Corona-Ampel: Kommission entwirft „Wellenbrecher“ der Nation
Ausflug am Wochenende, Besuch bei Verwandten, Ausgehen im Heimatbezirk – nicht ohne meine vierfärbige Corona-Ampel. So stellt sich Sozial- und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) das neue Warnsystem vor, dessen „Wellenbrecher“ diese Woche eine 19-köpfige Corona-Kommission zu entwerfen beginnt. Derzeit hinter den Kulissen in Probe, soll die Ampel rechtzeitig zu Schulbeginn ab September in den Regelbetrieb schalten. Tschechien hat schon seit 03.08.2020 eine Corona-Ampel – allerdings andersfärbig: Weiß-Grün-Gelb-Rot. Österreichs Ampel leuchtet Grün-Gelb-Orange-Rot.
De facto handle es sich um „Sachverständigen-Empfehlungen“ für die Politik, betont Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) am 07.08.2020 bei der Präsentation des neuen Instrumentariums im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie. Die Ampel solle einerseits das Bewusstsein schärfen, „dass ich tagtäglich weiß, wie schaut’s bei mir zuhause aus, was das Risiko betrifft“, veranschaulicht der Ressortchef, oder etwa dort, „wo meine Eltern wohnen“. Als drittes Beispiel für den Blick auf die Ampel nennt er Ausflugspläne.
Andererseits werden die Sachverständigen nicht nur für die Ampel zuständig sein, sondern auch Präventionsmaßnahmen ausarbeiten, um „faktenbasierte Empfehlungen für die Politik zu realisieren“. Das sei „die neue Qualität und das ist die Chance dieser Kommission“, sagt Anschober. Sie besteht aus 19 stimmberechtigten Mitgliedern, davon fünf Vertreter aus Ministerien und fünf Fachexperten sowie neun Vertreter der Länder, und wird von Dr. Ulrich Herzog und Dr. Clemens-Martin Auer vom Gesundheitsministerium geleitet. Als Sprecherin fungiert Dr. Daniela Schmid, Epidemiologin in der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Vertreten sind u.a. Virologin Ao. Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Puchhammer, MedUni Wien, Infektiologe Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss, MedUni Innsbruck, Versorgungsforscherin und Public-Health-Expertin Univ.-Prof. Dr. Andrea Siebenhofer-Kroitzsch, MedUni Graz, Ao. Univ.-Prof. Dr. Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG). Bundeskanzleramt und das Innenministerium stellen je ein Mitglied.
Freitag soll Ampeltag werden
Die Kommission nehme ab sofort ihre Arbeit auf und soll mindestens einmal in der Woche zusammentreten. Der Freitag ist dabei laut Anschober als „Ampeltag“ angedacht, an dem neue Empfehlungen an die Öffentlichkeit dringen. Diese sollen auch auf einer Website im Sinne der Transparenz veröffentlicht werden – selbst dann, wenn die Politik die empfohlenen Maßnahmen nicht umsetzt und anders entscheidet.
Die Ampel ist vierstufig – von grün über gelb und orange bis hin zu rot. Er, der Gesundheitsminister, werde auf Basis der Corona-Kommission die Ampelfarbe für ganz Österreich festlegen. Die Landeshauptleute bzw. Bezirkshauptleute wiederum dürfen – allerdings in Abstimmung mit Anschober – für ihr Bundesland bzw. ihren Bezirk die Ampel schalten, wobei es aber in der Bundeshauptstadt und in größeren Landeshauptstädten wie Graz und Linz keine Bezirksampel geben soll. Auch für zu treffende Maßnahmen bei Ausbrüchen seien die jeweils zuständigen (regionalen) Behörden zuständig. Die Entscheidung über Maßnahmen werde also am Ende immer eine politische sein, bekräftigt Anschober. Dafür seien Änderungen im Epidemie- sowie im COVID-Maßnahmengesetz notwendig, die diese Woche in Begutachtung gehen (bis 28.08.2020).
Genaueres folgt, zusätzliches Personal auch
Die Leitlinien und Maßnahmen, wann welche der vier Farben leuchten, werden derzeit noch ausgearbeitet. Ziel sei es, mit „aller Kraft“ eine zweite Welle zu vermeiden, sagt Anschober. Und die Kommission sei der Ort, „an dem die Wellenbrecher entworfen und empfohlen werden“. Der Bundesminister kündigt bei der Pressekonferenz auch mehr Personal im Gesundheitsbereich an – im Schnitt pro Bundesland 30 bis 40 Personen zusätzlich, insbesondere für das Kontaktpersonenmanagement.
Kommissions-Sprecherin Schmid spricht von harten epidemiologischen Kennzahlen, die in den vergangenen Wochen von AGES und GÖG definiert worden seien und den Empfehlungen zugrunde liegen sollen. Ein großer Teil der Indikatoren sei „den Clustern gewidmet“, wird Schmid von der APA zitiert. Demnach ist der erste Indikator die Übertragbarkeit, darunter die jeweils aktuelle Sieben-Tages-Fallzahl und Clusteraktivitäten. An zweiter Stelle steht die Quellensuche mit dem Anteil der Fälle mit geklärter Quelle und deren Herkunft wie etwa Cluster, Screening oder Ausland. Der dritte Indikator ist die Spitalsauslastung. Weiters soll die Gesamtzahl der Testungen sowie dem Anteil positiver Tests und asymptomatischer Fälle eine Rolle spielen.
Opposition kritisiert Arbeitstempo
Konkreteres zur Koppelung der Indikatoren mit den Ampelfarben blieb allerdings aus. Kritik kam deswegen prompt von der Opposition. „Die Kommission hätte ihre Arbeit schon längst aufnehmen sollen“, betont SPÖ-Gesundheitssprecher NAbg. Philip Kucher in einer Aussendung, außer den Farben stehe nichts fest, man komme sich schon „etwas gefrotzelt“ vor. Auch FPÖ-Klubobfrau NAbg. Dr. Dagmar Belakowitsch findet es „viel wichtiger“ zu wissen, welche Ampelfärbung welche Maßnahmen nach sich ziehen könnte. Das sei aber auch bei der „x-ten ‚Ampel-Pressekonferenz‘ der Bundesregierung nicht einmal ansatzweise klar“ sei, erinnert sie an die erste Anfang Juli 2020. Ähnlich NAbg. Mag. Gerald Loacker von den NEOS, noch immer wisse niemand, was bei welcher Farbe zu tun sei. „Wenn drei Kinder in einer Klasse husten – ist das dann Gelb, Orange oder Rot?“, fordert Loacker, „endlich“ Details zu liefern.
Was die Bildungseinrichtungen betrifft, ist laut Anschober ein normaler Betrieb ab September geplant – das heiße auch „keine Masken“. Verschärfe sich die Situation in gelb, orange oder rot, könne es aber schon Einschränkungen im Bildungsbereich geben, ebenso wie für Kultur- oder Sportveranstaltungen.
Kinderärzte hoffen auf Corona-Ampel
Große Hoffnungen in die Corona-Ampel dürfte die Vereinigung der Kinderärzte setzen. Die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) wolle die Daten der Ampel auf Bezirksebene nutzen, wenn es um Verdachtsfälle gehe. „Wenn ich wochenlang weit und breit keine Corona-Fälle habe und ich habe ein schnupfendes Kind, dann wird das mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Rhinovirus- und keine Corona-Infektion sein“, betonte ÖGKJ-Generalsekretär Prim. Univ.-Prof. Reinhold Kerbl, Leoben, Mitte Juli im Gespräch mit der APA.
Umgekehrt werde man in Regionen mit Corona-Cluster wohl auch Kinder mit Schnupfen testen. Derzeit passiere es immer öfter, dass Kindergärten von Eltern mit schnupfenden Kindern als Sicherheit Bescheinigungen von Kinderärzten wollen, dass es sich nicht um SARS-CoV-2 handle. Die ÖGKJ rät ab davon ab, solche Bescheinigungen auszustellen. Nicht bei jedem Kind mit Schnupfen solle man einen (unangenehmen) Abstrich machen – und ohne Abstrich könne man auch seriöserweise keine Bescheinigung ausstellen.
Der Kinderarzt empfiehlt grundsätzlich, Kinder mit akuten Atemwegsinfekten für ein paar Tage, in denen diese stark husten, daheimzulassen. Man könne sich hier am Ampelsystem orientieren: Zeige diese rot, werde man ein Kind mit Schnupfen eher nicht in den Kindergarten schicken. In Regionen ohne Infektionsgeschehen werde das hingegen schon vertretbar sein, immerhin hätten Kinder sechs bis zehn Infekte pro Jahr. Schicke man freilich Schnupfenkinder generell, also auch in roten Gebieten, in den Kindergarten, dann würden dadurch „ganz sicher“ einige Kindergarten-Cluster entstehen: „Dann wird es heißen: Jeder Fall kann Corona sein und alles wird zugesperrt.“ Kerbl hofft, dass die Ampel viel bewirken könne, wenn man sie auch beim Testen berücksichtige: Rot bedeute großzügig testen, bei Grün könnte man eher darauf verzichten.
Tschechien hat Ampel schon freigeschaltet
Die österreichische Corona-Ampel sei derzeit ab sofort im Probebetrieb, informierte Anschober, allerdings unsichtbar. Dass es auch schneller gehen kann, beweist das Nachbarland Tschechien. Seit 03.08.2020 gibt es dort eine „Corona-Ampel“, die laut APA einen Überblick über die Lage in den einzelnen Landesteilen geben und regional differenzierte Gegenmaßnahmen ermöglichen soll.
Tatsächlich leuchtet sie schon. Auf der Wirtschaftskammer-Website* werden die tschechischen Ampelfarben weiß-grün-gelb-rot erklärt, samt Link zur aktuellen Gesundheits-Landkarte und der Ankündigung, dass weitere Details folgen werden. Österreich gehört für Tschechien übrigens zu den Ländern mit „geringem Risiko“. Ein Blick auf die Website des Tschechischen Gesundheitsministeriums zeigt allerdings einige Regionen in einzelnen Ländern als „riskant“ auf (abgerufen am 12.08.2020): Dazu zählen Oberösterreich und Wien.
*https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-in-tschechien.html