12. Feb. 2024Wirkstoffe unter der Lupe

WHO-Leitlinie zu COVID-19 wurde aktualisiert

Viele Ärztinnen und Ärzte und Patientinnen und Patienten setzen bei COVID-19 große Hoffnungen in eine medikamentöse Therapie. Doch was kann man von den einzelnen Substanzen tatsächlich erwarten? Die überarbeitete Leitlinie der WHO fasst die Datenlage zusammen.

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Eines ist klar: Auch bei COVID-19 hängt die Wahl der Therapie vom Risikoprofil der Patientinnen und Patienten ab. Eine Möglichkeit etwa ist die Kombination von Nirmatrelvir mit Ritonavir. Der Sars-CoV-2-Protease-Inhibitor Nirmatrelvir hemmt die Replikation des Virus, Ritonavir verbessert die Pharmakokinetik. Die Autorinnen und Autoren Leitlinien empfehlen den Einsatz für Patientinnen und Patienten ohne schwere Erkrankung, aber mit hohem Risiko für einen stationären Therapiebedarf (s. Kasten).

Therapie möglichst früh beginnen

Gezeigt worden ist ein deutlicher Rückgang der Klinikeinweisungen. Die Evidenz für eine gebesserte Überlebensrate ist moderat. Die Therapie sollte möglichst früh beginnen. Eingenommen werden 300mg/100mg alle 12 Stunden über 5 Tage. Auch Personen mit moderatem Hospitalisierungsrisiko können profitieren, der Effekt ist dann jedoch geringer. Bei einer niedrigen Wahrscheinlichkeit für die Notwendigkeit einer stationären Therapie besteht keine Indikation.

Stationärer Therapiebedarf

  • hohes Risiko für Klinikeinweisung (≥6%): Immundefekt, Organtransplantation, immunsuppressive Therapie wegen Autoimmun­erkrankung
  • moderates Risiko für Klinikeinweisung (≥3%): Alter über 65 Jahre, Adipositas, Diabetes und/oder chronische kardiopulmonale Erkrankung, Nieren- oder Leber­insuffizienz, aktives Malignom
  • niedriges Risiko für Klinikeinweisung (≥0,5%): keine erhöhte Gefährdung

Eine weitere Option ist Remdesivir, ein Nukleosid-Analogon, das mit der Sars-CoV-2-Polymerase interagiert und auch gegen die neuen Virusvarianten wirkt. Bei guter Verträglichkeit reduziert es die Rate der Spitalsbehandlungen. Appliziert wird es intravenös über 3 Tage. Die Autorinnen und Autoren empfehlen es mit gewissen Einschränkungen für Personen ohne schwere Manifestation, aber hohem Hospitalisierungsrisiko.

Auch das oral gegebene Molnupiravir kann bei Patientinnen und Patienten ohne schweren Infekt, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen stationären Aufenthalt eingesetzt werden. Bei nur moderatem Risiko raten die Expertinnen und Experten davon ab. Der Wirkstoff hemmt die Replikation des Virus und reduziert wahrscheinlich den stationären Therapiebedarf ebenso wie die Mortalität und die Symptomdauer. Die teratogene Wirkung schließt den Einsatz bei Schwangeren aus. Männern wird geraten, mindestens 3 Monate nach der Einnahme von Molnupiravir kein Kind zu zeugen.

Nicht außerhalb von Studien anwenden sollte man das Antidepressivum Fluvoxamin. Es wirkt zwar möglicherweise antiinflammatorisch, ein Effekt bei COVID-19 konnte für den SSRI bisher aber nicht gezeigt werden. Keinen Platz in der Therapie sehen die Leitlinien-Autorinnen und -Autoren um Dr. Arnav Agarwal von der McMaster University in Hamilton auch für Sotrovimab, einen neutralisierenden Antikörper, der an das Spike-Protein von Sars-CoV-2 bindet. Ebenfalls ungeeignet ist das antientzündliche Colchicin. Es reduziert weder die Mortalität noch den stationären Behandlungsbedarf.

Eine besondere Herausforderung ist die medikamentöse Therapie von Patientinnen und Patienten mit schwerer oder kritischer Erkrankung. In diesen Fällen soll der WHO-Leitlinie zufolge die systemische Applikation von Glukokortikoiden erfolgen. Begründet wird diese Empfehlung mit einer Reduktion der Mortalität und wahrscheinlich auch einem geringeren Beatmungsbedarf. Aufgrund der kurzen Therapiedauer von maximal 7-10 Tagen ist das Risiko für Nebeneffekte gering.

Außerdem plädieren die Leitlinien-Autorinnen und -Autoren bei ausgeprägter oder lebensbedrohlicher COVID-19-Erkrankung für den Einsatz der Interleukin-6-Rezeptorblocker Tocilizumab und Sarilumab. Inzwischen ist gut belegt, dass diese monoklonalen Antikörper die Überlebenschancen erhöhen, bei wahrscheinlich ähnlicher Effektivität. Für die Praxis wird die Kombination mit einem Steroid angeraten. Die Antikörper müssen intravenös verabreicht werden, es genügen 1-2 Dosen.

Schweregrade von COVID-19

  • kritisch: akutes Atemnotsyndrom, Sepsis, septischer Schock oder ein anderer Zustand, der z.B. mechanische Beatmung erfordert
  • schwer: Sauerstoffsättigung <90%, Zeichen einer Pneumonie oder einer respiratorischen Insuffizienz (z.B. Tachy­pnoe >30/min)
  • nicht schwer: kein Kriterium für eine schwere/kritische Erkrankung erfüllt

Baricitinib und IL6-Blocker mit Steroiden kombinieren

Auch der Januskinase-Inhibitor Baricitinib sollte Patientinnen und Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung nicht vorenthalten werden. Grundlage dieser Einschätzung sind die Daten aus der RECOVERY-Studie mit über 8.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Sie zeigen einen Überlebensvorteil bei guter Verträglichkeit und oraler Applikation. Am besten wird Baricitinib ebenso wie die IL-6-Rezeptorblocker mit einer Steroid-Therapie kombiniert. Auch eine Dreierkombination kann gemäß der gleichen Studie vorteilhaft sein.

Von Ruxolitinib und Tofacitinib raten die Leitlinien-Autorinnen und -Autoren wegen der niedrigen Evidenz für eine Reduktion von Sterblichkeit und Beatmungsdauer ab. Zudem besteht möglicherweise ein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko vor allem unter Tofacitinib. Auch für eine weitere Option, Remdesivir, gibt es inzwischen eine Kann-Empfehlung zur Behandlung bei schwerer Infektion. Bei hoher Sicherheit ließ sich für den RNA-Polymerase-Inhibitor ein positiver Einfluss auf Sterberate und Ventilationsbedarf ermitteln.

Keinerlei Berechtigung sehen die Leitlinien-Autorinnen und -Autoren für Ivermectin bei Patientinnen und Patienten ohne schwere Erkrankung. In ernsteren Fällen darf es aber in Studien weiter erforscht werden. Ebenfalls abgelehnt wird die Anwendung von Rekonvaleszenten-Plasma außerhalb der Forschung. Das Blutprodukt soll den Patientinnen und Patienten neutralisierende Antikörper zuführen, die die Abwehr des Virus erleichtern. Ein günstiger Effekt auf den Krankheitsverlauf konnte bisher jedoch nicht nachgewiesen werden. Außerdem ist die Applikation mit Risiken wie Infektionen behaftet. Ebenfalls ungeeignet sind Casirivimab und Imdevimab, 2 humane Antikörper gegen das Spike-Protein von Sars-CoV-2. Die Expertinnen und Experten sind sich einig, dass eine Wirksamkeit gegen die aktuell zirkulierenden Virusvarianten sehr unwahrscheinlich ist.

Quelle:Agarwal A et al. BMJ 2023; 383: p2622 doi: 10.1136/bmj.m3379

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune