Kaiserschnitt auf Bestellung

DISKUSSION – Spontane Geburten wurden in den letzten zwanzig Jahren immer seltener, dafür entschieden sich immer mehr Frauen für geplante Kaiserschnitte. Um die Bewertung dieser Tendenz wird noch gerungen. (Medical Tribune 46/17) 

V.l.n.r.: Moderatorin Doris Helmberger-Fleckl („Die Furche“), Dr. Ludwig Janus, Prof. Barbara Maier, Prof. Peter-Wolf Husslein.
V.l.n.r.: Moderatorin Doris Helmberger-Fleckl („Die Furche“), Dr. Ludwig Janus, Prof. Barbara Maier, Prof. Peter-Wolf Husslein.

Laut einer Erhebung der Statistik Austria werden fast zwei Drittel aller Lebendgeborenen spontan geboren. Die Kaiserschnittrate liegt bei knapp unter 30 %, nur knapp die Hälfte davon fällt unter die Kategorie Notkaiserschnitt, die restlichen Eingriffe sind geplant. Dass sich im Lauf der Jahrzehnte immer mehr Schwangere gegen eine spontane Geburt entschieden, kann als Folge der Fortschritte in der Geburtshilfe gesehen werden. Die Operation ist heutzutage viel weniger risikoreich und belastend für Mutter und Kind als früher. „Solange der Kaiserschnitt eine wirklich gefährliche Operation war, hat man natürlich einen sehr triftigen Grund gebraucht, um einen Kaiserschnitt zu machen“, erinnert sich Univ.-Prof. Dr. Peter-Wolf Husslein, Leiter der Universitätsklinik für Frauenheilkunde, MedUni Wien.

Heutzutage würden Kaiserschnitte immer seltener gemacht, um Leben zu retten, um etwa eine Uterusruptur zu verhindern – die Übergänge zwischen „Indikation“ und „Nicht-Indikation“ seien fließend. Der Eingriff werde heute „aus vielen Gründen“ vorgenommen, erklärt Husslein, etwa im Extremfall auch, wenn eine Frau sich die Beschwerlichkeit einer vaginalen Geburt „nicht antun“ wolle. „Das hat schon, etwas jovial formuliert, mit Lifestyle-Medizin zu tun, und das ist gerechtfertigt, weil das Risiko so gering ist.“ Doch den Begriff „Wunschkaiserschnitt“ lehnt er in diesem Zusammenhang vehement ab. Korrekter sei es, vom „geplanten Kaiserschnitt“ zu sprechen: „Wenn eine Frau eine sehr unbefriedigende, traumatisierende Geburt in der Vorgeschichte gehabt hat, obwohl alles gut gegangen ist, und sie sagt: ‚Das will ich nie mehr erleben!‘, ist das medizinisch oder persönlich begründet? Das sind fließende Übergänge“, ist Husslein überzeugt.

Die Motivation hinterfragen

Die Motivation, sich einen Kaiserschnitt ohne medizinische Indikation zu wünschen, sollte man allerdings schon erhellen, findet Univ.- Prof. DDr. MMag. Barbara Maier, Leiterin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe am Wiener Wilhelminenspital: Wie war der Schwangerschaftsverlauf? Hat es für diese Frau in der Begleitung vielleicht nicht genügend Ressourcen gegeben? „Aus der Frauenperspektive bin ich schon dafür, ein bisschen Einhalt zu gebieten, wenn es irgendwie möglich ist und wenn man das mit der Frau gut besprechen kann, die Vorund Nachteile gut herausarbeiten kann“, fordert Maier. Zumal Frauen sehr häufig und sehr vielen Operationen unterzogen werden – das fange schon in der Reproduktionsmedizin an, wenn etwa eine männliche Infertilität über den Frauenkörper mittels In-vitro-Fertilisation behandelt wird, sagt Maier.

Husslein betont die Autonomie der Frau: „Wir haben mehr medizinische Kompetenz, aber die Frau hat auch eine Kompetenz, nämlich die Kompetenz über ihre Lebensführung. Und wir können nicht sagen, was für die Frau gut ist, sondern wir müssen akzeptieren, dass unterschiedliche Frauen sich unterschiedliche Dinge bei der Geburt vorstellen, sich vor unterschiedlichen Dingen fürchten.“ Aber ließe sich die Zahl der Kaiserschnitte auf Wunsch der Eltern überhaupt beeinflussen? Mit einer „feinfühligen Geburtshilfe“ schon, ist Maier überzeugt. „Wir haben im Krankenanstaltenverbund zurzeit eine Arbeitsgruppe, um die Chance auf Spontangeburt zu erhöhen“, berichtet Maier. Das entspricht auch einem der Wiener Gesundheitsziele bis 2025. „Wir wüssten schon, wie es geht“, doch da müsse vieles mitspielen, angefangen bei einer 1:1-Hebammenbetreuung schon in der Schwangerschaft. Im Idealfall sollten die Frauen „wirklich durch die Schwangerschaft und die Geburt begleitet“ werden.

Doula und Frühe Hilfen

Vor allem für Frauen mit Migrationshintergrund wäre eine „Doula“ von Vorteil: Eine Bezugsperson aus dem eigenen Kulturkreis, die die Sprache versteht und der werdenden Mutter in der gesamten Phase zur Seite steht, ihr aber auch „die gesamte kultürliche Dimension der Geburt integrativ vermitteln könnte“, sagt Maier. Das bestätigt auch Dr. Ludwig Janus, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Pränatalpsychologe aus Dossenheim in der Nähe von Heidelberg: „Man hat gesehen, dass es für die werdende Mutter sehr wichtig ist, so einen Rückhalt zu haben, dass sie dann entspannter ist, mehr bei sich sein kann.“ Mit einem Doula-System sinke die Interventionsrate um 50 %. „Sodass die Verfassung der Mutter – ob sie diesen Rückhalt hat – die ganze Situation verändert.“ Zusätzlich sollten Frühe Hilfen im Bedarfsfall schon während der Schwangerschaftsbetreuung eingebunden werden, ergänzt Maier.

Am AKH habe man im Rahmen eines Hebammengeburtshilfeprojekts sehr niedrige Sectioraten beobachtet, berichtet Husslein. Frauen, die an dem Projekt teilnehmen wollten, erhielten eine „reine Hebammengeburtshilfe“. Am Ende sei die Kaiserschnittfrequenz bei 0,5 % gelegen, berichtet Husslein. Im kommenden Jahr sollen 400 Frauen mit niedrigem Geburtsrisiko in ein ähnliches Programm aufgenommen und in der Schwangerschaft ausschließlich von Hebammen betreut werden, zusätzlich zu ihrem niedergelassenen Arzt, also nicht von Klinikärzten. Husslein prognostiziert eine Sectiorate von 0,5 bis 1 %. „Aber das muss man halt dann auch wirklich wollen, und derzeit will das offensichtlich im öffentlichen System niemand, weil es Geld kostet“, vermutet er.

Geburtarten verglichen

Doch macht es für das Kind einen wesentlichen Unterschied, ob es spontan oder mit einem geplanten Kaiserschnitt auf die Welt kommt? „Für mich wäre es spannend, weiter in das einzudringen, was der Beginn des Geburtsvorgangs ist und was das Kind dabei ‚erlebt‘“, meint Maier. Sie vermutet, dass das Kind bei einem natürlichen Geburtsvorgang eher die Chance hat, sich zu orientieren und anzupassen. „So ein Geburtsbeginn hat etwas mit der Interaktion Mutter und Kind zu tun. Das ist bei einem gesetzten Kaiserschnitt nach meiner Erfahrung so nicht der Fall.“ Jedenfalls habe eine britische Studie gezeigt, dass Kinder, die durch eine geplante Sectio geholt worden sind, sechs Wochen später beim Impfen gelassener wirkten als Kinder, die eine einfache vaginale Geburt erlebt hatten – „die haben ein bisschen herumgemotzt“ – und diejenigen, die eine Zangengeburt hinter sich hatten, verhielten sich hektisch und wiesen beim anschließenden Mundschleimhautabstrich die höchsten Cortisollevel auf, berichtet Husslein. In einer weiteren Studie am AKH wurden bei der Geburt die Stresshormone bestimmt, und es zeigte sich, dass Babys nach geplantem Kaiserschnitt niedrige Stresshormonlevel hatten, nach Vakuumgeburten war das Level hoch „und die einfachen Vaginalgeburten waren irgendwo dazwischen“, fasst Husslein zusammen. Doch die Frage, ob weniger Stress bei der Geburt erstrebenswert ist oder nicht, da er Teil des Anpassungsprozesses an die Umgebung ist, bleibt. Husslein: „Ich will damit sagen, das hat alles einen Einfluss, aber es ist schwer zu erfassen.“

Science Talk „Vorgeburtliche Phase im Fokus: Vor der Geburt ist nach der Geburt?“; Wien, September 2017

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune