5. Juni 2024Virtual Pain Education Summit 2024

EFIC: Digitale Verhaltenstherapie bei chronischem Schmerz

Kognitive Verhaltenstherapie kann den Umgang mit chronischen Schmerzen verbessern. Leider ist diese Methode nicht überall und nicht für alle Schmerzbetroffenen verfügbar. Digitale Lösungen versprechen Abhilfe, die Evidenzlage ist jedoch noch ambivalent. In Schweden soll nun mit einem ambitionierten Projekt der Zugang zu evidenzbasierter digitaler Verhaltenstherapie erleichtert werden.

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Chronischer Schmerz kann ein lebenslanger und massiv einschränkender Zustand sein. Selbstmanagement der Betroffenen mit dem Ziel verbesserter Resilienz ist daher ein entscheidender Faktor zur Bewältigung dieser Situation. Verhaltenstherapeutische Interventionen können dabei behilflich sein, so Prof. Dr. Rikard Wicksell vom Karolinska-Institut in Stockholm. Leider gelingt es nach wie vor nicht, diese Interventionen allen chronischen Schmerzpatientinnen und Schmerzpatienten zukommen zu lassen. Digitale Lösungen könnten dabei einen Paradigmenwechsel ermöglichen. Allerdings ist die Evidenz zu Wirksamkeit und Sicherheit nach wie vor begrenzt. Ein Cochrane-Review identifizierte 32 Studien aus 11 Ländern mit knapp 5.000 Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen Formen von chronischem Schmerz. Die am häufigsten untersuchte Methode war die kognitive Verhaltenstherapie.1

Wirklich beantworten könne der Review die anstehenden Fragen jedoch nicht, so Wicksell. Die Autorinnen und Autoren gelangten zu dem Schluss, dass über digitale Medien durchgeführte kognitive Verhaltenstherapie im Vergleich zu anderen Interventionen (Online-Gesprächsrunden, „Standardtherapie“) Schmerz wahrscheinlich reduziere und die resultierende Behinderung leicht bessere. Die Effekte seien jedoch 3–12 Monate nach Ende der Intervention nicht mehr nachweisbar. Insgesamt zeigten sich die Autorinnen und Autoren „sehr unsicher“, was die Aussagekraft ihrer Resultate anbelangt. Diese Zweifel seien nicht zuletzt in der Methodik begründet, wie Wicksell ausführt. Zu nennen wären unter anderem die generellen Probleme von Metaanalysen, namentlich eine heterogene Studienlandschaft mit unterschiedlichen Interventionen und Patientenpopulationen sowie unterschiedliche Endpunkte. Eine weitere Metaanalyse zu eHealth identifizierte 16 Studien mit 12 unterschiedlichen Interventionen.2

Forderung nach kontrollierten Non-Inferiority-Studien

Es stelle sich also die Frage, wie relevant die Ergebnisse solcher Analysen sind. Um die Stärken und Schwächen digitaler Formate evaluieren zu können, seien kontrollierte Non-Inferiority-Studien, in denen digitale Interventionen mit Face-to-Face-Interventionen verglichen werden, die Methode der Wahl. Solche Studien sind allerdings sehr selten. Alternativ könne man auch die Frage stellen, ob eine digitale Intervention besser ist als gar keine Intervention, führt Wicksell aus. Dabei bieten digitale Interventionen einige Vorteile, die besonders im Forschungskontext relevant sind. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zu Face-to-Face-Interventionen leichtere Standardisierung. Besser definierte und strukturierte Interventionen können auch von weniger qualifiziertem Personal durchgeführt werden, erläutert Wicksell.

Eine relativ rezente Metaanalyse, die diese Frage- bzw. Problemstellungen einbezieht, gelangt zu dem Ergebnis, dass digitale kognitive Verhaltenstherapie bei chronischem Schmerz eine wirksame und sichere Option darstellt. Die Autorinnen und Autoren fordern allerdings, dass in weiteren Untersuchungen quasi die Spreu vom Weizen getrennt werden müsse und es gilt, die „aktiven Ingredienzien“ der verschiedenen Interventionen zu identifizieren.3

Digitale Verhaltenstherapie in konkreter Umsetzung

Ziel weiterer Bemühungen müsse nun sein, evidenzbasierte, digitale Support-Systeme für Schmerzbetroffene zu schaffen und der Bevölkerung zugänglich zu machen. Diese Entwicklung muss theoretisch fundiert und empirisch gestützt sein. Wicksell: „Komplexe Herausforderungen verlangen umfassende Lösungen.“ Sinnvoll sei es, bei diesen Bemühungen die langsame Genauigkeit der akademischen Wissenschaft mit der Schnelligkeit und Flexibilität der Industrie zu verbinden. Zielgruppen und Interventionen müssen möglichst genau definiert werden, die Evaluation muss schnell erfolgen, sonst sei das Tool „obsolet, bevor es implementiert werden kann“.  Auch über das Training der Provider müsse nachgedacht werden.

Die Umsetzung wird nun im Rahmen des schwedischen DAHLIA (Digital behAvioral HeaLth – developing a new standard for the treatment of chronIc pAin) versucht. DAHLIA soll den Zugang zu evidenzbasierter Versorgung in ganz Schweden verbessern und digitale Verhaltenstherapie verfügbar machen. Es werden unterschiedliche Interventionen über eine bereits bestehende Plattform zugänglich gemacht. Ist der Prototyp einmal fertiggestellt, so soll er auch für andere Erkrankungen und andere Populationen skalierbar sein.4 Die gemeinsam mit Patientinnen und Patienten sowie Behandlerinnen und Behandlern entwickelte Intervention befindet sich aktuell in der Phase der Optimierung. Eine randomisierte kontrollierte Studie soll demnächst durchgeführt werden. Analysen sind bis hinunter auf die individuelle Ebene geplant.

Quelle: „Digital Medicine in Pain Management“, EFIC Virtual Pain Summit, online, 28.5.2024