HPV-Impfaktion: Catch me if you can
Nach wie vor erkranken mehr als 400 Frauen jährlich am Zervixkarzinom, 130 bis 180 sterben daran. Dazu kommen rund 6.000 Operationen wegen Krebsvorstufen, ausgelöst durch humane Papillomaviren (HPV). Das müsste nicht sein, gäbe es eine hohe Durchimpfungsrate. Doch diese ist in Österreich unter 50 Prozent, die COVID-19-Pandemie tat ihr Übriges. Deswegen hat die Österreichische Apothekerkammer (ÖAK) gemeinsam mit Gesundheitsministerium und Österreichischer Ärztekammer (ÖÄK) die „HPV-Catch-Up-Impfung 12–18“ ins Leben gerufen: Ärzte können sich günstige Starterkits in Apotheken holen oder die Teenager bekommen per Gutschein den rezeptierten Impfstoff.
Vor Jahren kursierte auf Gynäkologenkongressen gerne folgende Anekdote: „Was schenkst du heuer deiner Tochter zum Geburtstag?“ – „Eine HPV-Impfung!“ Dass es sich dabei um ein besonderes teures Präsent handelt, zeigt der Preis für eine vollständige Immunisierung: Drei Teilimpfungen schlagen in Österreich mit über 600 Euro zu Buche – ohne Impfhonorar.
2014 wurde das Kostenproblem für Impfwillige gelöst, die HPV-Schutzimpfung kam ins Gratis-Kinderimpfprogramm: Angeboten als Schulimpfung in der vierten Klasse Volksschule ab dem vollendeten 9. bis zum 12. Lebensjahr. Und zwar nicht nur für Mädchen, sondern auch für Buben, Österreich habe hier eine Vorreiterrolle eingenommen, sagt Dr. Rudolf Schmitzberger, Leiter des Impfreferates der Österreichischen Ärztekammer, am 03.05.2022 bei der Präsentation des sogenannten Catch-Up-Programms.
Schmitzberger: Föderalismus als „Feind“ einer hohen Durchimpfungsrate
Dass die Impfung Krebs vermeide, sei mittlerweile zwar bekannt, berichtet Schmitzberger. Aber schon vor der Corona-Pandemie ließ die Impfquote zu wünschen übrig. „Wir haben eine Durchimpfungsrate von maximal 50 Prozent“, noch dazu mit Unterschieden in den Bundesländern. Den Föderalismus bezeichnet er als „Feind“ einer hohen Impfrate. Teilweise gebe es sogar unterschiedliche Altersempfehlungen, ärgert sich Schmitzberger, und die Ungleichheiten gingen bis auf die Bezirksebene herunter.
Daher habe man die Catch-Up-Aktion so angelegt, dass sie „in allen Bundesländern möglichst gleich ist“. Schulimpfungen seien zwar niederschwellig und ein „gutes Instrument“, aber durch die Pandemie in den Hintergrund gerückt, wie auch Impfungen in den öffentlichen Stellen und im niedergelassenen Bereich. „Die Zahl der durchgeführten Impfungen hat sich dramatisch um bis zur Hälfte reduziert“, informiert Schmitzberger, das betreffe auch die HPV-Impfung.
Kobinger: Öffentliche Impfstellen für viele eine „große Hürde“
Dass die Pandemie leider auch der HPV-Durchimpfungsrate zugesetzt habe, hebt auch Mag. pharm. Dr. Gerhard Kobinger, Präsidiumsmitglied der Österreichischen Apothekerkammer sowie Präsident der Landesgeschäftsstelle Steiermark, hervor. Die HPV-Impfung in öffentlichen Impfstellen habe für viele auch „eine große Hürde“ dargestellt. Um die Durchimpfungsrate zu heben, brauche es daher auch neue Anreize: „Aus diesem Grund haben wir uns gemeinsam mit dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz sowie der Österreichischen Ärztekammer dazu entschlossen, das Catch-Up-Programm ins Leben zu rufen.“
Je breiter das ärztliche Impfangebot, desto besser sei die Akzeptanz in der Bevölkerung, bestätigt Schmitzberger. Umso mehr begrüße die Ärztekammer die Kooperation mit dem Sozial- und Gesundheitsministerium und der Apothekerkammer. Und das Ergebnis der Kooperation sei das „HPV-Catch-Up-Programm 12–18“. Und so funktioniert es: Für alle 12- bis 18-jährigen Kinder und Jugendlichen, die noch nicht gegen HPV geimpft sind, gibt es seit 1. März 2022 bis 30. Juni 2023 die Möglichkeit, sich bei Hausärzten und bestimmten Fachärzten mit Gardasil 9® zum Selbstkostenpreis impfen zu lassen.
Dieser beträgt pro Teilimpfung 75 Euro (regulär mehr als 200 Euro), zuzüglich eines Impfhonorars von maximal 15 Euro. Für unter 15-Jährige kostet damit eine vollständige Immunisierung mit zwei Teilimpfungen zirka 180 Euro. Für 15- bis 18-Jährige, denen das Nationale Impfgremium (NIG) drei Impfungen empfiehlt, fallen zirka 270 Euro an.
Schutz vor „Grauslichkeiten“ für Kinder und Enkerl
Kobinger informiert, dass sich niedergelassene Ärzte vorab ein „Starterkit“ mit fünf Impfdosen* aus der Apotheke holen und die Teenager gleich impfen können (Kosten 375 Euro). Ansonsten könne auch ein HPV-Catch-Up-Rezept ausgestellt werden, mit dem der vergünstigte Impfstoff in Form eines Gutscheines abgeholt wird. Folgende fünf Facharztrichtungen sind neben den Hausärzten für die Aktion berechtigt: Kinder- und Jugendheilkunde, Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen sowie Urologie.
Humane Papillomaviren könnten Krebs bzw. Krebsvorstufen nicht nur an Gebärmutterhals, sondern auch an Scheide, Schamlippen, Penis, Anus und im Kopf-Hals-Bereich verursachen, betont Kobinger, dazu kämen noch Genitalwarzen. Solche „Grauslichkeiten“ brauche niemand, „schon gar nicht unsere Kinder und Enkerl“. Die Impfung sei „sicher, bewährt und hoch wirksam“ und damit der beste Schutz vor durch HP-Viren ausgelösten Krebserkrankungen und Genitalwarzen.
Apotheker seien oft die erste Anlaufstelle bei Impffragen, „seit jeher engagieren wir uns persönlich in der Impfberatung, nehmen uns Zeit und klären auf“. Die Aufnahme der HPV-Impfung 2014 ins kostenfreie Kinderimpfprogramm sei ein „Meilenstein“ gewesen, aber es handle sich noch um eine „junge“ Impfung – mit viel Bedarf an Beratung und Aufklärung.
Paulke-Korinek: Catch-Up-Programm als zusätzliches Angebot
Natürlich stehe weiterhin die kostenlose HPV-Impfung vom vollendeten 9. bis zum vollendeten 12. Lebensjahr zur Verfügung, genauso wie die Impfungen für 12- bis 18-Jährige zum vergünstigten Selbstkostenpreis in öffentlichen Impfstellen der Bundesländer, informiert Priv.-Doz. Mag. Dr. Maria Paulke-Korinek, PhD, Leiterin der Abteilung Impfwesen im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz sowie NIG-Mitglied.
Das Catch-Up-Programm sei aber eine zusätzliche Möglichkeit, „vergünstigte Nachholimpfungen“ bis zum vollendeten 18. Lebensjahr in Anspruch zu nehmen. Aber auch im Erwachsenenalter mache die HPV-Impfung Sinn, denn vier von fünf Menschen würden sich im Laufe ihres Lebens mit HPV infizieren. Bis zum 30. Lebensjahr werde die Impfung generell empfohlen, „danach optional bzw. für bestimmte Indikationsgruppen“. Dazu zählen laut Paulke-Korinek immungeschwächte Personen wie Organtransplantierte oder auch Personen mit Autoimmunerkrankungen. Die Impfung schütze außerdem zu zwei Dritteln vor Rezidiven und auch vor autogenen Reinfektionen sowie Infektionen mit weiteren durch den Impfstoff abgedeckten HPV-Stämmen. Bei älteren Personen seien die HPV-Typen 31 und 45 häufiger, bei jüngeren Personen 16 und 18.
Impfung auch für Erwachsene in bestimmten Fällen kostenlos
Was viele nicht wüssten: Bei hochgradiger Zervixdysplasie in der Anamnese übernimmt die Kasse die Kosten für den 9-valenten Impfstoff. Wie auch schon Schmitzberger verweist Paulke-Korinek darauf, dass die geschlechtsneutrale Impfung wichtig ist. In den USA sei die Anzahl der Männer mit HPV-assoziiertem Rachenkrebs sogar höher als die Anzahl der Frauen mit Zervixkarzinom.
In Österreich würden nach wie vor rund 400 Frauen jährlich an Gebärmutterhalskrebs erkranken und zirka 6.000 Frauen operationsbedürftige Vorstufen erleiden, bedauert Schmitzberger. Pro Jahr sterben Paulke-Korinek zufolge 130 bis 180 Frauen am Zervixkarzinom. Inzwischen seien mehr als 200 HPV-Typen bekannt, „davon sind mindestens 14 onkogen“.
Studie: 88 Prozent Schutzrate gegen Zervixkarzinom
Dass die HPV-Impfung eine „großartige Möglichkeit“ sei, Kinder und Jugendliche vor Krebserkrankungen zu schützen, würden Daten aus Skandinavien zeigen: Bei drei Teilimpfungen habe es bis zum 18. Lebensjahr keinen einzigen Impfdurchbruch gegeben, weiß Paulke-Korinek und betont, dass eine einzige Teilimpfung nicht reiche. Eine NEJM-Studie mit 1,6 Millionen Frauen aus Schweden zeigte eine Schutzrate von fast 88 Prozent gegen Gebärmutterkrebs, ergänzt Schmitzberger. HPV sei dort fast ausgerottet. Geimpfte Frauen bekämen sehr selten Krebs und wenn, handle es sich um von der Impfung nicht umfasste HPV-Typen.
Schmitzberger macht auch noch auf den Zusammenschluss von neun medizinischen Fachgesellschaften im Kampf gegen HPV aufmerksam – der HPV-Allianz (siehe Kasten) – und auf die Krebshilfebroschüre „HPV-Impfung gegen Krebs“. In dieser sind auch die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern aufgelistet.
*Allgemeine Informationen zu HPV, dem Kinderimpfprogramm sowie bundesländerspezifische Impfmöglichkeiten: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Impfen/Impfung-gegen-Humane-Papillomaviren-(HPV).html
Neun Fachgesellschaften bilden HPV-Allianz
Die Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) initiierte die Aufklärungskampagne „From ten to teen“ über humane Papillomaviren, u.a. mit dem Slogan „Sei schlau, denk an HPV!“ Neben der OEGGG beteiligen sich weitere acht medizinische Fachgesellgesellschaften an der HPV-Allianz:
- Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie der OEGGG (AGO-Austria)
- Gesellschaft der Schulärztinnen und Schulärzte Österreichs (GSÖ)
- Österreichische Gesellschaft für Chirurgie (ÖGCH)
- Österreichische Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV)
- Österreichische Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie (HNO-Gesellschaft)
- Österreichische Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie (OeGHO)
- Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ)
- Österreichische Gesellschaft für Urologie und Andrologie (ÖGU)