Drogenmissbrauch ist im Wandel

GRAZ – Jugendliche nehmen immer weniger harte Drogen wie Kokain, Heroin und illegales Morphium. Auch die Zahl der Drogentoten ist in den letzten Jahren signifikant gesunken. Die größte Herausforderung für die Notfallmedizin ist derzeit die große Vielfalt neuer psychotroper Substanzen, über deren Wirkungen und Gefahren fast noch nichts bekannt ist.

Die häufigste Ursache von Drogennotfällen ist die Überdosierung von Substanzen bei bestehendem Drogen- und Medikamentenmissbrauch. Dazu kommen Suizidversuche, Unfälle (z.B. Kinder schlucken Tabletten) und Komplikationen des Drogenkonsums, wie etwa der Entzug. Die Möglichkeit, dass Drogen im Spiel sind, sollte nicht nur dann in Betracht gezogen werden, wenn die Nadel noch in der Vene steckt oder Medikamentenschachteln auf dem Boden liegen. „Denken Sie generell bei jeder unklaren Situation vor Ort an eine Intoxikation mit Drogen oder anderen Substanzen“, rät Ass.-Prof. Dr. Andreas Lueger, Leiter der Notfallaufnahme (EBA) am LKH-Universitätsklinikum Graz.

Dabei ist wichtig, dass die Beurteilung des Bewusstseins und der Pupillen keine wirkliche Prognoseeinschätzung ermöglichen. Viele Drogen, darunter auch Alkohol, bewirken eine massive Mydriasis. „Bei einem durch Intoxikation hervorgerufenen Herzkreislaufstillstand zahlt es sich aus, den Patienten auch länger zu reanimieren“, so die Erfahrung des Experten. Bewusstseinsgetrübte Patienten sollten in eine stabile Seitenlage gebracht werden, um die Gefahr einer Aspiration zu minimieren. Fehlende Schutzreflexe sind eine Indikation für eine Schutzintubation.

Das Repertoire an spezifischen Antidots ist im Drogennotfall überschaubar. Effektive Gegenmittel gibt es im Prinzip nur für drei Substanzgruppen: Opiate (Naloxon), Benzodiazepine (Flumazenil) und trizyklische Antidepressiva (Physostigmin). Eine wirksame Maßnahme kann auch die Verabreichung von Aktivkohle sein, durch die Medikamente und Giftstoffe gebunden werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Einnahme nicht länger als eine Stunde zurückliegt und der Patient noch ansprechbar ist (Aspirationsgefahr!).

Alkohol, Benzodiazepine und Trizyklika

Die nach wie vor häufigste Ursache für eine vitale Gefährdung eines Patienten durch Drogen ist Alkohol. Erwachsene, die in die Grazer EBA eingeliefert werden, haben im Schnitt einen Alkoholgehalt im Blut von drei und mehr Promille. Im Gegensatz dazu liegt die Toleranzschwelle bei Jugendlichen oft sehr viel niedriger (Akut- toxizität ≥ 1 ‰). Bei chronisch Alkoholkranken kann nicht nur der Alkoholkonsum, sondern auch die Entzugssymptomatik zu einem Notfall führen. Eine häufige Komplikation des Entzugs sind zum Beispiel Grand-mal-Anfälle.

Benzodiazepin-Missbrauch ist oft an einer blauen Verfärbung von Lippen und Zunge erkennbar. Die massive Zunahme des Benzodiazepin- Abusus führte nämlich dazu, dass ein besonders häufig verwendetes Flunitrazepam-Präparat mit einem blauen Farbstoff markiert wurde. „Benzos“ werden sehr häufig in Kombination mit anderen psychotropen Substanzen konsumiert. „Abhängige haben oft einen Tagesbedarf von 30 bis 40 Tabletten pro Tag“, berichtet Prof. Lueger. „Daher werden auch in der Therapie oft ganz andere Dosen benötigtals bei einem Normalpatienten.“

Da trizyklische Antidepressiva häufig bei Major Depressions verschrieben werden, kommt es immer wieder auch zur Einnahme letaler Dosen dieser Substanzen in suizidaler Absicht. Im Rahmen der Intoxikation treten bisweilen schwere Herzrhythmusstörungen auf, die nur durch eine Infusion von Natriumbicarbonat unterbrochen werden können.

Problematischer Drogenkonsum

Von problematischem Drogenkonsum spricht man bei einem polytoxikomanen Konsummuster mit häufigem Gebrauch von harten Drogen, bei dem die Abhängigkeit zu psychischen, gesundheitlichen, sozialen oder rechtlichen Folgen führt. In Österreich wird die Zahl der problemtischen Drogenkonsumenten auf 34.000 geschätzt, etwa die Hälfte davon leben in Wien. 70 Prozent sind unter 30 Jahre alt und drei Viertel Männer. Die Leitdroge sind Opioide, zunehmend an Bedeutung gewinnen aber Benzodiazepine und Research Chemicals (früher auch Designerdrogen genannt). Etwa die Hälfte der Patienten ist in Substitutionsbehandlung.

Substituiert wird überwiegend mit retardiertem Morphin (56 %), Buprenorphin (18 %) und Methadon (16 %). Bemerkenswert ist dabei der große Unterschied der Verschreibepraxis in den einzelnen Bundesländern: Während in Wien und der Steiermark fast zwei Drittel der Patienten retardiertes Morphin erhalten, sind es in Vorarlberg nur 17 %. Im Jahr 2012 wurden in Österreich (ohne Vorarlberg) an Drogenkonsumenten offiziell 4,3 Millionen Spritzen und Nadeln abgegeben. Innerhalb der letzten fünf Jahre ist es in Österreich zu einer signifikanten Reduktion der Drogentodesfälle gekommen.

Dennoch liegt die Zahl mit 35 pro eine Million Einwohner im Alter zwischen 15 und 64 Jahren immer noch deutlich über dem EU-Schnitt von 16 pro eine Million Einwohner. Das klassische Drogenopfer hierzulande ist männlich (80 %) und 29 Jahre alt. Häufig handelt es sich um Personen mit nicht regelmäßigem Missbrauch oder Wochenendkonsum. Gefährlich ist es auch, wenn Drogenkonsumenten längere Zeit clean waren und dann wieder mit der letzten Dosis einsteigen.

Opioide, Cannabis, Kokain

Bei den Opioiden fällt auf, dass kaum mehr Heroin und illegales Morphium konsumiert werden (< 5 %). Retardiertes Morphin hat Heroin mittlerweile als Marktführer abgelöst. „Unsere Patienten haben eine Tagesdosis zwischen 200 und 1600 mg“, so Prof. Lueger. „In der Steiermark wird durchschnittlich mit 460 mg substituiert, in Wien liegt der durchschnittliche Verbrauch bei 750 mg.“ Achtung bei der intravenösen Injektion des Antidots Naloxon: „Wird zu viel oder zu schnell verabreicht, kann damit ein akuter Entzug ausgelöst werden. Die Patienten können dabei sehr aggressiv werden und sind dann schwer zu kontrollieren.“

Bei der Einstiegsdroge Cannabis geht der Trend zu hochwertigerer, höher konzentrierter Ware. Zu beobachten ist auch eine Zunahme synthetischer Cannabinoide. Rückläufig ist hingegen der Konsum von Kokain, das bei Überdosierung unter anderem zu tachykarden Rhythmusstörungen, Hochdruckkrisen, STEMIs, intrazerebralen Blutungen und Anfällen führen kann. Kokain wird vor allem durch Research Chemicals abgelöst.

Psychotrope Substanzen

In der EU sind allein im letzten Jahr über 70 neue psychotrope Substanzen in den Umlauf gelangt. Eines der Probleme sind die Legal Highs: Dabei handelt es sich um neue psychoaktiv wirksame Produkte, die noch nicht in der Drogengesetzgebung erfasst sind und in Internetshops als Badesalz, Düngemittel oder Kräutermischungen verkauft werden. Die Zusammensetzung und Wirkung dieser Substanzen ist häufig unklar. Eine Untergruppe der Legal Highs sind die Poppers, die geschnüffelt und über die Nasenschleimhaut aufgenommen werden. Die Inhaltsstoffe sind Isobutylnitrit und verwandte Stoffe, die eine Vasodilatation und eine Entspannung der glatten Muskulatur bewirken und zu einer Methämoglobinämie führen.

Zu den psychotropen Substanzen zählen auch Partydrogen wie Ecstasy und andere Amphetamine, die in letzter Zeit zunehmend mit Research Chemicals kombiniert oder gestreckt werden. Unter diesem Begriff werden molekulare Abwandlungen von legalen und illegalen Substanzen, aber auch völlig neue chemische Strukturen, deren Wirkung bestehenden Substanzen ähnelt, zusammengefasst. Genaue Wirkmechanismen, Toxizität, Langzeitfolgen, mögliche tödliche Dosen sowie Folgen von Überdosierungen der neuen Verbindungen sind großteils unbekannt, die Risiken daher um ein Vielfaches höher.

Ein besonders gefährliches Amphetamin ist Methamphetamin, das unter dem Namen Crystal Meth nicht nur in den USA, sondern auch in Tschechien und in Polen bereits weit verbreitet ist und bei uns immer mehr Anhänger findet. Die Symptome des Crystal-Meth-Konsums reichen von Blutdruck- und Temperaturerhöhung über erweiterte Pupillen bis hin zu Halluzinationen und Psychosen. In hohen Dosen können Krämpfe und Anfälle zum Tod führen. „Crystal Meth ist extrem suchterzeugend“, warnt der Notfallmediziner und weist auch auf den körperlichen Verfall bei längerem Konsum hin. Durch die Vielzahl von neuen Substanzen und Kombinationen wird die Behandlung von Drogennotfällen auch in Zukunft eine Herausforderung bleiben. „Ein Großteil unseres Wissens über Nebenwirkungen stammt von den Erfahrungen der Konsumenten.“

7. Kongress der AG Notfallmedizin; Graz, April 2014

Neue psychoaktive Substanzen im Griff

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern wird in Österreichversucht, das Problem der neuen psychoaktiven Substanzen durch das NPSG (Neue-Psychoaktive-Substanzen-Gesetz, http://www.jusline.at/Neue-Psychoaktive-Substanzen-Gesetz_( NPSG).html), das am 1. Jänner 2012 in Kraft getreten ist, auch juristisch in den Griff zu bekommen.
In Wien können Freizeitdrogen im Rahmen des Projekts checkit! (http://www.checkyourdrugs.at/) anonym und kostenlos auf ihre Inhaltsstoffe getestet werden.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune