Höhepunkte der Tiefpunkte

Liebe Leser:innen, ich hoffe, es geht Ihnen gut. Ich wollte eigentlich über die zunehmende Schar alternder und deliranter Patientinnen und Patienten sprechen und die Herausforderungen in der Betreuung derselben. Aber dieses Monat haben sich die Ereignisse überschlagen und es ist laut geworden unter der Decke des Schweigens, die man seit Jahren so geflissentlich über die sich immer stärker zuspitzenden Zustände in unseren Krankenhäusern gebreitet hat.

Kai Felmy

Dieses Phänomen scheint ja ganz Österreich mehr oder weniger zu betreffen. Ich bin immer wieder überrascht, wie wenig die Vorstände der Krankenanstaltenverbunde und die zuständigen Politikerinnen und Politiker an konkreten Ideen vorzuweisen haben, um die Gemüter zu besänftigen.

Ich bin seit guten zehn Jahren in diesem Beruf und Sie wissen, dass ich ihn liebe. Ich kann mir nichts anderes vorstellen, was ich lieber täte. Ich arbeite wahnsinnig gerne mit Menschen, finde es sehr befriedigend zu helfen, Situationen zu verbessern. Ich mag die Stimmung, die in Krankenhäusern herrscht, dieses geschäftige Brummen. Der Tag als Arzt/Ärztin ist gefüllt mit kleinen Erfolgsmomenten. Daraus schöpfen wir Kraft. Es muss gar nichts Dramatisches sein, aber die Befriedigung, wenn etwas gut gelaufen ist, macht zufrieden. Die Freude, die man empfindet, wenn man einen Patienten/eine Patientin in besserem Zustand heimschickt, als man ihn/sie übernommen hat. Das gute Gefühl, in den letzten Tagen alles gemacht zu haben, um Patient:in und Familie bestmöglich zu stützen, gibt auch uns Kraft.

Ich behaupte mal, dass das nicht nur mein Antrieb ist, sondern der Treibstoff der meisten Kolleginnen und Kollegen in Medizin, Pflege, Physiotherapie, Sozialarbeit, Psychologie etc.

Und wir brauchen das, denn die andere Seite sind die Misserfolge. Die Momente, wo man vielleicht zu spät ist mit einer Therapie, oder auch zwischenmenschliche Konflikte mit Patientinnen und Patienten, Angehörigen oder auch Kolleginnen und Kollegen. Und wie Sie alle wissen, menschelt es nirgends mehr als in einem Krankenhaus und das kann auch sehr viel Energie kosten.

Was bedeutet das also für uns, die wir nach der Pandemie noch immer wacker die Stellung halten? Was bedeutet es für uns, die gerade freundlich lächelnd die Babyboomer-Generation in die Pension verabschieden? Was bedeutet es für uns, die mitansehen müssen, wie Patientinnen und Patienten in der Wartezeit auf einen Eingriff oder eine Behandlung an der Grunderkrankung versterben, ohne dass sie je eine Chance hatten zu kämpfen?

Ich kann Ihnen sagen, was es für mich bedeutet.

Ich habe einen Frust entwickelt. Ich habe kein Verständnis mehr für salbungsvolle Reden und Beschwichtigungen. Ich würde manchmal einfach gerne meinen Kittel in den Spind hängen und gehen, weil ich so frustriert und müde bin.

Seit über zehn Jahren arbeite ich – bis auf die Babypausen – Vollzeit in Krankenhäusern. Davor habe ich studiert, im Sommer in der Pflege gejobbt und bin jahrelang als Rettungssanitäterin gefahren. Ich kenne dieses System seit gut 20 Jahren, und schon als ich in diesem Bereich angefangen habe, war bekannt, dass wir ein Problem bekommen werden. Auch ohne Pandemie, ganz alleine durch die gesellschaftlichen Veränderungen und die Überalterung war klar, dass es knapp wird. Und da wussten wir auch noch nicht, dass unsere Patientinnen und Patienten in Zukunft so alt werden. Die medizinischen Entwicklungen zum Beispiel der Onkologie haben dazu geführt, dass viele Erkrankungen, die noch vor relativ kurzer Zeit schnell zum Tode geführt haben, jetzt lange behandelbar sind. Das ist wunderbar und eigentlich Grund zur Freude. Aber es schafft auch eine große Zahl an chronisch kranken Patientinnen und Patienten, die teilweise intensive und spezialisierte Betreuung brauchen.  Das ist die Kehrseite der Medaille.

Ich musste mich in diesem Monat schon sehr wundern, wie unvorbereitet man scheinbar seitens der Politik ist. Das ist ja alles keine große Überraschung, sondern eine Arschbombe direkt in die Rue de la Gack. Die Corona-Pandemie war nur das Brennglas, das die Probleme enorm verschärft und zugespitzt hat.

Was dann immer jovial abgewunken wird, ist, dass man Leute verliert, weil man sie nicht ausreichend entlohnt oder ihnen attraktive Teilzeitangebote bei gleicher Bezahlung macht.

Wieso ist das für gut bezahlte Politikerinnen und Politiker und Vorstände so schwer, sich vorzustellen, dass 500 Euro mehr für viele, die 2.000 bis 2.500 netto bekommen, einen echt riesigen Unterschied machen. Und das Ganze nicht als Einmalzahlung oder Bonus, wenn man jemand anderen in diesen Beruf zieht, sondern als Anerkennung für die Deppen wie uns, die sich hochqualifiziert und trotz der Umstände bleibend weiter jeden Tag in die Arbeit schleppen und das Radl am Laufen halten.

Ich kann momentan echt keine Werbung machen für meinen Beruf, den ich so liebe. Studierenden oder Pflegeschülerinnen und Pflegeschülern würde ich gerne zurufen: „Renn, so schnell du kannst!“

Ich kann nur hoffen, dass die kritische Masse jetzt so laut wird, dass etwas passiert, das unseren Alltag erträglicher macht. Weil darauf warten, dass das ganze System zu kippen beginnt und Patientinnen und Patienten in größerem Maßstab leiden als bisher, das kann ja eigentlich in niemandes Interesse liegen. Doch ich bin leider zunehmend skeptisch, ob jemand erkennt, dass jetzt einige Anstrengungen notwendig wären, um das Ruder herumzureißen. Mit jedem „Pflaster“, das über die Medien ausgerichtet wird, werde ich zynischer. Ich sage nur: „Whooo, eine Handvoll DGKP-Importe aus Brasilien und Vietnam, das wird uns virehaun …“

Und eine leise Stimme in meinem Hinterkopf überlegt langsam Exit-Strategien. Und das ist echt mein persönlicher Tiefpunkt, weil mein Kopf weiß, dass ich nichts lieber mache als meinen Job.