ÖGSF 2024: Pragmatische Lösungen zur Prävention von Schlaganfällen
„63% aller Schlaganfälle treten bei Menschen unter 70 Jahren auf. Schlaganfall ist daher keine ausschließliche Alterserkrankung“, betonte Univ.-Prof. Dr. Michael Brainin von der Donau-Universität Krems in seinem Vortrag im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Schlaganfall-Gesellschaft (ÖGSF).
Weltweit ereignen sich jährlich etwa 12 Millionen neue Schlaganfälle, rund die Hälfte davon endet tödlich. Über 100 Millionen Menschen sind infolge eines Schlaganfalls beeinträchtigt, berichtet Brainin aus der Lancet Neurology Stroke Commission in Zusammenarbeit mit der World Stroke Organisation. Aufgrund der immer älter werdenden Gesellschaft und der Zunahme von Risikofaktoren wie Bluthochdruck und Body-Mass-Index (BMI) steigt die Schlaganfallinzidenzrate weiter an. Ein besorgniserregender Trend ist laut Brainin die Zunahme von Re-Insulten.
Welchen Effekt haben Präventionsmaßnahmen?
Doch wie können Präventionsmaßnahmen dazu beitragen, dem Anstieg entgegenzuwirken? Es gibt 2 grundsätzliche Ansätze: die bevölkerungsbezogene Prävention und die Hochrisiko-Prävention. Die auf die Gesamtbevölkerung ausgerichteten Strategien zielen auf gesellschaftliche Veränderungen wie die Reduzierung des Zuckergehalts in Getränken, die Vermeidung von Nikotinkonsum und die Förderung eines gesunden Lebensstils.
Die Hochrisiko-Prävention konzentriert sich auf die individuelle Ebene und beinhaltet gezielte Interventionen an Personen, die ein besonders hohes Risiko haben, einen Schlaganfall zu erleiden, wie die Identifizierung und Kontrolle von Risikofaktoren wie Bluthochdruck. „Während also die Hochrisiko-Prävention sich auf eine Gruppe beschränkt, die dringend behandelt werden muss – eine an der Gesamtpopulation gemessen relativ kleine Gruppe, richtet sich die populationsbezogene Prävention auch an jene, die ein geringeres Risiko haben“, erklärt Brainin. In dieser Gruppe werden aber wesentlich mehr Schlaganfälle auftreten – und somit verhindert werden können, da dieser Bevölkerungsanteil sehr groß ist. Die Reduktion der Gesamtlast durch Schlaganfall ist daher in erster Linie von der Wirksamkeit von Maßnahmen abhängig, die auch für jene mit mittlerem oder geringem Risiko leben. Eine Herausforderung hierbei ist die Notwendigkeit legislativer Veränderungen und die Beteiligung der Industrie, wie etwa der Nahrungsmittelindustrie oder Tabakproduktion.
Eine Key Message ist daher für Brainin, dass Primärpräventionsmaßnahmen am effektivsten sind, wenn sie bei Menschen mit geringem bzw. mittleren Risiko ansetzen. „Auch Hochrisikopatienten und -patientinnen kann mit Präventionsmaßnahmen natürlich sehr geholfen werden. Die meisten Schlaganfallfälle vermeiden wir allerdings, wenn wir Menschen mit mittlerem Risiko ansprechen“, so Brainin.
Bedarf an Community-Interventionen wird größer
Es gibt einen wachsenden Bedarf an flächendeckenden Präventionsprogrammen. Die Entwicklung von Community-Interventionsstrategien, von Lebensstilmodifikationen bis hin zu Gesundheitshelfern auf Gemeindeebene, ist entscheidend. Smartphone-Anwendungen wie das „Riskometer“ könnten eine effektive Methode sein, die Bevölkerung zu erreichen und individuelle Risikofaktoren zu managen. Studien zeigen, dass Community-Interventionen tatsächlich den Blutdruck und erhöhte Cholesterinwerte reduzieren können. Ein vielversprechender Ansatz ist die Integration von Prävention in die Gesundheitsversorgung, wie das „Riskometer“ zeigt.
Auch die „Polypille“ ist erwiesenermaßen wirksam. Dabei handelt es sich um eine Tablette, die eine geringe Dosis Antihypertensiva und Lipidsenker beinhaltet. Die WHO hat die Polypille bereits in ihre Liste von „empfehlenswerten“ Medikamenten aufgenommen. Aktuelle Studien deuten darauf hin, dass dies nicht nur Schlaganfälle und kardiovaskuläre Ereignisse verhindern kann, sondern auch kognitive Beeinträchtigungen.
Aus diesem Grund hat die World Stroke Organsiation das Projekt „Cut Stroke in Half“ ins Leben gerufen, um mit diesen neuen Möglichkeiten (Interventionen durch Gesundheitshelfer auf Gemeindeebene, eHealth-Maßnahmen wie das Riskometer und die Polypille) zu implementieren und zu evaluieren, berichtet Brainin. Phase-III-Studien sind im Gange, um weitere Langzeitwirkungen zu bewerten.
Insgesamt ist eine ganzheitliche und koordinierte Anstrengung auf individueller, gesellschaftlicher und politischer Ebene erforderlich, um den steigenden Schlaganfallbelastungen wirksam zu begegnen.
„Pragmatische Lösungen zur Reduktion der globalen Last des Schlaganfalls“, Vortrag im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Schlaganfall-Gesellschaft (ÖGSF), Wien, 19.1.24