Bald liegen Exoskelette unterm Christbaum

Gerätschaften von Ottobock könnten künftig sogar im Baumarkt angeboten werden. (Medical Tribune 44/18)

Manchmal braucht selbst ein Weltmarktführer einen Schubser, einen externen Impuls, um neue Wege zu beschreiten. Nicht anders erging es Ottobock. Der deutsche Prothesen-Spezialist beschäftigt sich seit beinahe 100 Jahren damit, Menschen mit Handicap Mobilität zurückzugeben, allen voran mit Produkten aus dem Bereich Prothetik. Seit Kurzem aber gibt es ein neues Geschäftsfeld, das für gesunde Menschen gedacht ist und somit vorbeugend wirken soll. Ein unter dem Namen „Paexo“ vertriebenes Exoskelett ist nach erfolgreichen Tests Anfang Oktober in Serie gegangen.

Den Anstoß dazu gab der Volkswagen-Konzern: „VW ist vor sechs Jahren auf uns zugekommen und hat gefragt, ob wir nicht ein Produkt entwickeln können, um Menschen mit körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten wie Überkopfarbeit zu entlasten und so gesündere Arbeitsbedingungen zu schaffen“, erzählt Dr. Hans-Willem van Vliet, Vice President Research & Development bei Ottobock. Das Ergebnis ist „Paexo“ (siehe Bild), ein Exoskelett, das in etwa 20 Sekunden angezogen werden kann und die physische Belastung der Arm- und Schultermuskulatur bei Überkopfarbeiten um rund 50 Prozent reduziert. „‚Paexo‘ funktioniert nach biomechanischen Prinzipien, es richtet sich an den Bewegungen des Menschen am Arbeitsplatz aus und leitet Gewicht zu den Hüften ab, sodass das Schultergelenk entlastet wird“, erklärt Dr. Sönke Rössing, der die dafür neu geschaffene Sparte Industrials bei Ottobock leitet.

Ein Erfolgsfaktor sei das geringe Gewicht von unter zwei Kilogramm – „alles, was schwerer ist, empfinden die Menschen als unangenehm und wenden es nicht regelmäßig an“, so Rössing. Zu den Kunden zählen neben VW und weiteren Autoherstellern Unternehmen aus verschiedenen anderen Industrien, sogar eine Schokoladenfabrik. Das gute Stück kostet 4.900 Euro, soll sich für die Konzerne aber locker rechnen, da die Kosten durch Krankenstände, Versicherungen und Frühpensionierungen enorm sind. „Schäden durch Dauerbelastung am Bewegungsapparat zählen zu den häufigsten Gründen für Arbeitsunfähigkeit und hier wiederum vor allem Probleme im Nacken-Schulter-Bereich sowie am Rücken“, sagt Rössing auf Anfrage der Medical Tribune.

EU-Projekt für den Rücken

Prompt forscht Ottobock auch bereits an einem Lumbosystem, das den Rücken entlasten soll und etwa für Bauarbeiter geeignet wäre. Das ist sogar ein EU-Projekt. Das gesamte Marktpotenzial für derartige Geräte beziffert der Experte mit drei bis fünf Milliarden Euro bis 2022. Und dann hat der Manager noch einen Traum: ein Exoskelett für Heimwerker. „Irgendwann könnte so ein Ding doch unterm Weihnachtsbaum liegen. Und Opa nimmt es, wenn er zum Beispiel die Hecke schneidet“, so Rössing. Natürlich müsste der Preis dafür reduziert werden. Derweil sind die Fortschritte im Stammgeschäft, wo Ottobock seit 45 Jahren auch in Wien ein Werk betreibt, bemerkenswert: wasserfeste Gehhilfen, eine Orthese, die Gehbewegungen in Echtzeit kontrolliert, sowie dank Bionik und Künstlicher Intelligenz immer ausgeklügeltere Armprothesen, die immer mehr „fühlen“.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune