14. Feb. 2024Österreichs Sonderweg

Viel Kritik am Psychotherapiegesetz

„Freud dürfte heute nicht mehr Psychotherapie lehren.“ Die Österreichische Ärztekammer warnt vor Fehlentwicklungen durch das neue Psychotherapiegesetz.

Stefan Seelig
v. l. n. r.: Prof. Dr. Dietmar Bayer, OMR Dr. Johannes Steinhart, Prim. Dr. Christa Rados und Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata.

Die psychotherapeutische Ausbildung soll im nach dem neuen Psychotherapiegesetz akademisiert werden. So weit, so bekannt – und das begrüßt auch die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK), wie deren Präsident OMR Dr. Johannes Steinhart betont. Aber: „Der Gesetzesentwurf hat eine völlig falsche Herangehensweise. In dieser Form bringt das weder den Patientinnen und Patienten, dem System noch der Forschung einen Benefit“, so Steinhart. Anders als aus dem Ministerium verkündet sehen die Vertreter der Ärzteschaft die Gefahr, dass es zu Versorgungsmängeln und einer Verteuerung des Systems kommen könne.

Als eines der Kernprobleme verortet er die „künstliche Abtrennung von Psychotherapie von der psychosomatischen Medizin und der Psychiatrie“. Diese Bereiche sollten als ein System gesehen werden und sich sinnvoll ergänzen – was auch dem internationalen Standard entspricht. Durch das neue Gesetz würde aber ein metaphorischer Stacheldraht zwischen Psychotherapie auf der einen Seite und Psychiatrie und Psychosomatik auf der anderen Seite gezogen werden. „Das ist weltweit einzigartig und eigentlich eine Ironie, dass das gerade in Wien passiert, wo Freud, Adler und Frankl einst arbeiteten. Solche Leute dürften dann jetzt nicht mehr Psychotherapie lehren!“, zeigt Steinhart auf.

Ja zu Verwissenschaftlichung, nein zu „Schnellschussreform“

Die Verwissenschaftlichung der Psychotherapie ist auch aus Sicht von Prof. Dr. Dietmar Bayer, Stv. Obmann der Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte und Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, zu begrüßen. Aber es müssten internationale Standards eingehalten werden. „Österreich biegt völlig falsch ab. Wir haben nichts von der Schnellschussreform, mit der eine Ausbildung ermöglicht wird, die den Patientinnen und Patienten letztendlich nicht hilft“, so der Psychiater.

Nicht zu vergessen sei, dass Psychiaterinnen und Psychiater erst nach 6 Jahren Studium und weiteren 6 Jahren Facharztausbildung frei in der Niederlassung behandeln dürfen, wogegen angehende Psychotherapeutinnen und -therapeuten schon während des 3. Abschnittes (also nach Bachelor und Master) zu therapieren beginnen. Der Versuch der Gleichstellung der Psychotherapeutinnen und -therapeuten mit Ärztinnen und Ärzten für Psychiatrie und Psychotherapie ist für Bayer irritierend. „Psychotherapie ist eine wirksame Behandlungsmethode, aber keine Diagnostik. Man muss auch die biochemische Ebene verstehen, die unser Wohlbefinden steuert. Und man kann auch nicht jede Erkrankung psychotherapeutisch behandeln. Nehmen Sie die Schizophrenie oder Depressionen: Diese Erkrankungen müssen zunächst medikamentös behandelt werden, bevor eine Psychotherapie ansetzen kann“, verdeutlicht Bayer.

„Patientinnen und Patienten haben ein Recht auf evidenzbasierte Behandlungen“

Auch Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sozialpsychiatrie (ÖGSP), warnt davor, dass der jetzige Gesetzesentwurf den Eindruck erweckt, dass die Psychotherapie für alle Formen und Schweregrade aller psychischen Erkrankungen geeignet und indiziert sei. Das sei aus §6 abzuleiten, der besagt, dass „psychotherapeutische Versorgung als Krankenbehandlung bei akuten und chronischen Krankheitszuständen Teil des psychotherapeutischen Berufs“ sei. Dabei werde in den internationalen Leitlinien klargestellt, welche Form der Behandlung (Medikation, Psychotherapie, Ergotherapie etc.) für welches Krankheitsstadium (akut vs. chronisch) und welchen Schweregrad anzuwenden ist. „Patientinnen und Patienten müssen das Recht haben, evidenzbasiert behandelt zu werden. Psychisch Kranken wird dieses Recht mit diesem Gesetz abgesprochen. Psychotherapeutinnen und -therapeuten können hiernach alles behandeln, egal ob wirksam in dieser Indikation oder nicht“, kritisiert der Past President der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) scharf.

Verschwendung von Ressourcen

Prim. Dr. Christa Rados, President elect der Österreichischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie (ÖGAPP), zeigt sich auch ob §14 des Gesetzesentwurfes besorgt, wonach die praktische Ausbildung „in psychotherapeutischen Versorgungseinrichtungen, in psychotherapeutischen Lehrpraxen sowie im niedergelassenen Bereich zu erfolgen“ hat. So sei es möglich, dass die Ausbildung an der Medizin und speziell an der Psychiatrie vorbei gemacht wird. Um aber die psychopathologischen, medizinisch-diagnostischen und therapeutischen Kenntnisse zu erlangen, die es für die Betreuung psychisch kranker Menschen braucht, sei es unumgänglich, zumindest einen Teil der Ausbildung verpflichtend in Einrichtungen der psychiatrischen Krankenbehandlung zu absolvieren.

Rados kritisiert darüber hinaus, dass Fachärztinnen und -ärzte bzw. jene mit dem Ärztekammer-Diplom „Psychotherapeutische Medizin“ den Bachelor- und Masterstudierenden gleichgestellt werden sollen. „Dem vorliegenden Gesetzesentwurf entsprechend müssten Ärztinnen und Ärzte im Anschluss an ihre Facharzt- oder psychotherapeutisch-medizinische Ausbildung zusätzlich die komplette praktische Ausbildung nach dem Psychotherapiegesetz absolvieren“, bemängelt Rados: „Diese nicht nachvollziehbare Verdoppelung von Ausbildungsinhalten wäre eine enorme Verschwendung finanzieller und personeller Ressourcen.“

Forderungen der ÖÄK zum geplanten Psychotherapiegesetz:

  • Ein abgeschlossenes Medizinstudium ist dem Abschluss des ersten AusbiIdungsabschnittes gleichzusetzen.
  • Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Kinderpsychiatrie sowie die Ärztinnen und Ärzte mit entsprechender Spezialisierung beziehungsweise mit PSY 3-Diplom müssen den Berufsangehörigen der Psychotherapie gleichgestellt werden und auf Antrag ohne Prüfung in die Berufsliste aufgenommen werden.
  • Die Ordinationen bzw. Gruppenpraxen dieser Ärztinnen und Ärzte sind psychotherapeutischen Lehrpraxen gleichzustellen.
  • Wissenschaftliche Fachgesellschaften für Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin (Psy-Diplome) vermitteln Qualifikationen, die dem Zugang der Psychotherapiewissenschaften entsprechen. Diese Fachgesellschaften sind daher als gleichwertig einzustufen.
  • Klarstellung, dass hinsichtlich der Ausübung des psychotherapeutischen Berufs grundsätzlich immer nur die psychotherapeutische Behandlung gemeint ist. Diese ist immer durch eine Ärztin bzw. einen Arzt anzuordnen.
  • Es muss klargestellt sein, dass Psychotherapie und die von Psychotherapeutinnen und -therapeuten angewandten Therapien nur dort eingesetzt werden dürfen, wo es ausreichend Evidenz gibt.

„Psychotherapiegesetz – Österreichs absurder Sonderweg“, Pressekonferenz der Österreichischen Ärztekammer, Wien, 14.2.2024