Arzneimittel und CYP2D6

MM-SERIE TEIL 55 – Zahlreiche, häufig verwendete Arzneistoffe werden über CYP2D6 metabolisiert. Doch genetische Polymorphismen und AM-Interaktionen können die CYP2D6 -Aktivität stark verändern. (Pharmaceutical Tribune 18/2017) 

Bei den zahlreichen Substraten von CYP2D6 sind diverse Arzneimittelinteraktionen und -nebenwirkungen vorprogrammiert.
Bei den zahlreichen Substraten von CYP2D6 sind diverse Arzneimittelinteraktionen und -nebenwirkungen vorprogrammiert.

Obwohl das Isoenzym CYP2D6 nur wenige Prozent des Cytochromsystems der Leber ausmacht, ist es an der Metabolisierung einer Vielzahl von Arzneistoffen beteiligt. Besonders häufig wird das Isoenzym im Zusammenhang mit dem Abbau diverser Psychopharmaka genannt. CYP2D6 nur als „Psycho-CYP“ zu betrachten, tut ihm jedoch unrecht: Auch die Metabolisierung von diversen Medikamenten aus dem kardiovaskulären Bereich wie etwa von Betablockern sowie einiger Opioide oder des Antiöstrogens Tamoxifen gehen auf sein Konto. Bei so vielen Substraten (siehe Kasten 1) sind natürlich diverse Arzneimittelinteraktionen und -nebenwirkungen vorprogrammiert, die mit dem Isoenzym zu tun haben. Klinisch relevant sind dabei vor allem Wechselwirkungen, die durch die parallele Gabe von CYP2D6-Inhibitoren (siehe Kasten 2) entstehen, sowie Veränderungen im Arzneistoffabbau, die sich aus genetischen Polymorphismen ergeben. Eine weitere Besonderheit besitzt CYP2D6: Im Gegensatz zu anderen Cytochrom-P450-Isoenzymen gilt es als nicht induzierbar, die Berücksichtigung von Induktoren entfällt daher.

1. Wechselwirkungen durch CYP2D6-Hemmung

Als besonders starke Hemmstoffe der CYP2D6 sind die selektiven SSRIs Fluoxetin und Paroxetin bekannt (beide auch selbst Substrate des Isoenzyms). Eine spezielle Situation liegt bei Fluoxetin vor, da nicht nur Fluoxetin selbst (HWZ 4–6 Tage), sondern auch sein Metabolit Norfluoxetin eine Hemmwirkung auf CYP2D6 ausübt und dieser besonders langlebig ist (HWZ bis zu 16 Tagen).

! Der Abbau von CYP2D6-Substraten kann daher noch immer gehemmt sein, wenn Fluoxetin bereits abgesetzt ist und längst nicht mehr in der Medikationsliste des Patienten aufscheint (bis zu 5 Wochen danach!).

Beratung: Einen Ausweg in der Therapie bietet die Verwendung von Citalopram oder Escitalopram, die beide keine Verstoffwechselung über CYP2D6 aufweisen.

Beispiele und mögliche klinische Auswirkungen: Klinisch relevante Wechselwirkungen, die durch eine ausgeprägte CYP2D6-Hemmung entstehen können, sind z.B. folgende:

  • Anstieg des Plasmaspiegels von Betablockern: Zu den über CYP2D6 metabolisierten Betablockern zählen insbesondere Metoprolol (Seloken®), ferner Carvedilol (Dilatrend®) und Nebivolol (Nomexor®).

Ein übermäßiger Anstieg der Plasmaspiegel kann sich in unbeabsichtigter Blutdrucksenkung und der Auslösung von Bradykardien manifestieren.

Beratung: Alternativ bietet sich z.B. die Verwendung von Bisoprolol (Concor®) an, welches nicht über CYP2D6 verstoffwechselt wird.

  • Anstieg des Plasmaspiegels von QT-verlängernden Psychopharmaka: Eine Reihe von Psychopharmaka, wie etwa das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin (Saroten®), sind als potenzielle QT-Zeit-Verlängerer bekannt. Die Kombination mit den (ebenfalls QT-verlängernden) CYP2D6-Hemmern Fluoxetin und Paroxetin hebt ihre Plasmaspiegel an und steigert das Risiko für die gefürchtete kardiale Nebenwirkung.
  • Mangelnde Aktivierung von Prodrugs: Einige Arzneistoffe stellen Prodrugs dar, die durch CYP2D6 erst in ihre aktive Wirkform umgewandelt werden müssen. Zu diesen zählen etwa die Opioide Codein (Umwandlung in Morphin) und Tramadol (Umwandlung in O-Desmethyl-Tramadol). Ist das Enzym gehemmt, so bleibt die erwünschte analgetische Wirkung großteils aus. Ein Versagen der Schmerztherapie ist möglich, Nebenwirkungen können jedoch zunehmen.

2. Genetische Polymorphismen

CYP2D6 unterliegt genetischen Polymorphismen. Die daraus resultierenden Unterschiede in der enzymatischen Aktivität können durchaus klinisch relevante Auswirkungen haben. Etwa 7 Prozent der kaukasischen Bevölkerung sind sogenannte „poor metabolizer“, 1–10 Prozent hingegen gehören zu den ultraschnellen Metabolisierern („ultrarapid metabolizer“). In anderen Bevölkerungsgruppen finden sich diesbezüglich oft drastischere Abweichungen.

Beispiele und mögliche klinische Auswirkungen: Welche Probleme Veränderungen der Metabolisierungsgeschwindigkeit über CYP2D6 mit sich bringen können, zeigen folgende prominente Beispiele:

  • Ultrarapid metabolizer wandeln das Antitussivum Codein besonders schnell in seinen aktiven Metaboliten Morphin um. Bekannt wurden einige Fälle, bei denen Kindern mit diesem genetischen Hintergrund nach der Verabreichung von Codein an einer Morphin-verursachten Atemdepression verstarben.

! Die Erkenntnisse führten zu weitreichenden Veränderungen in der Verwendung von Codein-haltigen Präparaten bei Kindern. Hinweise auf Morphin-bedingte Nebenwirkungen können Schläfrigkeit, Verwirrtheit und Atemschwierigkeiten sein.

  • Der Aromatasehemmer Tamoxifen (Nolvadex®), der beim hormonsensiblen Brustkrebs zum Einsatz kommt, muss über zwei Metabolisierungsschritte über CYP2D6 in Endoxifen überführt werden, erst dieses stellt die aktive Wirkform dar. Mögliche Fallstricke in der Therapie mit Tamoxifen sind daher die Kombination mit potenten CYP2D6-Inhibitoren, die diese Umwandlung verhindern und daher zum Therapieversagen führen können, andererseits die Anwendung von Tamoxifen bei CYP2D6 poor metabolizern, bei denen die genetische Situation zum selben Effekt führt.

! Patientinnen profitieren daher von der Genotypisierung vor Beginn der Therapie.

Lecture Board: Mag. Martina Anditsch, Mag. Wilfried Büchler, Mag. Dr. Sigrun Gundl, Mag. Dr. med. Alexander Hartl, Mag. Martin Holbik , Mag. Karin Hummer, Mag. Astrid Kreisler, Mag. Christina Labut , Mag. Dr. Alexandra Mandl und Mag. Sonja Mayer Bei fachlichen Fragen mailen Sie bitte an: MM@pharmaceuticaltribune.at  

Zur Klarstellung für alle Pharmakovigilanzbeauftragten: Bei den Fallbeispielen handelt es sich um Lehrbeispiele, die möglichst praxisnah formuliert wurden. Es besteht daher keinerlei Abklärungsbedarf hinsichtlich einer allfälligen Pharmakovigilanzmeldung.

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Leitung:
Mag. Christina Labut
Mag. Dr. Alexander Hartl

 

 

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