29. Juni 2017

Rhythmusstörung: Der unterschätzte Killer

Für Vorhofflimmern und den plötzlichen Herztod fehlt es an öffentlichem Bewusstsein und an Versorgungsstrukturen. (Medical Tribune 26/2017)

istockphoto: Herzkurve

Von den 80.000 Schlaganfällen, die Patienten hierzulande pro Jahr erleiden, dürften zwischen 5000 und 7000 mit Vorhofflimmern assoziiert sein. Diese dramatischen Zahlen präsentierte OA Prof. Dr. Helmut Pürerfellner, Leiter der Abteilung für Leiter Rhythmologie und Elektrophysiologie am Ordensklinikum Linz, im Rahmen eines Pressegesprächs im Vorfeld der Jahrestagung der European Heart Rhythm Association (EHRA) Mitte Juni in Wien. Zusätzlich erliegen etwa 15.000 Menschen pro Jahr in Österreich einem plötzlichen Herztod – in der Altersgruppe der 40- bis 70-Jährigen ist er damit die häufigste Todesursache, wie ERHA-Past-Präsident Prof. Dr. Gerhard Hindricks betonte.

Tausende Rhythmologen aus der ganzen Welt tagten nur eine Woche nach dem schillernden Life Ball in der Bundeshauptstadt. Doch während HIV, nicht zuletzt dank des jährlichen Society Events, im Bewusstsein der Öffentlichkeit stark präsent ist, ist die Gefahr, die von unbehandelten Herzrhythmusstörungen ausgeht, weitgehend unbekannt. Nicht zuletzt deshalb gebe es jährlich etwa 1000 bis 2000 mit Vorhofflimmern assoziierte Schlaganfälle, bei denen die Rhythmusstörung erst nach dem Ereignis erstmals diagnostiziert werden, bemängelt Pürerfellner.

Beim plötzlichen Herztod dürfte es es hinsichtlich Awareness nicht viel besser aussehen als beim VHF. An Bewusstsein für das Problem mangelt es offenbar nicht nur in der Allgemeinbevölkerung, wie Hindricks eindrucksvoll illustriert: „Der deutsche Gesundheitsminister wäre fast vom Stuhl gefallen, als ich ihm gesagt habe, dass der plötzliche Herztod mehr Leben aus der Gesellschaft reißt als Brustkrebs, Darmkrebs, Leukämie und AIDS zusammen.“ Angesichts der vergleichsweise viel höheren Awareness für HIV oder auch onkologische Erkrankungen wie Brustkrebs oder Leukämie konstatiert der Leipziger Kardiologe: „Da haben wir etwas ausgelassen, das andere besser gemacht haben.“

Apps als Lebensretter

Die neugewählte ÖKG-Präsidentin­ Univ.-Prof. Dr. Andrea Podczeck-­Schweighofer möchte daher nun einen Schwerpunkt auf Früherkennung von Herzrhythmusstörungen setzen. Derzeit setze man vor allem auf opportunistisches Screening, also auf weitere Abklärung, wenn den Patienten selbst Pulsunregelmäßigkeiten auffallen. Es sei allerdings vorstellbar, das Screening auszuweiten, hält Pürerfellner fest. Ein wissenschaftliches Fundament dafür sei mit einem in Circulation veröffentlichten White Paper bereits vorhanden.

Wesentlich sei auch, so Podczeck-­Schweighofer, bei Arztkontakten immer abzuklären, ob in der Familie bereits ein plötzlicher Herztod aufgetreten sei, der auf eine erblich bedingte Kanalerkrankung rückschließen lassen könnte. Einen wesentlichen Beitrag zur Früh­erkennung könnten zukünftig zunehmend auch Smartphone & Co leisten. Mit Elektroden ausgestattet können Smartphones per App bereits ein EKG aufzeichnen. Offen sei dabei allerdings noch die Frage nach der Aufbereitung und Aufarbeitung der Daten, damit sichergestellt sei, „dass aus Big Data Smart Data werden“, schränkt Pürerfellner ein.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune