29. Mai 2024Community-Manifest

AHF: Auch Apotheken sollen Spitäler entlasten

Durch „Schwarmintelligenz“ entstand auf dem Kongress des Austrian Health Forum (AHF) ein Forderungskatalog an die nächste Bundesregierung: das „Community-Manifest“. Unter den 12 Forderungen findet sich auch die integrierte Versorgung zur Entlastung der Spitäler – explizit auch durch Apotheken.

Vom 23.–25. Mai 2025 hat sich „das Who-is-Who des österreichischen Gesundheitswesens“ in Schladming getroffen, heißt es in der Nachberichterstattung des Austrian Health Forum (AHF), um Lösungen für die akuten Herausforderungen zu erarbeiten. Tatsächlich war der Kongress unter dem Motto „Vertrauen: Grundstein der Gesundheit“ prominent besetzt: Neben dem Gesundheitsministerium (BMSGPK) waren die Österreichische Apothekerkammer, die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) und auch mehrere Spitalsträger vertreten.

560 Einmeldungen mit abschließendem Voting

Zu den Highlights zählte die Erstellung eines „Community-Manifests“: Dabei wurde die „Schwarmintelligenz“ der vor Ort versammelten Berufsgruppen genutzt, um einen Forderungskatalog für die neue Bundesregierung zu entwerfen. Dr. Harald Katzmair, Ph.D., und sein Team von FAS Research haben während der Kongresstage Themen vor Ort gesammelt. Aus den 560 Einmeldungen und anhand eines abschließenden Votings erstellten sie 12 Prioritäten-Cluster.

Christoph Hšrhan, GrŸnder des Austrian Health Forum, Ÿbergab das dort erarbeitete Manifest an Gesundheitsminister Johannes Rauch.
Ben Kaulfus

Christoph Hörhan, Gründer des Austrian Health Forum, übergab das dort erarbeitete Manifest an Gesundheitsminister Johannes Rauch

Das „Manifest“ wurde schließlich an Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) übergeben. „Mit dem Manifest haben wir einen gemeinsamen Richtungssinn in der Gesundheit entwickelt. Jetzt geht’s darum, dieses Verständnis umzusetzen“, sagt Hörhan.

Bereits bei der 3. Forderung (s. Kasten) kommen Apotheken prominent vor: Eine „integrierte, zielgenaue und niederschwellige Versorgung“ zur Entlastung der Spitäler beinhalte „niederschwelligere Angebote von Apotheken“ und anderer Gesundheitsberufe.

Ein weiteres Highlight war der Aufruf zur „mutigen Fehlerkorrektur“ durch den deutschen Soziologen und Buchautor Prof. Harald Welzer: „Wir müssen aufhören, Zustände zu korrigieren, und anfangen, Prozesse zu korrigieren“, so seine Botschaft beim Kongressauftakt als 1. von 3 Keynote-Speakern. Es gehe darum zu lernen, wie man komplexe Prozesse verstehen und lenken könne.

„Wir sind immer zu spät dran, weil Gesellschaft und Politik immer mit der Gegenwart beschäftigt sind“, führt Welzer aus, „in einem komplex gewachsenen System wie dem österreichischen Gesundheitssystem ist so eine Herangehensweise wenig effektiv, aufwändig und teuer – und am Ende verlieren immer alle.“ Als angemessenen Zeitraum, um Veränderung in einem komplexen System effizient zu gestalten, gibt er „mindestens 10 Jahre“ an. Allerdings brauche es auch den Mut, in dieser Zeit Fehler zu korrigieren und Prozesse auch abzubrechen.

Goldfisch hat größere Aufmerksamkeitsspanne

Auf einer Erkenntnis aus der Gehirnforschung basiert die 2. Keynote. „Menschen haben aktuell nur noch 8 Sekunden Aufmerksamkeitsspanne, das ist weniger, als ein Goldfisch hat“, sagt Unternehmerin, Autorin und Young Global Leaderin des Weltwirtschaftsforums Lisa Witter. Das klinge angesichts multipler Probleme zwar wie ein vermeintlicher Grund zur Resignation, sei aber genau das Gegenteil.

Soziologe und Sozialpsychologe Prof. Harald Welzer sprach in seiner Keynote Ÿber das Thema Vertrauen in komplexe Systeme. V.l.n.r.: Christoph Hšrhan und Prof. Harald Welzer
Ben Kaulfus

Soziologe und Sozialpsychologe Prof. Harald Welzer sprach in seiner Keynote über das Thema Vertrauen in komplexe Systeme. V.l.n.r.: Christoph Hörhan und Prof. Harald Welzer

Es handle sich um einen „Aufruf zum Optimismus“ und zum radikalen Fokus auf das Mindset und die neuen Fähigkeiten, die Leadership im 21. Jahrhundert brauche. Denn: „Wir haben ein politisches System, das aus dem 18. Jahrhundert stammt, Regierungsstrukturen aus dem 19. Jahrhundert, nutzen Technologien aus dem 20. Jahrhundert und versuchen damit strukturelle Probleme des 21. Jahrhunderts zu bewältigen.“

Drohnen in Tansania für Medikamentenlieferungen

Anhand von konkreten Beispielen zeigt Witter, wie vermeintlich unlösbare Probleme lösbar werden, und erzählte dabei von Medikamentenlieferungen via Drohnen in Tansania. In Australien mussten Politikerinnen und Politiker ihr Rollenverständnis ändern, um den steigenden Bedarf an psychischer Versorgung in der Bevölkerung zu ermöglichen.

Chefanalyst Univ.-Prof. Dr. Peter Filzmaier und Bundesminister Rauch betonten „Vertrauen“ als wesentlichen „Heilfaktor“. Als effektive „Behandlung“ für unser System unterstrichen viele Systemkennende – passend zum Hauptthema des Kongresses – die Notwendigkeit der Wiederherstellung und Stärkung des Vertrauens zueinander. „Geht das Vertrauen verloren, gerät von der guten Behandlung der Patientinnen und Patienten bis zur Akzeptanz der Gesundheitseinrichtungen alles ins Wanken“, analysiert Filzmaier als 3. Keynote-Speaker.

400 GŠste nahmen am ausverkauften Gesundheitskongress in Schladming teil.
Ben Kaulfus

400 Gäste nahmen am ausverkauften Gesundheitskongress in Schladming teil.

Schuld sind ihm zufolge die Akteurinnen und Akteure im Gesundheitssystem, „die oft nur Negativkommunikation gegen den jeweils anderen betreiben“. So schaffe man ganz sicher kein Vertrauen, ist Filzmaier überzeugt.

Dazu Bundesminister Rauch: „Ohne das Vertrauen der Akteure untereinander ist politische Entscheidungsfindung kaum möglich. Nur mit dem Vertrauen und der Zustimmung der Menschen gewinnen wir wichtige Daten, die für die Steuerung des Systems und für die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden nötig sind.“

Für Rauch ist „authentische Kommunikation“ der Schlüssel, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen: „Das Gegenüber ernst nehmen, zuhören, den Menschen ehrlich erklären, was geht und was nicht geht.“ Und die AHF-Kuratorin und Direktorin für die Öffentliche Gesundheit, Dr. Katharina Reich, betonte die Bedeutung des AHF für diesen vertrauensvollen Lösungsfindungsprozess: „Beim Austrian Health Forum konnten sich die zahlreichen Akteure des österreichischen Gesundheitssystems zu den Zukunftsthemen austauschen, um für die Bevölkerung auch weiterhin eine niederschwellige und hochwertige medizinische Versorgung sicherzustellen.“

Das Kongressthema Vertrauen als Fundament eines erfolgreichen Gesundheitssystems habe sich als Volltreffer erwiesen, resümiert Hörhan, der sich über 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer freuen konnte. Nachsatz: „In Zeiten, wo die Umsetzung der Gesundheitsreform auf der Kippe steht, ist es umso wichtiger, alle Verantwortlichen zusammenzubringen und die gemeinsamen Ziele in den Vordergrund zu stellen.“

Mehr auf: https://www.austrianhealthforum.at/kongresse/schladming-2024/

Aus dem „Community-Manifest“

Hier 8 der insgesamt 12 Forderungen:

  1. Prävention & Gesundheitsförderung: Ausbau von personalisierten Präventions- und Gesundheitsförderungsprogrammen sowie Stärkung der Impfbereitschaft
  2. Finanzierung aus einer Hand: Auslotung von Reform-Möglichkeiten zur Vereinheitlichung der Finanzierungsquellen und Abbau von Doppelgleisigkeiten und Bürokratie
  3. Integrierte, zielgenaue und niederschwellige Versorgung: Entlastung der Spitäler durch Stärkung der integrierten Primärversorgung sowie niederschwelligere Angebote von Apotheken, Community Nurses, 1450 und anderen Gesundheitsberufen
  4. Health Literacy: Förderung der Gesundheitskompetenz durch Bildungseinheiten und Verbesserung des Zugangs zu gesicherten Gesundheitsinformationen
  5. Einheitlicher österreichischer Datenraum: Schaffung eines institutionenübergreifenden „Health Data Space“, der die gesamte Patientenreise abbildet
  6. Attraktivierung der Gesundheitsberufe: Verbesserte Rahmenbedingungen für Kassenärztinnen und Kassenärzte und Pflegeberufe sowie leichterer Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte
  7. E-Health und KI: Weiterverfolgung einer umfassenden E-Health-Strategie sowie Ausbau der Nutzung von Künstlicher Intelligenz zur Entlastung des medizinischen Personals
  8. Der/Die beteiligte & orientierte Patient/Patientin: Stärkere Einbindung der Patientinnen und Patienten, Patientenorganisationen und Angehörigen in alle Entscheidungsprozesse sowie bessere Lenkung zum „Best point of care“