ÖÄK fordert Mittel und Reformen ein

STANDESVERTRETUNG – Das neue Präsidium der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) präsentierte seine Arbeitsschwerpunkte. Medical Tribune hakte beim Präsidenten nach – und ließ ihn auch gleich Zeugnisse verteilen. (Medical Tribune 27/2017)

Von wegen Sommerloch oder gar Urlaubsstimmung! Die gesundheitspolitische Szene ist in Aufruhr. Das PHC-Gesetz bewegt die Gemüter, politische Parteien verteilen im Wahlkampf bereits Zuckerln und die mächtige Ärztekammer hat einen neuen Chef. Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres stellte in Wien sein neues Team vor – mit vielen vertrauten Gesichtern. Davor nahm er sich Zeit für ein Gespräch mit der Medical Tribune.

Flexible Modelle und mehr Geld notwendig

„Wir brauchen attraktive Rahmenbedingungen und flexible Modelle, um mehr Ärzte zur Niederlassung zu bewegen und damit junge Ärzte vor allem den Beruf des Hausarztes ergreifen“, sagt Szekeres. Schon jetzt seien ein Drittel der Kolleginnen und Kolleginnen in Wien teilbeschäftigt, „und das wird mehr werden“. Attraktive Rahmenbedingungen vermisst er allerdings bei den geplanten Primärversorgungszentren (siehe Interview unten). Während der Bedarf an hausärztlicher Betreuung durch Zuzug und Alterung steigt, nimmt die Zahl der Kassenärzte, die ihrerseits altersbedingt in Pension gehen, ab. „Das ist die echte Herausforderung an das Gesundheitssystem“, sagt der neue Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK). Einer Angleichung der Honorare oder generellen Umstellung auf Pauschalierung will er sich nicht grundsätzlich verschließen. „Wenn es ein besseres System ist, wird man es bei den Einzelärzten auch anwenden. Aber es kann nicht sein, dass man zur Angleichung überall die niedrigsten Honorare wählt“, sagt Szekeres. Ein Hausarzt in Wien bekomme pro Patient im Quartal im Schnitt 45 Euro brutto und in dieser Zeit komme der Patient im Schnitt dreimal. „Das sind 15 Euro brutto pro Konsultation, und da sehe ich keinen Spielraum mehr nach unten.“

Der Ärztekammer-Präsident will sich generell für mehr Geld für das Gesundheitssystem einsetzen. Auch wenn dieses im internationalen Vergleich gut abschneide, wäre eine Steigerung des Anteils der Gesundheitsausgaben am BIP angebracht, ja sogar notwendig. Szekeres spricht sich klar für ein Ende des Kostendämpfungspfades aus, der sich nur nach Inflation und dem Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP richte. Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen seien Mehrausgaben für das Gesundheitssystem unumgänglich. „Sie müssen bedenken: Wien wächst zum Beispiel um 40.000 Menschen pro Jahr – das ist eine mittelgroße Stadt – und gleichzeitig sinkt die Zahl der Kassenärzte. Wenn ich jetzt auch noch die Spitäler entlasten möchte, dann geht es sich irgendwann nicht mehr aus.“

Für mehr Leistung darf nicht anderswo gespart werden

Wenn man zusätzliche Leistungen will, müsse man zusätzliche Mittel einsetzen und nicht anderswo sparen, meint Szekeres in Anspielung an die geplanten Primärversorgungszentren. Es sei evident, dass ein Zentrum mehr Geld kostet als eine Einzelordination. „Wenn man hingegen im niedergelassenen und im Spitalsbereich die Leistungen zurückfährt, darf man sich nicht wundern, dass die Patienten dann zum Privatarzt gehen.“ Insgesamt gibt sich Szekeres dieser Tage aber recht versöhnlich, auch wenn er stets betont: „Wenn man die Ärzteschaft ausschließt, wird die Reform scheitern.“ Über den neuen Hauptverbandschef Dr. Alexander Biach sagt er: „Ich schätze ihn sehr und habe gute Hoffnung, dass es uns gelingen wird, die Situation zu verbessern.“ Auch mit der „Frau Minister“ habe die Ärztekammer ein „sachliches, gutes Verhältnis“.

Apropos Minister: Außenminister und ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat mit seinem 10-Punkte-Programm für das Gesundheits- und Pflegesystem zumindest die Ärztekammer überzeugt. „Wir begrüßen das“, sagt Dr. Johannes Stein­hart, der neue alte Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und 2. Vizepräsident der ÖÄK: „Es war hoch an der Zeit, dass ein Spitzenpolitiker offen zentrale Punkte der Versorgung anspricht und ein klares Bekenntnis zu mehr Geld für das Gesundheitssystem abgibt.“ Unabdingbar sei eine echte finanzielle Aufstockung des niedergelassenen Bereichs und die vollständige Finanzierung der Lehrpraxis. Der neu gewählte 1. ÖÄK-Vizepräsident Dr. Herwig Lindner verweist auf die prekäre Lage der Landmedizin: „Wir dürfen das Land nicht aufgeben.“ Der Präsident der steirischen Ärztekammer kritisiert zudem mangelnde Ideen der Kassen und fordert Reformen ein: „Der Kassenvertrag war vielleicht vor 20 Jahren ein gutes Produkt.“

Wie fühlt man sich als Präsident und wie ist es aus Ihrer Sicht überhaupt zu dem Machtwechsel gekommen?

Szekeres: Mir geht es derzeit sehr gut, aber fragen Sie mich in ein paar Monaten noch einmal. Wie es zu dem Machtwechsel kam? Ganz einfach: Der bisherige Präsident hat sich nicht mehr zur Wahl gestellt, Wien ist ein großes Bundesland, die anderen Länder haben sich auf mich als Präsident geeinigt und ich bin dann einstimmig gewählt worden.

Was möchten Sie anders machen als Ihr Vorgänger? Der galt ja als pragmatisch. Kommt jetzt wieder die Fundamentalopposition?

Szekeres: Ich glaube, wir sind alle pragmatisch, aber wenn gewisse Grenzen überschritten werden, dann artikulieren wir das. So wie mit dem kurzen Warnstreik, den wir in Wien organisiert haben. Aber die Ärzteschaft ist niemand, der grundsätzlich Fundamentalopposition betreibt. Wir sind keine notorischen Neinsager, auch wenn uns das mitunter nachgesagt wird. Wichtig ist, dass die Ärzteschaft bei Fragen des Gesundheitssystems eine zentrale Rolle einnimmt. Wir kennen uns bestens aus im System und wollen eine Themenführerschaft einnehmen.

Bei der Primärversorgung ist das ja nicht ganz gelungen und Sie stehen als Ärztekammer erst wieder in Verruf des notorischen Nein-Sagens.

Szekeres: Die Primärversorgungszentren, so wie sie im Gesetz vorgesehen sind, sind nicht praxistauglich. Die Rahmenbedingungen machen es nicht attraktiv, sich zu beteiligen. Ich brauche doch auch einen Weg hinaus für den Fall, dass es nicht funktioniert, was durchaus passieren kann, wenn ich mich mit fremden Kollegen zusammenschließe. Wenn ich meinen Kassenvertrag dann aber nicht zurückbekomme, dann überlege ich es mir dreimal, ob ich mich auf so ein Risiko einlasse. Nicht gelöst wurde auch die Frage der Anstellung von Ärzten bei Ärzten. In den Zentren braucht man zusätzliche Ärzte, um die langen Öffnungszeiten einhalten zu können. Außerdem gibt es viele Kollegen und Kolleginnen, die wollen nicht unbedingt verantwortlich sein für die Organisation, sondern arbeiten am liebsten als Teilangestellte.

Wenn es für den freien niedergelassenen Arzt nicht attraktiv genug ist, sich zusammenzuschließen, dann entstehen womöglich lauter Ambulatorien, betrieben von den Kassen …

Szekeres: Ja, dann sollen sie es machen, wenn sie dafür Ärzte finden!

Welche gesundheitspolitischen Akutmaßnahmen sehen Sie als vordringlich?

Szekeres: Akut ist nach wie vor das PHC-Gesetz, dann gibt es Herausforderungen im Spitalsbereich durch die extreme Arbeitsverdichtung und immer mehr Patienten. Wir brauchen in manchen Bereichen einfach mehr Personal und haben Schwierigkeiten, Fachärzte zu finden. Die Baby-Boomer-Generation geht außerdem bald in Pension. Es dauert mehrere Jahre, um eine Nachwuchslücke wieder zu füllen, gerade auch bei den Allgemeinmedizinern.

Wird die Ausbildungsordnung zum Problem, zum Beispiel wegen der frühen Entscheidung für das Fach, und müsste man das ändern?

Szekeres: Das muss man sicher wieder ändern. Den Trend sieht man ja. Weil man sich jetzt mit der Entscheidung für Allgemeinmedizin den Weg in die Facharztausbildung verbaut. Allgemeinmediziner in Ausbildung verdienen auch nur halb so viel wie Fachärzte im Turnus. Wir haben ja gerade Schulschluss. Welche Note würden Sie denn unserem Gesundheitssystem geben? Szekeres: Unser Gesundheitssystem ist gut. Mir fallen wenige Länder ein, wo es besser ist. Wir jammern also auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Aber wir sind auch ein reiches Land. Und andere wie Deutschland, die Schweiz oder die skandinavischen Länder geben mehr aus in Relation zum BIP. Warum soll ein reiches Land nicht mehr Geld für Gesundheit ausgeben? Das Einzige, wo wir allerdings ganz schwach sind, ist bei der Prävention, da gehört etwas gemacht!

Der Hauptverband bekommt aber kein „Gut“, oder?

Szekeres: Nein, allein schon wegen dem Mystery Shopping. Ich bin aber guter Dinge, dass es besser wird. Ich schätze den neuen Vorsitzenden, er ist konstruktiv. Auch mit der Frau Minister haben wir im Übrigen ein sachliches, gutes Verhältnis. Die Frage ist, was nach Mitte Oktober ist.

Das Interview führten Hans Wenzl und Hans-Jörg Bruckberger.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune