Bei Migräne präventiv aktiv werden
Bei bis zu 50% der Frauen mit Migräne treten die Schmerzen mit einem zeitlichen Bezug zur Menstruation auf. Ursache sind zyklische Östrogenschwankungen, die sich mit einer Hormonsubstitution ausgleichen lassen.
„Bei der menstruationsabhängigen Migräne handelt es sich ausschließlich um eine Migräne ohne Aura", betonte Prof. Dr. Michael von Wolff, Chefarzt Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Frauenklinik, Inselspital Bern, am FomF Gynäkologie Update Refresher. Sie beginnt wie die Endometrioseschmerzen etwa 2 Tage vor der Periode. Während Endometrioseschmerzen durch das sinkende Progesteron ausgelöst werden, ist für eine Migräne mit zeitlichem Bezug zur Menstruation das Absinken des Estradiols der Grund.
„Bei Frauen mit einer menstruationsabhängigen Migräne scheint die Estradiol-Serumkonzentration höher und der Abfall entsprechend größer zu sein", erklärte von Wolff. Das Ausmaß der Hormonschwankungen hängt wesentlich von der Lebensphase ab. In der Adoleszenz und im Alter um 40 Jahre sind sie besonders ausgeprägt. In der Schwangerschaft und Stillzeit sind sie gering, entsprechend seltener kommt es zu Migräneattacken. Gleich nach der Entbindung, wenn das Östrogen mit dem Ausstoßen des Uterus rapide abfällt, können einige Frauen plötzlich heftigste Migräneanfälle entwickeln. In der Postmenopause gibt es keine Hormonschwankungen mehr. „Bei einigen Frauen verschwindet dann die Migräne. Bei Patientinnen mit einer sehr tiefen Östrogenkonzentration kann sich eine Migräne aber postmenopausal verstärken", so von Wolff.
Bei Depression ist die Migräne stärker ausgeprägt
Neben Hormonschwankungen spielen auch andere Pathomechanismen eine Rolle. Dazu gehören die vermehrte Freisetzung von Prostaglandin und des Neurotransmitters CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) sowie, wie bei der Depression, ein Serotoninmangel im Gehirn. „Depressive Patientinnen haben nicht selten stärkere und längere Migräneattacken und sind vermehrt therapieresistent", erläuterte der Experte.
Die Behandlung richtet sich nach der Pathophysiologie, bei der menstruationsabhängigen Migräne zudem nach Lebensphase und Häufigkeit der Anfälle. Eine gelegentlich auftretende zyklusbedingte Migräne lässt sich akut mit einem NSAR oder mit von Neurologinnen oder Neurologen verschriebenen Triptan behandeln. „Triptane wirken nicht bei allen Patientinnen ausreichend und werden deshalb in der Praxis oft mit einer endokrinen Therapie kombiniert», so von Wolff.
Sind menstruationsbedingte Migräneattacken häufig und vorhersehbar, empfiehlt sich eine Kurzzeit-Prävention. Neben einem langwirksamen NSAR (z.B. Naproxen) oder einem Triptan ist insbesondere die Gabe von perimenstruellem Estradiol über eine Woche eine gute Wahl. Sie verbessert die Migräne laut von Wolff bei vielen Frauen. Gestartet wird in der Regel 2-3 Tage vor Periodenbeginn mit einem 50-µg-Hormonpflaster.
Eine Langzeit-Prophylaxe ist angezeigt, wenn die zyklusbedingten Migräneanfälle häufig und unvorhersehbar sind. Sie umfasst nichtpharmakologische Optionen (Mönchspfeffer, Magnesium, Vitamin E), von Neurologinnen oder Neurologen verordnete nichthormonelle pharmakologische Optionen (Betablocker, CGRP-Antikörper, Kalziumkanalblocker, Antidepressiva, NSAR, Botulinumtoxin) sowie eine Hormonsubstitution, die in die Domäne der Frauenärztinnen und -ärzte fällt.
„Die Substitution wirkt, indem sie die Hormonschwankungen ausgleicht und den Eisprung hemmt", erläuterte der Referent. Zum Einsatz kommen primär Gestagen-mono-Pillen mit Desogestrel, Drospirenon (ggf. auch Dienogest) oder kombinierte orale Kontrazeptiva mit einem geringen Thromboserisiko. Weitere Optionen sind transdermale monophasische Kontrazeptionspräparate im Langzyklus sowie GnRH-Agonisten mit einer Add-back-Therapie (zusätzlich eine kleine Menge Östrogen oder Gestagen oder eine Kombination).
Bei über 35-jährigen Patientinnen mit einer Migräne mit und ohne Aura sind kombinierte Pillen wegen des erhöhten Schlaganfallrisikos kontraindiziert. Vorsicht ist auch geboten bei postmenopausalen Frauen, die neben der Migräne noch weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren aufweisen. „Bei schweren Migräneformen ist eine multidisziplinäre Therapie angezeigt", betonte der Experte.