5. Apr. 2016

Hohe Schmerzkompetenz an einem Ort

Der Vision einer multidimensionalen Schmerztherapie gerecht zu werden, hat sich Dr. Martin Pinsger verschrieben, als er vor drei Jahren das Schmerzkompetenzzentrum Bad Vöslau eröffnete. MT besuchte ihn und sein Team.

Badener Straße 8 in Bad Vöslau, schräg gegenüber vom Thermalbad: Über viele Jahrzehnte befand sich in dem schön renovierten Altbau die Post der Stadtgemeinde. Als sie 2011 umsiedelte, beschloss Dr. Martin Pinsger, FA für Orthopädie, sich einen lang gehegten Traum zu erfüllen, nämlich ein Schmerzkompetenzzentrum im 300 m2 großen Gebäude einzurichten. Die offizielle Eröffnung war im Jänner 2013.

Wahlarzt Pinsger hatte zuvor schon eine Ordination mit 90 m2 in Gehweite. „Trotzdem waren der Umzug in das neue Gebäude, der aufwendige Umbau davor sowie die Organisation eines solchen Zentrums eine sehr große Herausforderung“, erzählt er. Und er habe sich nur an das Unternehmen herangewagt, „weil Jugend nachkommt“: Tochter Dr. Astrid Pinsger-Plank, Assistenzärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie, absolviert im Rahmen ihrer Facharztausbildung gerade eine Lehrpraxis im Schmerzkompetenzzentrum und soll nach Abschluss ihrer Ausbildung die Leitung übernehmen. „Mein Vater bildete vor mir bereits mehrere Lehrpraktikanten aus“, weiß sie um die Vorteile der Praxiserfahrung, die sie bei der kontinuierlichen und persönlichen Begleitung der Patienten sammeln kann: „Im Zuge der engen interdisziplinären Zusammenarbeit im Haus lernt man so vielseitige und spezielle Behandlungsmethoden und -techniken kennen!“

Multidimensionale Schmerztherapie

Vier Ärzte und 16 Therapeuten arbeiten mittlerweile im Schmerzkompetenzzentrum unter einem Dach zusammen (siehe Praxis-Steckbrief). „Die Kollegen sind eingemietet“, erklärt Pinsger. „Wir setzen auf ein Time-Sharing-Modell mit gemeinsamer Verwaltung und Organisation.“ Dadurch sei es einerseits möglich, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten sowie andererseits den Patienten eine breite Palette an Behandlungen anzubieten.

„Multidimensionale Therapie wird in einem gut abgestimmten multiprofessionellen Team zur Selbstverständlichkeit“, freut sich der Orthopäde. Trotzdem sei nicht immer alles einfach: Viele Patienten seien zwar sehr dankbar für die Akutbehandlung. Oftmals müssen sie aber erst davon überzeugt werden, über langfristige Pro­blemlösungen nachzudenken, um mithilfe von unterschiedlichsten Therapiekonzepten nachhaltige Ergebnisse zu erzielen. „Die Konfrontation von Schmerzpatienten mit ihrer Lebenssituation – körperlich, psychisch und sozial – darf nicht ausbleiben, um wieder Ausgewogenheit in ihr System zu bringen“, betont Pinsger.

Spannend ist in diesem Zusammenhang die erste Bad Vöslauer Schmerzgruppe des Facharztes für Anästhesiologie und Intensivmedizin Dr. Herwig Kropfmüller und seines Teams, der am 15. April im Schmerzkompetenzzentrum startet. Es handelt sich um eine Gruppentherapie an acht Nachmittagen, die auf Schmerzedukation, Information, Entspannungsübungen und Bewegungseinheiten für Patienten mit chronischen Schmerzen setzt.

Der Schwerpunkt von Kropfmüller im Schmerzkompetenzzentrum liegt auf der Behandlung von akuten und chronischen Schmerzen – wie auch von anderen Beschwerden – mit Akupunktur. „Während meiner Tätigkeit in der Schmerz- und Akupunkturambulanz im AKH Wien konnte ich wertvolle Erfahrungen darin sammeln, die Möglichkeiten westlicher mit chinesischer Medizin zu kombinieren“, schildert er. Die Schmerzgruppe ist ein Projekt im Rahmen der „Gesunden Gemeinde“. Für das breite Angebot an Entspannungsübungen und Bewegungstraining zeichnen die Therapeuten des Schmerzkompetenzzentrums verantwortlich.

Cannabinoide medizinisch genutzt

Die Pharmakotherapie stellt eine wichtige Säule in der Schmerzmedizin dar, vor allem bei chronischen Schmerzpatienten. Pinsger hat in den vergangenen fünfzehn Jahren mit dem ergänzenden Einsatz von Cannabinoiden in der Schmerztherapie bei ausgewählten Patienten gute Erfahrungen gemacht und dokumentiert die Ergebnisse im Rahmen kleiner Studien. Die heute in der Medizin verwendeten Cannabinoide werden aufgrund ihrer vielseitigen Einsetzbarkeit geschätzt.

Beispielsweise sind ihre antiemetischen, appetitsteigernden, muskelentspannenden, schlaffördernden sowie schmerzmodulierenden Effekte medizinisch von Nutzen. „Durch die Beifügung von Cannabinoiden in kleinen Mengen gelingt es oftmals, die Medikamenteneinnahme der Patienten insgesamt zu senken“, gibt der Schmerzmediziner zu bedenken. „Die Patienten erfahren Ruhe und Struktur. Gleichzeitig können gerade chronische Schmerzpatienten mit Cannabinoiden oft aus ihrer Immobilisation herausgeholt werden, da die – die körperliche Aktivität einschränkende – Vermeidungsangst vermindert wird. Wichtig sind ein gezielter Einsatz und eine gute Patientenführung.“

Wie reagieren die Patienten auf den Therapievorschlag? Bestürzt bis erfreut, macht der Orthopäde die Erfahrungen. So mancher Cannabis-Erfahrene sei enttäuscht, weil nicht wie beim Rauchen ein Rauschzustand eintritt. Öfter jedoch seien Patienten durch Stigmatisierungsängste im Alltag verunsichert. „In einer randomisierten, placebokon­trollierten Doppelblindstudie im Orthopädischen Spital Speising werden wir den Einsatz von Cannabinoiden im perioperativen Setting untersuchen“, fügt Tochter Pinsger-Plank hinzu. „Hierbei ist auch das Thema Stigmatisierung von Patienten, die auf Cannabinoide eingestellt sind, ein Teilaspekt.“

Schwierige politische Situation

Ein Hemmnis ist derzeit die in Österreich schwierige Bewilligungssituation. Aufgrund der fehlenden Zulassung kann eine Cannabinoid-Verordnung von der Krankenkasse jederzeit abgelehnt werden. Bewilligungsverfahren vor dem Sozialgericht dauern zwischen einem und vier Jahren. Das Schmerzkompetenzzentrum steht den Patienten auch in sozialen und juristischen Fragen zur Seite: So wurde durch Pinsger die Gründung des Schmerzverbandes angeregt, welcher Patienteninteressen vertritt.

Die jüngsten Reformen im Gesundheitsbereich hätten die Schmerztherapie weitgehend aus den Spitälern verdrängt, gibt er abschließend zu bedenken. „Kosteneinsparungen in allen Bereichen machen die Notwendigkeit ambulanter Schmerzzentren wie dem unsrigen besonders augenscheinlich. Wenn kurzfristig gesetzte Interventionen durch sanfte, nachhaltige Verfahren unterstützt und optimiert werden, können Patienten oftmals Operationen und stationäre Aufenthalte erspart werden. Unser Patientenzen­trierter und resilienter Zugang hilft so nachhaltig Kosten zu senken.“

Praxis-Steckbrief:
Schmerzkompetenzzentrum
Dr. Martin Pinsger, FA kür konservative Orthopädie, Schmerzmedizin;
Dr. Herwig Kropfmüller, FA für Anästhesiologie und Allgemeinmedizin, Schmerztherapie, Akupunktur;
Dr. Birgit de Maré, Ärztin für Allgemeinmedizin, Osteopathie;
Prim. Dr. Peter Mesaric, FA für Innere Medizin-Rheumatologie;
Dr. Astrid Pinsger-Plank, Assistenzärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie.
Fachbereiche: Psychologie, ­Diätologie, Hypnose, Massage, Psychotherapie, Sportwissenschaften, Tai-Chi, Qigong, Lebensberatung, Shiatsu, Yoga, Ergotherapie, Physiotherapie
Kontakt: Badener Straße 8,
2540 Bad Vöslau, Tel. 02252/769 48,
www.schmerzkompetenzzentrum.at

Terminvorschau:

Bad Vöslauer Schmerzgruppe mit Dr. Herwig Kropfmüller und Team; Start: 15. April im Schmerzkompetenzzentrum

Mühlenseminare 2016:

  • 8.–9. April: Perioperative Schmerz­therapie bei stark schmerzhaften Eingriffen und chronischen Schmerzpatienten
  • 25.–26. November:
    Schmerz – Psychiatrie
    Leitung: Dr. Martin Pinsger und
    Univ.-Prof. Dr. Günther Bernatzky;
    Grafemühle 49, 3525 Sallingberg,
    Anmeldung: martina.aichberger-mueck@aoporphan.com

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune