Angst vor Ansteckung: Spitalsaufenthalte sanken deutlich
Die Zahl der Spitalsaufenthalte bei akuten und nicht akuten Erkrankungen sowie elektiven Eingriffen sank während des Corona-Lockdown deutlich, lag aber teils unter jener Zahl anderer Länder. Das zeigt eine erste Analyse der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) im Auftrag von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). Plus: Kritik mit Lösungsvorschlägen.
Bei den Herzinfarkten mit interventionellen Eingriffen habe es von März bis Mai eine Reduktion der stationären Aufenthalte um ein Viertel gegeben, berichtete Dr. Karin Eglau, Gesundheitsplanung und Systementwicklung, GÖG, bei einer Pressekonferenz am 19.08.2020. Zum Vergleich: Aus anderen Ländern seien Reduktionen um bis zu 40 Prozent berichtet worden.
Bei Krankenhausaufenthalten nach Schlaganfällen habe es international Reduktionen von bis zu 30 Prozent gegeben, in Österreich blieb hingegen die Zahl etwa gleich. Positiv sei: „Die Spitalsaufenthalte wegen Unfalldiagnosen haben sich halbiert“, wird die Expertin von der APA zitiert, offenbar sei es auch zu weniger Unfällen insgesamt gekommen.
Rückgang von Brustkrebsoperationen
Für eher bedenklich hält Eglau die Versorgung von Patienten mit Krebs oder Krebsverdacht. Hier beobachtete die GÖG einen Rückgang der Spitalsaufenthalte um ein Fünftel – und zwar sowohl bei Therapien als auch Aufenthalten wegen diagnostischer Eingriffe: Während es im März etwa 500 Brustkrebsoperationen gab (ähnlich wie 2019), ging deren Zahl auf etwa 350 im Mai zurück und steigt seither nur langsam an.
„Wenn keine Mammografien erfolgen, können keine Diagnosen gestellt werden. Dann kann man nicht operieren“, erläutert Eglau. Das bedeute in der Folge auch, dass Krebsdiagnosen erst in einem späteren – und gefährlicheren – Stadium auffällig werden. Bei Kindern habe es einen Rückgang der Spitalsaufenthalte vorübergehend um rund die Hälfte gegeben.
Bisher nur Spitalsaufenthalte analysiert
„Wir wollen eine umfassende Gesundheitsfolgenabschätzung für den Lockdown machen“, betonte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), man wolle aus der vergangenen Krise für die Zukunft die richtigen Schlüsse ziehen, um das österreichische Gesundheitswesen für solche Herausforderungen noch stabiler zu machen.
In die ersten Analysen flossen nur Daten von Spitalsaufenthalten ein. Die meisten Spitäler hätten aber in den vergangenen Monaten, laut Patientenbeschwerden sogar bis heute, ihre Ambulanzen ebenfalls drastisch reduziert. Dies treffe sowohl Personen mit chronischen Erkrankungen und diffizilen therapeutischen Anforderungen als auch Personen, die für Diagnosen technische Leistungen in Spitälern brauchen, die die Krankenkassen in ihrem Leistungskatalolg bisher nicht in niedergelassenen Praxen vorsehen.
„Melden Sie sich, wenn das Corona-Chaos vorbei ist“
Ein Beispiel für die in vielen Fachbereichen extreme „Spitals- bzw. Ambulanzlastigkeit“ in Österreich brachte Margot Ham-Rubisch von der Wiener Pflege-, Patientinnen- und Patientenanwaltschaft. Anfang April ging eine Beschwerde eines Mannes mit starkem Verdacht auf Prostatakrebs ein. „Melden Sie sich, wenn das Corona-Chaos vorbei ist“, habe es seitens eines Wiener Spitals geheißen. Dies wurde der Patientenanwaltschaft gegenüber auch nach Rückfrage bei dem Spital bestätigt. Als Lösung schlägt Ham-Rubisch „dringend“ einen Prioritätenkatalog für notwendige Untersuchungen und Therapien auch in Zeiten von COVID-19 vor.
Als zweiten Kritikpunkt führt Ham-Rubisch an, dass niedergelassene Ärzte beim Lockdown unkoordiniert ihre Arbeit eingestellt oder stark eingeschränkt hätten. Auch hier hat die Patientenvertreterin einen Lösungsvorschlag: eine tagesaktuelle Information der zuständigen Ärztekammer, wie, wann und wo welcher niedergelassene Kassenarzt verfügbar sei. Denn: „Kassenärzte haben einen Versorgungsauftrag.“
Speziell in der Lockdown-Phase seien auch etliche nicht lebensnotwendige medizinische Behandlungen und Eingriffe abgesagt bzw. verschoben worden. Dies habe aber keine Fälle bewirkt, bei denen Patienten „schwerwiegende gesundheitliche Schäden“ genommen hätten, versichert laut APA nun der Dachverband der Sozialversicherungsträger. Anschober hat im Zuge der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der FPÖ erheben lassen, wie viele Operationen verschoben worden sind. Im Bereich der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) seien dies knapp 2.000 gewesen, wobei Akuteingriffe davon ausgenommen waren. „Zu jedem Zeitpunkt“ hat man laut Dachverband lebenswichtige Operationen durchgeführt.
Niedergelassene: Schluss mit „Zuständigkeits-Pingpong“
Am selben Tag, 19.08.2020, betont Dr. Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), in einer Aussendung vor Anschobers Pressekonferenz: Die meisten kassenärztlichen Praxen und zahllose Wahlarztpraxen hätten während der Spitzenperiode der SARS-CoV-2- bzw. COVID-19-Krise geöffnet, um für Notfälle zur Verfügung zu stehen. Viele Arztpraxen hätten jedoch „wegen der Anordnung der Regierung, Arztpraxen nur in Notfällen aufzusuchen“, wenig Patienten und entsprechende Umsatzeinbrüche. Niedergelassene Ärzte würden von Patientenrückgängen um bis zu 90 Prozent berichten. Dies müsse unbedingt bei den angekündigten Verhandlungen der Kassen mit der Bundesregierung berücksichtigt werden.
„Mit dem Zuständigkeits-Pingpong, mit dem wir seit Monaten von der ÖGK zur Regierung und wieder retour geschickt werden, muss endlich Schluss sein“, fordert Steinhart. Falls die Kassen nicht genügend Geld haben, müssten sie sich mit dem „für uns“ zuständigen Gesundheitsminister über einen Kostenersatz für niedergelassene Ärzte entsprechend einigen.
NEOS: „Angstpolitik“ beenden
Der Gesundheitssprecher der NEOS, Mag. Gerald Loacker, richtet in einer Aussendung „eindringliche Worte“ an den Gesundheitsminister: „An den gesunkenen Behandlungszahlen sieht man ganz deutlich, was die Angstpolitik der Bundesregierung bewirkt hat. Es sei „schockierend“, wenn man sich vorstelle, dass Krebspatienten „vor Angst und schlechtem Gewissen nicht mehr zu ihren überlebensnotwendigen Behandlungen gegangen sind“.
Daher müsse die Bundesregierung, allen voran der Gesundheitsminister, einen „Modus“ finden, wie man COVID-19-Patienen behandeln könne, ohne andere Patienten zu „vernachlässigen“. Jeder Patient müsse gleich viel wert sein. Die Ankündigung, bis Jahresende zu evaluieren und damit zuzuwarten, sei völlig unzureichend und eine „Gefahr für die gesundheitlichen Notwendigkeiten zehntausender Österreicherinnen und Österreicher“.