Frauengesundheitsbericht: Hearing enthüllt Lücken im System
Im Gesundheitsausschuss zeigte ein Hearing zum Frauengesundheitsbericht 2022, dass es mehr Daten und frauenspezifische Versorgungsangebote braucht. Bei den nötigen Maßnahmen scheiden sich die Geister, aber es gibt auch Oppositionsanträge, bei denen die FPÖ die SPÖ unterstützt.
Ziemlich genau vor einem Jahr erschien der 4. Frauengesundheitsbericht* – nach mehr als einer Dekade Pause (siehe medonline-Bericht). Er wurde wenige Monate später von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) vorgelegt und stand Anfang Juni auf der Agenda des Gesundheitsausschusses. Aber erst jetzt, beim Gesundheitsausschuss am 14.02.2024, sind die damals vertagten Verhandlungen wieder aufgenommen worden.
In einem Hearing mit (von den Fraktionen benannten) Expertinnen und Experten kam es zu einer ausführlichen Debatte. Dabei wurde der Frauengesundheitsbericht mehrheitlich – ohne Stimmen der FPÖ – zur Kenntnis genommen, wie die Parlamentskorrespondenz berichtet. Zur Ausgangslage: Dem Bericht zufolge verbringen Frauen von ihren durchschnittlich 84 Lebensjahren rund 20 in mittelmäßiger bis schlechter Gesundheit. Einig sind sich die Expertinnen und Experten, dass der Frauengesundheitsbericht Lücken im Gesundheitssystem aufzeige und deutlich mache, wo dieses noch weiterentwickelt werden müsse.
Medizin „androzentrisch“ ausgerichtet
Erstautorin und Soziologin Sylvia Gaiswinkler, MA, Senior Health Expert an der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), betont, dass die Medizin sehr „androzentrisch“ ausgerichtet sei. Und das, obwohl Frauen in vielen Bereichen eine spezifisch abgestimmte ärztliche Versorgung und Behandlung benötigen würden.
Zudem gebe es viele frauentypische Mehrfachbelastungen, weshalb bei der Frauengesundheit immer die Lebenssituation ins Auge zu fassen ist. Die herausfordernde Datenlage erschwere jedoch die Aussagen zu frauenspezifischen Gesundheitsfragen.
Dennoch sei der besondere Wert des Frauengesundheitsberichts darin zu sehen, dass seine Fragestellungen vieles thematisiert, was in anderen Untersuchungen unzureichend oder gar nicht behandelt wird. So gibt es z.B. eine unzureichende Datenlage, was den Einfluss von „Mental Load“ auf die psychische Gesundheit betrifft. Doch auch der Bericht habe nicht alles abdecken können. Darunter etwa die Situation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die nur am Rande gestreift worden sei. Diese wäre im größeren Kontext der Chancengerechtigkeit zu sehen, weitere Untersuchungen sollten folgen. Das gilt laut Gaiswinkler auch für Themen wie postnatale Depressionen.
„Clinical Coder“ sollen Daten erfassen
Um der unzureichenden Datenlage entgegenzuwirken, empfiehlt Dr. Günter Koderhold, Radioonkologe, ein eigenes Berufsbild für die Datenerfassung wie Dokumentationskräfte oder „Clinical Coder“, wie es sie in vielen Ländern schon gebe. Koderhold plädiert weiters für eine Ausweitung der Gesundheitsbildung für junge Menschen und für mehr Bewusstsein für Krankheiten wie Endometriose.
Wichtig sei aus seiner Sicht zudem eine möglichst emotionsfreie und sachliche Diskussion über Schwangerschaftsabbrüche. Extreme wie in US-Debatten gelte es zu vermeiden. Kritisch sieht Koderhold Hormontherapien für transsexuelle Personen. Die Datenlage sei noch unzureichend, um die Behandlungsfolge richtig einschätzen zu können. Beim Thema Menopause habe sich bereits einiges getan, allerdings brauche es noch mehr Aufklärung über Hormonersatzpräparate.
Auch das Thema Gewaltschutz sprach er an. Schon die Schulen könnten viele Maßnahmen umsetzen, indem sie z.B. Mobbing oder „Bossing“ (Mobbing durch Vorgesetzte) mehr Aufmerksamkeit schenken.
Bessere Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Pflegerinnen
Für Prim. Univ.-Prof. DDr. Barbara Maier, Gynäkologin, ist Gesundheit vor allem auch eine Frage der Selbstbestimmung und Gesundheitskompetenz sowie der Bildung und finanziellen Absicherung. Die Mehrfachbelastung von Frauen, z.B. durch Pflegearbeit, führe oft in Altersarmut – mit der Folge schlechterer Gesundheit. In puncto sexuelle und reproduktive Rechte von Frauen ist Maier für die Leistbarkeit von Medizinprodukten zur Langzeitverhütung – sie sollten frei verfügbar sein.
Schwangerschaft wiederum sei ein „Window of Opportunity“ für gesundheitsrelevante Fragen. Diesbezüglich sei der Eltern-Kind-Pass auszubauen. Es brauche auch mehr Augenmerk auf Menstruationsgesundheit, Meno- und Postmenopause. In puncto Menopause sei die Datenlage u.a. wegen der Auslagerung vieler Angebote in private Einrichtungen unbefriedigend. Die HPV-Impfung soll stärker angenommen werden. Den 9- bis 11-Jährigen bzw. deren Eltern sei die Wichtigkeit der HPV-Impfung für das spätere Leben nicht bewusst, meint Maier, hier brauche es eine altersspezifische Aufklärung.
Maier, die einen „Nationalen Aktionsplan Frauengesundheit“ fordert, tritt auch für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Frauen in Pflegeberufen ein. Und sie spricht sich auch dafür aus, die Fristenlösung aus dem Strafrecht herauszulösen.
Altersarmut, Depressionen und Pflegearbeit „weiblich“
Die Auswirkungen von Rollenbildern, Doppel- und Mehrfachbelastungen spricht auch a.o. Univ.-Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger, Psychologin, an. Nicht nur Armut und Altersarmut seien „weiblich“, sondern auch Depressionen und Pflegearbeit. Selbst in Bereichen, wo Österreich gut sei – etwa der Brustkrebsprävention – ortet Wimmer-Puchinger regionale Unterschiede und ein deutliches Stadt-Land-Gefälle.
Der „großartige“ Bericht ist aus ihrer Sicht eine Chance für Maßnahmen, um die Frauengesundheit zu verbessern. Bereiche, die mehr Aufmerksamkeit brauchen, sind der Expertin zufolge Menstruationsgesundheit, frühzeitige Diagnose eines Osteoporose-Risikos, adäquate Depressionsbehandlung und Gewaltschutz. Denn Gewalterfahrungen würden sich klar negativ auf die Gesundheit auswirken.
Mädchen als Opfer der Schönheitsindustrie
Wimmer-Puchinger betont, dass es bei der sexuellen Gesundheit auch darum gehe, sexuelle Übergriffe zu verhindern. Es habe sich z.B. bewährt, in geschützten Werkstätten im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsvorsorge Workshops zur Aufklärung anzubieten. Mädchen würden außerdem zunehmend Opfer der Schönheitsindustrie. Diese übe Druck auf sie aus. Hier sieht Wimmer-Puchinger Gynäkologinnen und Gynäkologen in der Pflicht, jungen Frauen klarzumachen, dass mit ihnen „alles in Ordnung“ sei.
Auch Wolf sieht eine beunruhigende Entwicklung, da Mädchen stark unter Druck gesetzt und daraus ein negatives Körperbild entwickeln würden. Der Opferschutz brauche institutionalisierte Unterstützung, hebt sie hervor, das Angebot müsse niederschwellig sein. Den Begriff „Gewaltambulanz“ hält Wolf jedoch für problematisch, weil er abschrecken könnte. Was Schwangerschaftsabbrüche betreffe, wäre ein erster wichtiger Schritt, einen guten Überblick über die Angebote zu schaffen.
Neue Probleme wie „Cyberstalking“
Als Mitglied der begleitenden Expertinnengruppe des Berichts betont Mag. Hilde Wolf, MBA, Koordinatorin der 6 Frauengesundheitszentren in Österreich, dass dieser sich nicht auf Krankheitsstatistiken beschränke. Vielmehr beziehe der Bericht sozioökonomische Faktoren umfassend ein. Damit spiegle er die Lebensrealität wider, wonach Beschwerden oft auf andere Probleme verweisen, etwa auf Mehrfachbelastungen durch Beruf, Haushalt und Beziehungen.
Zudem sei in der Pandemie die Armutsgefährdung vor allem für Frauen stark angestiegen. Auch seien Belastungen in jungen Jahren oft ursächlich für spätere Erkrankungen, wie etwa Gewalterfahrungen. Hilfsangebote müssten auf neue Probleme durch die gesellschaftliche Entwicklung reagieren, wie z.B. Cyberstalking. Wolf hält insbesondere die langfristige Absicherung von Einrichtungen mit Angeboten für Mädchen und Frauen für wichtig.
BM Rauch: In Kürze Studie zur Menstruationsgesundheit
Gesundheitsminister Rauch erklärt abschließend, dass der Frauengesundheitsbericht eine wertvolle Basis für weitere Schritte biete. Zudem kündigt er an, dass in den nächsten Wochen eine Studie zur Menstruationsgesundheit, inklusive Wechseljahre, erscheint. Weiters werde eine Machbarkeitsstudie zu kostenloser Verhütung noch im ersten Quartal finalisiert.
Die kostenlose HPV-Impfung bis zum 21. Lebensjahr habe zu einer Verdopplung der Impfungen innerhalb eines Jahres geführt, informiert Rauch. Nun lote man aus, inwieweit eine Ausweitung bis zum 30. Lebensjahr umgesetzt werden könne. Beim Thema Gewalt an Frauen weist Rauch auf eine „Reihe an Förderungen“ hin. Die geplanten Gewaltambulanzen sollen zunächst als Pilotprojekte in Wien und Graz realisiert werden.
„Eminent wichtige Projekte“ gebe es auch zur Förderung der mentalen Gesundheit von Frauen, deren Finanzierung man sicherstellen müsse. Dafür hätten der Finanzausgleich und die Gesundheitsreform mit einer Milliarde Euro mehr pro Jahr für das Gesundheitssystem eine gute Grundlage geschaffen, betont Rauch. Auf dieser könne auch die nächste Regierung aufbauen.
Alle Oppositionsanträge vertagt
Die Frauengesundheit war auch Thema einer Reihe von Oppositionsanträgen, die allesamt mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt wurden. Darunter ein Antrag von SP-NRAbg. Eva-Maria Holzleitner, BSc, auf einen Aktionsplan Wechseljahre samt Sensibilisierungsoffensive, um das Thema zu entstigmatisieren. FP-Gesundheitssprecher NRAbg. Mag. Gerhard Kaniak betont dazu, dass seine Fraktion den Antrag unterstützt hätte. Betroffene Frauen würden unter den „diffusesten Beschwerden“ leiden und es gebe vor allem ein Mangel an Expertinnen und Experten im Kassenbereich.
Auch bei einem wiederaufgenommenen und abermals vertagten Oppositionsantrag sind sich SPÖ und FPÖ einig: Beide Fraktionen widmen sich der rechtlichen Schlechterstellung von Frauen mit Schwangerschaftsverlust gegenüber Frauen mit Totgeburten. Denn für Erstere gibt es keinen Mutterschutz, keine kassenfinanzierte Hebammenbetreuung und keinen Bestattungskostenbeitrag – was SPÖ und FPÖ ändern wollen.