WCP 2023: Die Risiken des zunehmenden Cannabiskonsums
Cannabis wird nicht nur von immer mehr Menschen konsumiert, es wird auch immer stärker im Sinne eines höheren THC-Gehalts. Die Konsequenz ist eine dosisabhängige Zunahme psychotischer Erkrankungen bei Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten, die nicht zuletzt auch in der psychiatrischen Praxis berücksichtigt werden muss. Neben Cannabis sind es vor allem Psychostimulanzien, die bei missbräuchlichem Konsum Psychosen verursachen können.
Als in den 1960er-Jahren halluzinogene Drogen zu einem gestaltenden Element der Popkultur avancierten, forderten sie gleichzeitig die ersten prominenten Opfer, berichtet Prof. Dr. Robin Murray vom King’s College London. So war beispielsweise Brian Wilson von den Beach Boys aufgrund psychotischer Probleme für längere Zeit nicht arbeitsfähig, Syd Barrett, Gründer von Pink Floyd, erkrankte an Schizophrenie und erholte sich nie wieder, Roky Erickson, Sänger der 13th Floor Elevators, landete in der geschlossenen Psychiatrie. Tatsächlich zeigt die Forschung der vergangenen Jahrzehnte jedoch, dass es keineswegs nur das mit diesen Fällen in Zusammenhang gebrachte LSD ist, dessen Konsum zu psychotischen Problemen führen kann.
Die ersten systematisch erhobenen und publizierten Daten zu Drogenkonsum und Psychose betrafen nämlich überhaupt keine halluzinogenen Substanzen, sondern Methamphetamin. Das häufigste bei Amphetamin-Konsumenten beschriebene Symptom waren akustische Halluzinationen, gefolgt von Verfolgungswahn.1 Mittlerweile ist die Assoziation von hoch dosiertem Methamphetamin-Konsum und Psychose in einer Vielzahl von Publikationen aus zahlreichen Ländern gut dokumentiert, so Murray. Als weiteres Stimulans, das psychotisch machen kann, nennt Murray Khat, die Blätter des Kathstrauchs, der hauptsächlich in Jemen, Äthiopien, Somalia, Kenia und Oman angebaut wird. Zwar spielt Khat, das frisch konsumiert werden muss, in Europa eine sehr untergeordnete Rolle, doch haben findige Drogenchemikerinnen und -chemiker den Hauptinhaltsstoff Cathinon für sich entdeckt. Mittlerweile finden sich mehr als 60 unterschiedliche Cathinon-Derivate mit unterschiedlichem Psychoserisiko auf dem Schwarzmarkt, so Murray.
Cannabis von 1980 ist nicht Cannabis von 2023
Zu einer echten Problemdroge im Hinblick auf die Inzidenz von Schizophrenie hat sich in den letzten Jahren Cannabis entwickelt. Dies liege, so Murray, nicht nur am vermehrten Konsum, sondern auch an einem veränderten Cannabis-Angebot mit immer stärker THC-haltigen Sorten. Die Wirkung von Cannabis wird hauptsächlich durch die beiden Inhaltsstoffe Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) geprägt. THC wirkt euphorisierend, reduziert Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistung und Lernen. Bei hohen Dosen können paranoide Ideen und Halluzinationen auftreten. Murray: „Mit intravenösem THC kann man experimentell sehr leicht temporäre Psychosen induzieren.“ CBD ist hingegen nicht halluzinogen, wirkt anxiolytisch und kann hoch dosiert THC antagonisieren. Die Balance zwischen diesen Inhaltsstoffen wurde durch Züchtung und Selektion immer mehr in Richtung THC verschoben. Lag das THC von Marihuana 1990 noch um die 4%, so sind es aktuell in London um die 15% für traditionelles Marihuana, bestimmte Sorten sowie spezielle Zubereitungen enthalten auch bis zu 50% und mehr THC. Der CBD-Gehalt blieb in all diesen Jahren jedoch unverändert niedrig. Murray: „Cannabis 1980 ist nicht Cannabis 2023. Viele Eltern unterschätzen die Gefahr, der sich ihre Kinder durch den Konsum aussetzen, weil sie selbst in ihrer Jugend geraucht haben und damit gut zurechtgekommen sind. Man kann die Droge von damals aber nicht mit der Droge von heute vergleichen.“
Das hat Folgen. Murray verweist auf mittlerweile 3 Metaanalysen, die eine signifikante Assoziation zwischen Cannabiskonsum und psychotischen Erkrankungen fanden. Diese Assoziation ist dosisabhängig. Konsumentinnen und Konsumenten mit den höchsten konsumierten Mengen wiesen im Vergleich zu Nicht-Konsumentinnen und -Konsumenten ein um den Faktor 3,9 erhöhtes Psychoserisiko auf.2–4 Dieses ist in Verbindung mit einer genetischen Vulnerabilität zu sehen. Mittlerweile wurde ein polygenetischer Risikoscore für die Entwicklung einer Schizophrenie entwickelt, mit dem sich das individuelle Erkrankungsrisiko eingrenzen lässt. In einer noch unpublizierten Arbeit wurde dieser Score mit dem Cannabiskonsum der Probandinnen und Probanden in Verbindung gesetzt. Dabei zeigte sich, so Murray, dass Cannabis bei jeder genetischen Konstellation das Risiko erhöht, dass aber die Kombination von genetischem Risiko und Cannabis zu einem besonders hohen Erkrankungsrisiko führt.
Murray weist auch auf eine Vielzahl von Studien hin, die stabile Korrelationen der Schizophrenie-Inzidenz mit dem Cannabiskonsum in der jeweiligen Stadt oder Region feststellten. Ein besonderes Problem dürfte dabei die auf die Legalisierung folgende Kommerzialisierung darstellen. Man habe es im Cannabis-Geschäft heute nicht mehr mit Einzelunternehmern am Rande der Gesellschaft zu tun, sondern mit Konzernen und Ketten von Drogen-Shops samt entsprechender Werbung. Und das hat Folgen. So zeigen Daten aus Kanada, dass es nicht mit der Duldung („Pre-Legalization“) von Cannabis, sondern erst mit einiger Verzögerung mit dem Beginn der professionellen Kommerzialisierung zu einem Anstieg der psychiatrischen Notaufnahmen wegen Cannabis-induzierter Psychosen kam. Die Autorinnen und Autoren fordern daher, dass im Rahmen einer allfälligen Legalisierung auch für Regulierung gesorgt werden müsse.5
Prognostisch ungünstig: Cannabiskonsum bei bestehender Psychose
Bei bereits bestehender Psychose ist fortgesetzter Cannabiskonsum ein ungünstiger Prognosefaktor und mit höheren Rezidivraten, mehr Krankenhausaufenthalten und ausgeprägterer Positivsymptomatik assoziiert.6 Dieses Problem ist häufig. Murray berichtet von hohem Cannabiskonsum bei rund zwei Drittel der psychotischen Patientinnen und Patienten an seinem Zentrum. Daher sei es von entscheidender Bedeutung, so Murray, psychotische Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten dazu zu bewegen, ihren Cannabiskonsum aufzugeben. Dies wird aktuell in London im Rahmen eines Pilotprojekts namens CCP (Cannabis Clinic for Patients with Psychosis) versucht. In das Projekt wurden vorerst Patientinnen und Patienten mit sehr hohem Konsum aufgenommen. Sie werden in Einzel- und Gruppensitzungen betreut und erhalten tägliche Text-Messages, um sie an ihre Ziele zu erinnern. Fortschritte werden mit Gutscheinen für diverse Aktivitäten belohnt. Ein wichtiges Element dieses Programms sind die Erzählungen ehemaliger Konsumentinnen und Konsumenten, die den jungen Teilnehmenden vermitteln, dass die Lebensgestaltung einfacher wird, wenn man sich nicht täglich in die Handlungsunfähigkeit raucht, berichtet Murray und weist auch auf die Erfolge des Programms hin. Im klinischen Alltag zeige sich bei psychotischen Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten, die den Konsum beenden, eine wesentlich bessere medizinische und soziale Prognose als bei idiopathischen Schizophrenien.
„The rising tide of drug-induced schizophrenia“, Session 03 im Rahmen des 23rd World Congress of Psychiatry (WCP), Wien, 29.9.23
- Chen CK et al., Psychol Med 2003; 33(8):1407–14
- Henquet C et al., Schizophr Bull 2005; 31(3): 608–12
- Moore TH et al., Lancet 2007; 370(9584): 319–28
- Marconi A et al., Schizophr Bull 2016;42(5): 1262–69
- Myran DT et al., Mol Psychiatry 2023; doi: 10.1038/s41380- 023-02185-x
- Schoeler T et al., Lancet Psychiatry 2016; 3(3):215–25