5. Dez. 2024Sportpsychiatrie

Alkohol macht die Trainingsarbeit zunichte

Schädliche Auswirkungen auf alle Organe und die durch Alkoholkonsum verminderte Regenerations- und Leistungsfähigkeit betreffen auch bestens trainierte Körper. Und bei Alkohol-Missbrauch und -Abhängigkeit bilden Leistungssportlerinnen und -sportler keine Ausnahme!

Sportliches blondes Mädchen mit Kopfhörern und Hantel in der Hand, vor der Hand eine Flasche Bier.
snedorez/AdobeStock

Der deutsche Radprofi Jan Ullrich und der ehemalige Eishockeyspieler Constantin Braun sind zwei prominente Vertreter aus dem Spitzensport, die sich öffentlich zu ihrer Alkoholerkrankung bekannt haben. Braun meinte etwa, ihm habe außerhalb der Saison das „Kabinenleben“ gefehlt. Dafür habe er sich eben „ein Bier mehr“ gegönnt.

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Dr. Sabine Weber

Dr. Sabine Weber und ihr Kollege Dr. Stephan Listabarth von der neuen Spezialambulanz für Sportpsychiatrische Beratung an der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie der MedUni Wien sprachen im November 2024 bei einer Online-Fortbildung des Österreichischen Bundesnetzwerks Sportpsychologie (ÖBS) über die Gefahren von Alkohol im Leistungssport.

Die Gründe, warum auch Spitzensportlerinnen und Spitzensportler zur Flasche greifen, sind ebenso vielschichtig wie in anderen Bevölkerungskreisen. Oft ist jedoch eine Verharmlosung des Alkoholkonsums besonders in Teamsportarten zu beobachten, sagt Weber. Dann heißt es etwa in Medien-Interviews, dass man auf den Sieg anstoßen werde oder „es in der Kabine krachen lässt“.

Es gibt keine unbedenkliche Alkohol-Menge!

Aktuell sind in Österreich rund 365.000 Menschen alkoholabhängig. Werden Personen mit problematischem Gebrauch hinzugerechnet, so sind insgesamt eine Million Menschen betroffen. Darunter auch Leistungssportlerinnen und -sportler, wie Listabarth betont.

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Dr. Stephan Listabarth

Generell gilt für diese genauso wie für alle Menschen: es gibt keine unbedenkliche Menge an Alkohol. „Harmlosigkeitsgrenzen“ sind neuesten Erkenntnissen zufolge aufgehoben. Auch die Zahlen zum europaweiten Pro-Kopf-Konsum lassen die Alarmglocken läuten. Denn Österreich rangiert mit einer durchschnittlichen Menge von 18 Litern (bei Männern) und 5 Litern (bei Frauen) deutlich über dem europäischen Durchschnitt.

„Alkohol und seine Metaboliten, wie zum Beispiel Acetaldehyd, sind in jeder Dosierung toxisch und betreffen praktisch alle Organsysteme“, hält Listabarth fest. Das gilt etwa auch für das gastrointestinale System oder den Herzmuskel. Vor allem im Zentralnervensystem wirkt Alkohol über das Dopamin-System zunächst euphorisierend, später setzen GABA-vermittelte dämpfende Prozesse ein. Auch wenn das Einschlafen mit dem einen oder anderen Gläschen leichter fällt, so stört Alkohol den REM-Schlaf und die gerade für Athletinnen und Athleten dringend benötigte Regeneration. Hartnäckig verbreitete Meinungen wie jene, dass sich der Alkoholabbau durch Sport, Schwitzen oder Wassertrinken beschleunigen ließe, gehören in den Bereich der Mythen: Der Abbau von 0,1–0,2‰ pro Stunde ist nicht zu steigern.

Listabarth und Weber betonen daher die Notwendigkeit der Aufklärung über die Gefahren des Alkoholkonsums auch im Umfeld des Leistungssports. Es gilt, die Fakten auf den Tisch zu legen und weder zu katastrophisieren noch zu verharmlosen. „Jeder und jede sollte gut informiert die Entscheidung für sich treffen, ob er oder sie Alkohol konsumiert.“

Alternative Mechanismen zur Stressbewältigung entwickeln

Allerding sei es mitunter unverständlich, dass Spitzensportlerinnen und Spitzensportler einerseits enorme Trainingsumfänge absolvieren, um ihre Leistung zu steigern, mitunter dafür enorme persönliche Entbehrungen auf sich nehmen, und andererseits womöglich die Trainingseffekte durch Alkohol zunichtemachen.

Listabarth: „Physiologisch betrachtet wäre es am besten, überhaupt keinen Alkohol zu trinken.“ Wird Alkohol von Leistungssportlerinnen und -sportlern etwa als „Entspannungshilfe“ eingesetzt, so muss man erarbeiten, wo Stress und Anspannung genau herrühren. Dann kann man alternative Bewältigungsmechanismen zu entwickeln. Auch dazu wollen Sportpsychiater und Sportpsychologinnen künftig noch enger zusammenarbeiten.

www.sportpsychologie.at

NEU: Sportpsychiatrische Beratung an der MedUni Wien

Gerade im Bereich des Leistungssportes gibt es noch immer Hürden, psychiatrische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Und es gibt erst wenige Daten zu Prävalenz und Therapie psychiatrischer Erkrankungen.

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Dr. Fabian Friedrich

„Dies war der Grund, seitens der Abteilung einen Schwerpunkt in diesem Bereich zu setzen“, sagt Dr. Fabian Friedrich. Er ist leitender Oberarzt der Spezialambulanz für Sportpsychiatrische Beratung an der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Wien.

Zum Team gehört neben Dr. Stephan Listabarth und Dr. Sabine Weber auch Dr. Melanie Trimmel. Eines der ersten realisierten Projekte des Teams ist die Kooperation mit dem Österreichischen Schwimmverband (OSV). Bei dem Projekt steht die Enttabuisierung psychischer Erkrankungen im Leistungssport im Mittelpunkt.
Das Behandlungsangebot der Abteilung richtet sich prinzipiell an Leistungssportlerinnen und -sportler ab dem 18 Lebensjahr. Im Sinne der Transition können im Kooperationsprojekt mit dem OSV aber auch Athletinnen und Athleten ab 16 Jahren beraten werden, erklärt Friedrich.

Eine genaue Auswertung der Inanspruchnahme der ersten Phase soll 2025 vorliegen. Bis jetzt zeigen die Erfahrungen, dass der Kontakt mit der Spezialambulanz etwa gesucht werde, weil sich Betroffene unsicher sind, ob ihre Symptome mit einer psychischen Erkrankung zusammenhängen.
Auch Fragen zu Psychopharmakotherapien führen Leistungssportlerinnen und -sportler in die Ambulanz. Sie kommen mit Fragen über deren Wirkungen und Nebenwirkungen oder über Auswirkungen im Hinblick auf die Antidoping-Regeln. „Die individuelle Arbeit mit Athletinnen und Athleten, aber auch die Möglichkeiten einer interdisziplinären Zusammenarbeit durch das Comprehensive Center for Clinical Neurosciences and Mental Health (C3NMH; Anm.) ergibt im Endeffekt ein sehr spannendes Umfeld bestehend aus Versorgung, Wissenschaft und Lehre“, so Friedrich.

https://psychiatrie-psychotherapie.meduniwien.ac.at/en/unsere-abteilungen/klinische-abteilung-fuer-sozialpsychiatrie/information-fuer-patientinnen/spezialambulanzen