Hilfeschrei und Warnung vor „Riesencrash“

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Wenn nicht bald etwas passiert, bricht das Gesundheitssystem zusammen, warnen Spitalsärzte. Ähnlich die Stimmung im Land ob der Enns: Mehr Mittel sind nötig – diese dürfen aber keinesfalls aus Oberösterreich abgezapft werden und schon gar nicht nach Wien fließen. (Medical Tribune 36-37/2018)

Immer mehr Ärzte-Vertreter schlagen Alarm. „Wenn die Politik weiter so wirtschaftet wie bisher, wird es sich finanziell einfach nicht mehr ausgehen“, betonte vorige Woche Dr. Wolfgang Weismüller, Vize-Chef und Spitalsärzte-Obmann der Ärztekammer für Wien, anlässlich des Wiener Spitalsärztekongresses „Spannungsfeld Ethik vs. Ökonomie – Spitzenmedizin um jeden Preis?“. Unterstützung erhält Weismüller von Gesundheitsökonom und MT-Kolumnist Dr. Ernest Pichlbauer: Das derzeitige duale Finanzierungsmodell fördere die stationäre Versorgung, die Patientenzahl pro Arzt sei einfach zu hoch.
Die Ärztekammer für Wien fordert daher die Finanzierung „aus einer Hand“, zumindest in Bezug auf die ambulanten Behandlungen in den Spitälern, um einen „Systemkollaps“ abzuwenden.
Ähnlich Dr. Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), Ende August: Die Politik müsse den niedergelassenen Bereich dringend ausbauen, um Spitäler zu entlasten, verlangt auch er die Finanzierung aus einer Hand. Damit würde sich das „Spielchen“ aufhören, dass die Patienten hin und her geschickt und damit auch die Kosten verlagert werden.
„Die Österreicher sehen Gesundheit als wichtiges Zukunftsthema und sie wollen eine regionale, wohnortnahe Versorgung“, fasst der oberste Spitalsärzte-Chef wesentliche Ergebnisse einer von der ÖÄK in Auftrag gegebenen IMAS-Umfrage zusammen. Das stünde diametral zu den Plänen der Politik. Der niedergelassene Allgemeinmediziner müsse der erste und wichtigste Ansprechpartner der Patienten sein, das wäre auch am ökonomisch sinnvollsten für das System.

Ruf nach Bonus-System

Zur Steuerung der Pati­enten­ströme kann sich Mayer ein Bonus-System vorstellen. Ähnlich wie bei der Auto-Haftpflichtversicherung könnten dann jene, die sich vom Hausarzt überweisen lassen, einen geringeren und jene, die direkt in eine Spitalsambulanz gehen, einen höheren Krankenversicherungsbeitrag zahlen.
Laut IMAS-Umfrage sind Hausarzt und Apotheker tatsächlich auch die wichtigsten Ansprechpartner für Herrn und Frau Österreicher. Dass diese freilich dennoch nur allzu oft Spitalambulanzen aufsuchen, ist schon jetzt ein Problem – und wird in Anbetracht des drohenden Ärztemangels noch viel dramatischer.
„In zehn Jahren wird jeder zweite Hausarzt nicht mehr praktizieren“,­ warnt Dr. Karlheinz Kornhäusl, ÖÄK-­Obmann der Turnusärzte: „Gleichzeitig wandern Uni-Absolventen ab. Da geht eine Schere auf und spätestens in zehn Jahren wird es zu einem Riesencrash kommen!“ Um den Beruf zu attraktivieren, wünscht sich Kornhäusl u.a. flexible Dienstzeitmodelle, Kinderbetreuung sowie Nanny-Supports für Nachtdienste. Denn knapp 70 Prozent der Jung­ärzte in Ausbildung seien Frauen.
Auch die Ärztekammer für Oberösterreich warnte jüngst vor einem Kippen des Systems. Es gebe enorme und noch immer steigende Wartezeiten bei vielen Spitalsambulanzen und Fachärzten, betont Kammeramtsdirektor Dr. Felix Wallner. Daher fordert ÄKOÖ-Präsident Dr. Peter Niedermoser mehr Investitionen in das Kassenarztsystem und erteilt dem Ansinnen, dass aus OÖ nach der Kassenfusion „künftig noch mehr Geld“ zu einer „Zentralkasse“ fließen soll, eine klare Absage, das wäre ein „unglaublicher Affront“ gegen die oö. Patienten.
Denn laut einer rezenten Studie (Hofmarcher-Holzhacker M. et al.) sind die Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben (v.a. Länder und Kassen) in OÖ mit 3.714 Euro am niedrigsten (Bundesschnitt: 4.002 Euro). Das verdanke man dem „enormen Leistungswillen der Ärzte und aller im Gesundheitsbereich Tätigen“, betont Wallner und kritisiert: Ärzte müssten immer mehr Leistungen erbringen, „doch wir haben ein degressives und leistungsfeindliches Honorarsystem“.
Aber diesen Unterschied verursache gar nicht die Leistungspolitik der OÖGKK, erklärt diese auf MT-Anfrage: Im Vergleich mit den Schwester-GKKs liegt die OÖGKK mit 2.364 Euro an Pro-Kopf-Leistungsausgaben im Bundesschnitt. (BGKK am niedrigsten: 2.160, WGKK am höchsten: 2.559; Finanzstatistik 2016 der SV).

Ambulanzen: „Patientenzahlen stagnieren“

Die ÄKOÖ kritisiert „enorme und immer noch steigende Wartezeiten“ bei vielen Spitalsambulanzen und Fachärzten. Zu Recht?

OÖGKK-Obmann Albert Maringer: Die Wartezeiten in den Ambulanzen und auf Facharzttermine sind real. Und unsere Versicherten erwarten für ihre Beitragsleistung zu Recht, dass sie bei medizinischen Behandlungsbedarf in akzeptabler Zeit zu ihrer benötigten Leistung kommen. Die spannende Frage ist ja die nach den Ursachen der Wartezeiten. Der viel zitierte „Ansturm der Patienten“ auf die Ambulanzen insgesamt lässt sich aus den KH-Statistiken jedenfalls für die vergangenen Jahre nicht bestätigen. Diese Zahlen stagnieren seit etwa 2010, im Gegensatz zu den deutlichen Frequenzsteigerungen bei den niedergelassenen Ärzten. Insofern ist es auch unseriös, hier die Patienten selbst zum Sündenbock zu stempeln – denn wenn die Patientenzahlen nicht steigen, müssen die Ambulanz-Wartezeiten ganz andere Ursachen haben.
Aber auch bei niedergelassenen Ärzten belegen Analysen: Es gibt keinen statistischen Zusammenhang zwischen der Auslastung einer Ordination und der Terminvergabe-Praxis. Das bedeutet konkret: Die längsten Wartezeiten vergeben oft Ordinationen, die bei 70 Prozent der Durchschnittsfrequenzen liegen – und umgekehrt. Fakt ist: Die Versicherten erwarten von uns hier endlich Lösungen, die wir gemeinsam erarbeiten müssen. Die werden wir aber sicher nicht schaffen, wenn wir an den falschen Hebeln (z.B. ein Bonus-System) ansetzen. Zu den Rücklagen: Was wir uns schon lange wünschen, wäre, dass wir einen Teil davon auch wieder in Form von Leistungs- und Präventionsinnovationen an unsere Versicherten zurückgeben könnten. Das ist aber rechtlich derzeit nicht vorgesehen.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune