20. Nov. 2023Anton von Rosas und Theodor Billroth

„Parasitenpflanze um den hehren Baum ärztlichen Wissens und ärztlicher Kunst“

„Die Wiener Medizin und der akademische Antisemitismus 1848 bis 1938 lautete der Titel eines Symposiums der Gesellschaft der Ärzte in Wien. Aufgrund der Ereignisse im Nahen Osten erhielt die Veranstaltung im Nachhinein eine ungeahnte Aktualität.

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Der renommierte Zeitgeschichtler Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb konstatierte in seinem Eröffnungsvortrag die Konzentration auf den Nationalsozialismus als Schwäche der internationalen Antisemitismusforschung. Deshalb sei eine Veranstaltung, die den Antisemitismus an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien im 19. Jahrhundert ins Zentrum rückt, besonders zu begrüßen. Unter den zahlreichen Angehörigen der Medizinischen Fakultät, die im Laufe des 19. Jahrhunderts mit antisemitischen Äußerungen und Taten aufgefallen sind, ragt mit dem Chirurgen Theodor Billroth (1829–1894) einer der prominentesten Vertreter der Wiener Medizinischen Schule heraus. 1875, 8 Jahre nach seiner Berufung nach Wien, veröffentlichte Billroth eine kulturhistorische Studie unter dem sperrigen Titel „Über das Lehren und Lernen der medicinischen Wissenschaften an den Universitäten der deutschen Nation“.

Rassischer Antisemitismus in Billroths Text

Billroth fokussiert in diesem Text nicht auf einen verbreiteten religiösen Antisemitismus, sondern schlägt eine Bresche für eine rassisch begründete Variante, betont Rathkolb. Billroth warf der österreichischen Regierung vor, nichts gegen den Zustrom „ostjüdischer“ Studenten an die Medizinische Fakultät zu unternehmen, forderte einen Numerus clausus und sprach Juden die Fähigkeit zu Assimilation und Integration ab.

„Es ist ein ziemlich allgemein verbreiteter Irrtum, von den Juden als von Deutschen oder Ungarn oder Franzosen zu sprechen, die nur zufällig eben eine andere Konfession haben als die meisten Bewohner von Deutschland, Ungarn oder Frankreich. Man vergißt oft ganz, daß die Juden eine scharf ausgeprägte Nation sind und daß ein Jude ganz ebensowenig wie ein Perser oder Neuseeländer oder Afrikaner je ein Deutscher werden kann.“[sic!] Mit der Formulierung von der „unüberwindbaren Kluft zwischen rein deutschem Blut und rein jüdischem Blut“ fügte Billroth eine biologistische Argumentation hinzu.

Gerade weil Billroth an der Universität Wien über eine „unglaubliche Reputation“ verfügte, sei seine Schrift als Schlüsselwerk zu betrachten, betont Rathkolb: „Billroth hat den Antisemitismus an der Universität Wien verankert. Viele deutschnationale schlagende Burschenschaften und viele alte Herren in universitären Positionen haben sein Werk wie eine Bibel aufgenommen.“

Der Text Billroths hat im Jahrzehnt nach seinem Erscheinen Wiens Alma Mater in eine aggressive, gewaltbereite Universität verwandelt, erläutert Rathkolb. Das Kultusministerium war nicht bereit, Disziplinarmacht über Studentenvertretungen zu übernehmen und die Universität kam der an sie abgeschobenen Verantwortung nicht nach. Unzählige, von deutschnationalen Burschenschaftern angezettelte Schlägereien, die Stürmung von Vorlesungen jüdischer Professoren etc. sind aber längst „völlig aus dem Gedächtnis gelöscht“.

Auch wenn sich Billroth später aus der öffentlichen Debatte zurückzog und sogar einem „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ beitrat, bleibt er, „ob er das will oder nicht, eine Schlüsselfigur für die antisemitische Propaganda“, resümiert Rathkolb. Dieser Befund ist nicht zuletzt für die „Gesellschaft der Ärzte in Wien“ ein Problem, trägt doch ihre von Billroth 1893 initiierte Heimstätte in der Frankgasse den Namen „Billrothhaus“.

Aktuelle Forschungsprojekte

Bereits 2013 hat ein Forschungsprojekt der Gemeinde Wien unter Rathkolbs Leitung zu den Straßennamen der Stadt die Billrothstraße im 19. Bezirk in die Kategorie „Fälle mit demokratiepolitisch relevanten biographischen Lücken“ eingeordnet.1

Noch gewichtiger sind die erst kürzlich veröffentlichten Ergebnisse einer Reflexion der 1.577 Ehrungen durch die Universität Wien seit dem 500-Jahr-Jubiläum 1865. Zu den als „problematisch“ eingestuften Ehrungen zählen auch jene, die Billroth zuteil wurden.

Erwähnenswert ist vor allem das Denkmal beim Haupteingang des ehemaligen AKH. Wohl nicht zufällig wurde dieses zum 50. Todestag Billroths 1944 exakt in der Sichtachse zum Denkmal für Joseph II. errichtet (und hat es damit weitgehend verdeckt). Weil kein Marmor zur Verfügung stand, errichtete der prominente NS-Bildhauer Michael Drobil ein Provisorium aus Gips.

Was nach 1945 damit geschah, kann als Prototyp österreichischer Vergangenheitsbewältigung eingeordnet werden: Leopold Schönbauer, NSDAP-Mitglied und förderndes Mitglied der SS, Universitätsprofessor und Klinikvorstand, blieb 1945 von der Entnazifizierung ausgenommen und behielt seine Ämter, obwohl an seiner Klinik Zwangssterilisierungen durchgeführt worden waren.

Schönbauer, der bereits 1944 bei der Einweihung des Provisoriums als Redner aufgetreten war, konnte zum 121. Geburtstag Billroths am 26. April 1950 vor der von Drobil identisch gestalteten Marmorausführung des Denkmals erneut eine Würdigungsrede halten.2

Rosas über die "Quellen ärztlichen Missbehagens"

Mehr als eine Generation vor Billroth hat der Ophthalmologe Anton von Rosas (1791–1855) mit radikal antisemitischen Aussagen für Aufmerksamkeit gesorgt. Der gebürtige Ungar kam 1821 nach Wien und übernahm die Leitung der von Georg Joseph Beer gegründeten ersten Universitätsaugenklink nach dessen Tod und leitete diese bis 1853. Die Historikerin Dr. Daniela Angetter-Pfeiffer stellte Anton von Rosas in den Mittelpunkt ihres Vortrages. 1842 veröffentlichte dieser einen Artikel unter dem Titel „Über die Quellen des heutigen ärztlichen Missbehagens, und die Mittel, um demselben wirksam zu steuern.“[sic!]

Darin stellte er sich explizit gegen eine schrittweise Öffnung der Universität Wien für jüdische Studierende und jüdische Ärzte. Er charakterisierte die „israelitische Nation“ als Handelsvolk, das deshalb gar nicht den Geist echter Heilkunst vertreten könne. „Denn Handel hat Egoismus als Leitstern, wodurch das Denken, Sehnen, Fühlen und Agieren nur gewinnorientiert sei“, fasste Angetter-Pfeiffer zusammen. „Ein Arzt habe die unblutige Dornenkrone des göttlichen Meisters zu tragen, eine echte christliche Bruderliebe könne ein Israelit nicht üben weil er, seit 3000 Jahren im Feindeshasse zu sehr verhärtet sei“, so Rosas im O-Ton. Rosas beschreibt Israeliten als „Parasitenpflanze um den hehren Baum ärztlichen Wissens und ärztlicher Kunst“ und prognostizierte „immer weniger Früchte je mehr sich die Parasitenpflanze um den Baum schlingen“ werde, zitierte Angetter-Pfeiffer. In seinem Aufsatz entschuldigt sich Rosas vorab bei der israelitischen Kultusgemeinde mit schwer erträglichem Zynismus: Es sei nicht Intoleranz und Glaubenshass, die ihn antreibe, sondern „rein das Wohl der medizinischen Wissenschaft und der leidenden Menschheit“.

„Die überhand nehmende Zahl israelitischer Ärzte gereicht der Medizin als Kunst und Wissenschaft, ja selbst der Menschheit zum Nachteil“, schrieb Rosas 1842, als in Wien von 388 Ärzten gerade einmal 8 Juden waren. Die erste Promotion eines jüdischen Arztes hatte es in Folge des Toleranzpatents Joseph II. 1789 gegeben.

In dem bereits erwähnten Straßennamenbericht wird die 1894 erfolgte Benennung der Rosasgasse im 12. Bezirk in der (leichtesten) Kategorie „Fälle mit demokratiepolitisch relevanten biographischen Lücken“ angeführt. In der Studie über die Ehrungen der Universität Wien wird Rosas’ Nennung auf der „Ehrentafel der Medizinischen Fakultät“ in der Kategorie „diskussionswürdig“ eingestuft und er ausdrücklich als „Vorläufer Theodor Billroths“ bezeichnet.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune