So stärken Sie Ihre Resilienz!
Ärztinnen und Ärzte mit guter Resilienz sind kompetent, stabil und treten authentisch auf. Mit gut gefüllten Energiespeichern tun Sie sich selbst und Ihren Patientinnen und Patienten viel Gutes.
Definitionen für Resilienz gibt es zur Genüge, hier einigen wir uns zunächst auf Begriffe wie „Seelische Widerstandskraft“, „Krisenfestigkeit“ oder „Stabilität in herausfordernden Situationen“. Begründen lässt sich Resilienz auf Ihrer Identität als Ärztin oder Arzt (Was macht Sie als Person aus?) sowie auf Ihrer Authentizität (Wie können Sie sich als Person zum Ausdruck bringen?). Beides macht Sie autonom, im Sinne von standfest, sicher und stabil – und damit resilient.
In der niedergelassenen Praxis gehören Erwartungshaltungen von Patientinnen und Patienten zu den häufigsten Faktoren, die Ihre Resilienz auf die Probe stellen; vor allem, wenn es unpassende oder überfrachtete Erwartungen sind. Sie kennen sicher Patientinnen und Patienten, die ganz unverhohlen zeigen, dass sie davon ausgehen, dass Sie als ihr Arzt oder ihre Ärztin immer für sie da sein sollten und sie unbedingt als die Einige oder den Einzigen wahrnehmen sollen, die bzw. der sofort Ihre ganze Aufmerksamkeit braucht.
Gelingt es Ihnen, bei solchen Anforderungen standfest und stabil zu bleiben, dann können Sie sich selbst in Resilienz ein „Sehr gut“ geben. Sind Sie dagegen schon von den vorherigen Aufgaben ausgelaugt, haben Sie seit Stunden keinen Schluck Wasser getrunken und sich nicht erlaubt, die Toilette aufzusuchen, dann wird die Note für Ihre Resilienz vermutlich schlechter ausfallen.
Auf seine Resilienz zu achten ist dabei keine Maßnahme gegen Ihre Patientinnen und Patienten, sondern viel mehr eine für sich selbst als Arzt oder Ärztin. Fragen Sie sich, wie Sie nach einem Tag in der Ordination zu Hause ankommen wollen: Erschöpft und ausgelaugt oder lieber doch zwar müde, aber trotzdem lebensfroh, mit dem guten Gefühl, Sinnvolles geleistet zu haben? Ärztliche Professionalität bedeutet auch, bewusst Menschlichkeit zu leben. Wertschätzung gegenüber anderen – und vor allem gegenüber Patientinnen und Patienten – kann nur die oder der geben, die bzw. der sich auch selbst wert-schätzt.
Erinnern Sie sich an Studieninhalte zu Themen wie Gesprächsführung mit Patientinnen und Patienten, Mitteilung von Diagnosen oder Empathie? Bauen Sie diese Kompetenzen aus, indem Sie auch lernen, ausufernde Gespräche so zu lenken, dass Sie sich auf die wesentlichen Informationen und die Therapieplanung fokussieren. Gesprächszeit ist wichtig, darf Ihnen aber nicht das Gefühl geben, förmlich ausgesaugt zu werden.
Punktekatalog der Anforderungen
Versuchen Sie einmal, Ihren Patientinnen und Patienten nach Grad der subjektiv empfundenen Anforderung Punkte zu geben: 1 Punkt bedeutet nur wenig Anforderung, 10 Punkte könnten heißen, diese Person in ihrer momentanen Situation bringt Sie an Ihre Grenzen, sei es fachlich und/oder durch ihr Verhalten. Rechnen Sie einmal einen Praxistag nicht nach der Anzahl der Patientinnen und Patienten ab, sondern mit der Gesamtzahl der „Belastungspunkte“.
Wird damit noch eher deutlich, dass es zwischendurch Pausen braucht, um Ihre Energiespeicher wieder aufzufüllen? Dann gelingt es Ihnen viel eher, gegenüber den nächsten Patientinnen und Patienten kompetent und stabil aufzutreten. Achten Sie darauf, jeden Patientenkontakt nicht nur in der Dokumentation, sondern auch mental und emotional „abzuschließen“, bevor Sie sich dem oder der nächsten widmen. Denken Sie auch daran, Ihre eigenen Pausen dem Team als solche zu kommunizieren. Sonst könnte die Wahrnehmung „Es ist gerade niemand bei Frau/Herrn Doktor“ auch heißen: „Jetzt können wir mit unseren administrativen Anliegen zu ihr/zu ihm kommen“.
Auch das Modell der „Stress-Ampel“ lässt sich gut anwenden, um mit der eigenen Leistungsfähigkeit hauszuhalten. Fühlen Sie sich fit und wohl, haben Sie genügend Flüssigkeit und Kalorien zu sich genommen? Vermutlich steht die Ampel dann auf GRÜN für weitere Aufgaben. Merken Sie erste Anzeichen von Müdigkeit? Ein GELB BLINKENDES SIGNAL deutet auf die bald nötige Pause hin. Bei ROT sollten Sie zumindest einmal aufstehen, durchlüften, zur Toilette gehen oder sonst eine sinnvolle Pause einlegen. Stellen Sie sich vor, Sie müssten gerade ein Flugzeug steuern: Wären Sie noch fit genug, die Maschine sicher zu landen? Der Autopilot mag zwar funktionieren, besser ist es jedoch, Sie behalten Ihre volle Konzentration und damit die Kontrolle.
Richtig Pausen machen
Stress-Essen gilt übrigens nicht als Pause, sehr wohl aber ruhige und überlegte Nahrungszufuhr, genauso wie jegliches Innehalten und bewusstes Wahrnehmen der eigenen Atmung. Den Akku Ihres Smartphones würden Sie jedenfalls aufladen, wenn er nur mehr 7% Ladung anzeigt und Sie ein längeres Gespräch führen müssen.
Als ärztliche Führungskraft resilient zu sein, bedeutet damit auch eine gute Planung zu haben, für Team und Patientinnen und Patienten genauso wie für sich selbst. Resilienz lässt sich somit auch als „Dosierte Führung“ definieren. Sie schaffen ein Umfeld, in dem Pufferzonen eingerichtet sind, mit denen sich Spitzenbelastungen gut abdecken lassen.
Resilienz lässt sich trainieren: durch Selbstreflexion und Planung, durch Stärken der eigenen Autonomie, aber auch durch körperliche Fitness. Wer sich selbst Zeit schenkt, seine Freizeit mit Bewegung oder guten Sozialkontakten wert-voll gestaltet, ist ohne Zweifel am nächsten Tag in der Ordination fit, ausgeglichen und widerstandsfähig gegen unvorhersehbare Beanspruchungen. Unterschätzen Sie dabei niemals Ihre Vorbildwirkung auf Ihre Patientinnen und Patienten. Was nützt der beste ärztliche Ratschlag, wenn Sie sich augenscheinlich selbst nicht an die Grundregeln halten, Ihnen der Ärger über das vorherige Gespräch oder die momentane Überforderung anzusehen ist? Womit wir wieder bei der Authentizität als Faktor der Resilienz wären …
Unser Gastautor Harald Mori, MSc (Master of Science in Psychotherapie), praktiziert in Wien und Klagenfurt als Psychotherapeut (Existenzanalyse und Logotherapie); er ist Diplomierter Psychoonkologe sowie ehemaliger Lektor an der MedUni Wien (Viktor Frankl Seminar und Vorlesung). Von 1987 bis zum Ableben Viktor Frankls im Jahr 1997 war er dessen persönlicher Assistent.
Weltweit hält Mori Vorträge und Seminare zur Existenzanalyse und Logotherapie bzw. zu psychotherapeutischen Themen auch für Fachkräfte; mehrere Publikationen, u.a. „Existenzanalyse und Logotherapie“ (facultas; kürzlich in 2. Auflage erschienen). www.viktorfrankl.at
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