Tauziehen um Gesundheitsreform beginnt
Bis zu zehn Milliarden Euro über fünf Jahre bietet die Bundesregierung den Ländern an – für Reformen in Gesundheit und Pflege. Landeshauptleutekonferenz-Vorsitzender Peter Kaiser (SPÖ) lehnt umgehend ab: Nötig seien sieben bis acht Milliarden pro Jahr.
Quid pro quo lautet die Losung, die Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) bereits zu Jahresbeginn im medonline-Interview durchaus bestimmt vertreten hat. In den Finanzausgleichsverhandlungen wolle der Bund frisches Geld für die Länder locker machen, sofern diese umfassende Strukturreformen im Gesundheitssystem angehen. Eine Einigung über die konkreten Zahlen ging sich zwar vor dem Sommer nicht mehr aus, ein Entwurf über die Eckpunkte der Gesundheitsreform jedoch schon. Am 3. Juli 2023 haben Rauch und Finanzminister Dr. Magnus Brunner (ÖVP) ihre Vorschläge zum Finanzausgleich vorgelegt. Darin finden sich etliche Punkte, die die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) schon vorab als Forderungen präsentiert hat, wie etwa die verpflichtende Diagnose-Codierung für alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (siehe unseren Bericht hier).
„Ambitionierter Vorschlag“, noch nicht verbindlich
Bis zu zehn Milliarden Euro stelle der Bund in den nächsten fünf Jahren für Reformen in Gesundheit und Pflege bereit, heißt es in einer begleitenden Aussendung des Gesundheitsministeriums. „Wir haben heute einen ambitionierten Vorschlag vorgelegt“, sagt Rauch, „jetzt gilt es, rasch zu einer verbindlichen Vereinbarung zu kommen – zum Wohle aller Patientinnen und Patienten und aller Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten.“
Auch Brunner spricht von einem „Angebot“ an die Länder und Gemeinden. „Wir sind hier bereit, einen spürbaren finanziellen Beitrag zu leisten.“ Im Gesundheitsbereich sollen die zusätzlichen Mittel vor allem in die Stärkung des niedergelassenen Bereichs und in den Ausbau von Fachambulanzen in den Spitälern fließen, aber auch die „Wirkstoffverschreibung“ für die Medikamentenversorgung ist enthalten. In der Pflege will man u.a. Gehaltserhöhungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Ausbildungszuschuss und Community Nursing dauerhaft weiterführen (Details siehe Kasten).
Bei den zehn Milliarden Euro für den Finanzausgleich von 2024 bis 2028 soll es sich einerseits um frisches Geld handeln, andererseits um die Weiterführung von bereits bisher gewährten Zuwendungen wie der Kompensation des Pflegeregress-Entfalles. Die genaue Höhe der Summe sei von den weiteren Gesprächen über die Reformen abhängig. Einige der Maßnahmen würden von Ländern und Sozialversicherung kofinanziert.
Finanzminister Brunner betont auch, dass mehr Mittel für Kinderbetreuung und andere Bereiche wie z.B. strukturschwache Gemeinden in die Hand genommen würden. Im Gegenzug erwarte er sich auch mehr Reformen beim Thema Transparenz über „Adaptierungen bei der Transparenzdatenbank“.
Länder wollen neuen Verteilungsschlüssel
Der derzeitige Vorsitzende der Landeshauptleute-Konferenz, Kärntens SP-Landeshautmann Peter Kaiser, kannte der APA zufolge den Vorschlag des Bundes zunächst noch nicht, lehnte ihn aber in einer Pressekonferenz nach einer Sitzung der Landesregierung am 3. Juli sofort ab. Zehn Milliarden auf fünf Jahre seien zu wenig, nötig wären sieben bis acht Milliarden Euro für Länder, Städte und Gemeinden pro Jahr, wird Kaiser zitiert.
„Es muss einen neuen Verteilungsschlüssel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geben, damit insbesondere die Bereiche Gesundheit, Pflegeversorgung und Bildung weiterhin finanzierbar sind“, beruft sich Kaiser in einer Aussendung auf WIFO-Daten: Demnach sind die Kosten in diesen Bereichen für die Länder und Gemeinden „massiv“ gestiegen, nämlich gemessen am BIP von 60 auf 65%.
Daher soll der Bund gemäß dem Vorschlag der Länder künftig 60% – statt bisher 68%– aus den gesamten Steuereinnahmen erhalten, die Länder sollen 25% (statt bisher 20%) und die Gemeinden 15% (statt bisher 12%) bekommen. Es würde vonseiten des Bundes ein Vorschlag am Tisch liegen, heißt es weiter, der „sehr genau“ zu prüfen sei. Fakt jedoch sei, über Ländergrenzen hinweg abgestimmt, dass eine Fortschreibung des bisherigen Finanzausgleichs „unmöglich“ sei.
Enge Abstimmung mit SV, mit Ärztekammer nur „punktuell“
Bund und Länder hätten sich schon Ende Mai darauf verständigt, dass zusätzliche Mittel des Bundes den Strukturreformen „dienen“ sollen, informiert das Gesundheitsministerium. Seither werde in Arbeitsgruppen an den Inhalten dieser Reformen gearbeitet. „In den kommenden Wochen“ wolle man diese in einer „politischen Vereinbarung“ fixieren. Anschließend erfolge die legistische Umsetzung, sodass es im Herbst zu einer Beschlussfassung durch das Parlament kommen könne.
Bereits vorige Woche war im Ö1-Mittagsjournal (29.06.2023) von einem Entwurf mit dem Titel „Politische Vereinbarung über die Eckpunkte der Gesundheitsreform 2024“ die Rede. Das achtseitige Papier, das dem Mittagsjournal vorliegt, werde zwischen Bund und Ländern in enger Abstimmung mit der Sozialversicherung verhandelt. Die Ärztekammer werde „punktuell“ zugezogen, da die politischen Player für „überzogene Standesinteressen“ diesmal keinen Nerv hätten.
In dem Entwurf stehe auch, die Sozialversicherung soll mit den Ärztinnen und Ärzten einen bundesweiten Gesamtvertrag mit einem einheitlichen Leistungskatalog und harmonisierten Honoraren abschließen können. Die Öffnungszeiten der Ordinationen wolle man „bedarfsgerecht“ verbessern, jedenfalls soll es auf regionaler Ebene einzelne offene Ordinationen zwischen 7 und 19 Uhr und an Wochenenden geben.
Finnisches Modell für Österreich
Wahlärztinnen und Wahlärzte sollen in das Kassensystem „umgeleitet“ werden, dazu wolle man auch Teilzeitkassenstellen schaffen. Für alle Niedergelassenen werde E-Card, ELGA, E-Impfpass und E-Rezept verpflichtend sein. Damit sei die Basis für den geplanten Ausbau der Telemedizin gelegt, wo Rauch dem „finnischen Modell“ folgen wolle.
In Finnland, berichtet das Ö1-Mittagsjournal, könne man bei gesundheitlichen Beschwerden über eine App Vorabklärungen machen und bekomme im Bedarfsfall möglichst rasch einen Termin bei passenden Ärztinnen und Ärzten vermittelt. In Österreich soll dazu die bestehende Hotline 1450 zu einer telefonischen Gesundheitsberatung ausgebaut werden, in den die elektronische Gesundheitsakte ELGA und ein System zum Management von Arztterminen damit verknüpft werden.
Die Eckpunkte der Reform
Geplant ist dem Sozial- und Gesundheitsministerium (BMSGPK) zufolge eine Strukturreform nach dem Grundsatz „digital vor ambulant vor stationär“. Der „Vorschlag des Bundes“ sieht u.a. folgende Maßnahmen vor:
- Stärkung des niedergelassenen Bereichs: zusätzliche Kassenstellen vor allem in der Primärversorgung, mehr Angebot zu Randzeiten und am Wochenende, Modernisierung des Honorarkatalogs
- Ausbau von Fachambulanzen in den Spitälern und ausgelagerter Spitalseinheiten, um eine stationäre Behandlung von Patientinnen und Patienten zu vermeiden
- Digitalisierung: Ausbau der Gesundheitshotline 1450, e-Health-Angebote wie Video-Konsultationen, verpflichtende Diagnose-Codierung bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, Anbindung von Wahlärztinnen und Wahlärzten an E-Card und ELGA.
- Gesundheitsförderung: zusätzliche Angebote, Weiterentwicklung des Programms „Frühe Hilfen“
- Wirkstoffverschreibung für Medikamentenversorgung
- Erweiterung des öffentlichen Impfprogramms
In der Pflege ist eine Aufstockung des bestehenden Pflegefonds auf eine Milliarde pro Jahr geplant. Damit will man die im Rahmen der Pflegereform im Vorjahr umgesetzten Maßnahmen weiterführen:
- Weiterführen der Gehaltserhöhungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
- dauerhafter Ausbildungszuschuss von 600 Euro pro Monat
- Ausbau des Community Nursing
- 24-Stunden-Betreuung: Weiterfinanzierung der Förderung
Zusätzlich will der Bund den Ländern weiter jene Kosten ausgleichen, die durch die Abschaffung des Pflegeregresses entstanden sind.
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