ein Negativbeispiel stellt der German Wings-Crash 2015 in den französischen Alpen dar: Der Pilot war kurz vor dem Unglück von seinem behandelnden Arzt in eine psychiatrische Klinik überwiesen worden, da eine mögliche Psychose diagnostiziert wurde. Weder der Pilot noch der behandelnde Arzt informierten die Behörden oder den Arbeitgeber über die Krankheit. Die französische Untersuchungsbehörde kam zu dem Ergebnis, dass der schwer depressive Pilot den Absturz absichtlich verursachte.