Fallstricke im Arzt-Patienten-Gespräch
Oft fällt erst hinterher auf, wenn Patienten die Aussagen des Arztes offensichtlich falsch verstanden haben. Wie es dazu kommt und was jeder für eine effizientere Kommunikation tun kann.
„Wir scheitern tagtäglich von früh bis spät in der Kommunikation“, sagt Dr. Nina Harbers aus Schaffhausen in der Schweiz provokant. Eine wirkungsvollere Kommunikation spare Zeit sowie Ärger und Kosten. Am Ende seien Patienten und Mitarbeitende zufriedener. Die Referentin gab mehrere Impulse, um das eigene Verhalten zu reflektieren.
Zunächst einmal rät Dr. Harbers Ärztinnen und Ärzten, ihre eigene Wahrnehmung zu schärfen. „Wann immer sie mit anderen Personen aufeinandertreffen, wirken unterschiedliche Wahrnehmungsfilter“, erklärt sie. Diese finden sich auf beiden Seiten und sorgen dafür, dass nur ein Teil der beabsichtigten Informationen beim Empfänger ankommt. Die Folge ist eine Tilgung und Verzerrung von Inhalten. Aus Fachkenntnis heraus sehen Mediziner beispielsweise Kontext als selbstverständlich an, der es für den Behandelten nicht ist, und erwähnen gewisse Informationen nicht explizit. Der Zuhörer füllt diese Lücken dann selbst, was Missverständnissen Vorschub leistet.
Selektive Wahrnehmung führt zu Missverständnissen
Eine Falle bestehe auch in Generalisierungen. Ein Patient ist möglicherweise überzeugt, alle Ärzte würden ausschließlich auf die Behandlungskosten schauen, nachdem die Übernahme einer Therapie verweigert wurde. Laut der Führungskräftetrainerin soll man ein Bewusstsein dafür entwickeln, wenn etwas falsch ankommt, auch wenn sich Fehler in der Kommunikation nicht vollständig vermeiden lassen.
Weiter gelte es, eine emotionale Aufnahmebereitschaft zu schaffen. „Zahlen, Daten und Fakten bringen Menschen zum Nachdenken, nur Emotionen bringen Menschen zum Handeln“, ordnet Dr. Harbers ein. Dabei spiele es eine Rolle, ob die Information für das Gegenüber relevant ist. Außerdem komme es darauf an, wann und wie sie übermittelt wird. Nicht jeder Zeitpunkt eigne sich, und auch die optimale Vermittlungsstrategie unterscheide sich individuell, so etwa, ob jemand viele Details oder vor allem einen Überblick benötige.
Es sei auch wichtig, für Berechtigung zu sorgen. „Berechtigung heißt, der andere gibt mir die Erlaubnis, ihm zu diesem Thema etwas zu sagen“, erläutert Dr. Harbers. Sie hänge neben der Fachkompetenz auch von Ruf, Vertrauen und sonstigen persönlichen Eigenschaften ab. Die Berechtigung könne der Arzt in den Augen des Patienten verlieren, wenn er dessen Werte verletzt – beispielsweise jemanden unterbricht, dem Respekt wichtig ist.
Patienten wollen sich verstanden fühlen
Mediziner müssten den Patienten das Gefühl vermitteln, dass man sie wirklich versteht. Anderenfalls wiederhole sich der Gesprächspartner, werde vehementer und höre schließlich gar nicht mehr zu. Laut Dr. Harbers bedeutet das jedoch nicht zwangsläufig, emotionales Verständnis für jeden Standpunkt aufzubringen oder gar zuzustimmen. Es gehe vielmehr um Bestätigung, dass man den anderen wahrnimmt und beachtet. Als Taktik biete sich an, eine Nachfrage zu stellen oder zu spiegeln. Wenn ein Patient bittet, ihm Physiotherapie zu verschreiben, könne der Arzt so reagieren: „Verstehe ich Sie richtig: Sie haben Rückenschmerzen und denken, dass Physiotherapie Ihnen hilft?“ Dabei ist es zunächst egal, was der Mediziner selbst für die angemessene Behandlung hält. Zusammenfassend bestehe das Ziel darin, dass im Gespräch Berechtigung und Aufnahmebereitschaft zusammentreffen. Nur wer die Wahrnehmungsfilter des Gegenübers anspreche, erreiche beides. ls
Lesen Sie mehr zum Thema:
- Vuran A. und Harbers N. „Kommunizieren heißt scheitern – Emotionale Aufnahmebereitschaft und Berechtigung“
- Leitfaden „Kommunikation im medizinischen Alltag“ der Ärztekammer Nordrhein; www.aekno.de/wissenswertes/dokumentenarchiv/aerztekammer-nordrhein/kommunikation-im-medizinischen-alltag