26. Nov. 2025Die Gesichter seltener Erkrankungen Teil 39

Leben mit Wiedemann-Steiner-Syndrom: „Wir wurden sehr gut aufgefangen“

Viele Auffälligkeiten des nun knapp drei Jahre alten Felix wurden zunächst seiner Frühgeburtlichkeit zugeschrieben, eine Genanalyse im Alter von 14 Monaten führte zur Diagnose Wiedemann-Steiner-Syndrom. Therapien und wiederholte Spitalsaufenthalte erfordern von den Eltern ein komplexes Krankheitsmanagement. Erleichterung bringt ein gutes soziales Netzwerk.

Leben mit Wiedemann-Steiner-Syndrom - Familie Hopf
Anna Beskova
Der Fall des dreijährigen Felix zeigt, wie entscheidend frühe Diagnostik, interdisziplinäre Zusammenarbeit und psychosoziale Unterstützung für betroffene Familien sind.

Als „Frühchen“ war Felix in regelmäßiger Kontrolle an der Salzburger Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde. „Zunächst hieß es, seine Startschwierigkeiten seien auf die Frühgeburtlichkeit zurückzuführen“, erzählt sein Vater Peter Hopf. Nach einem neuerlichen Spitalsaufenthalt bei einer RSV-Infektion empfahl jedoch der stationsverantwortliche Oberarzt eine „große Genanalyse“.

„Eine muskuläre Hypotonie wie bei Felix ist bei Frühgeburten tatsächlich häufig zu beobachten“, erklärt Neuropädiater Dr. Martin Preisel, einer der betreuenden Ärzte. Doch die bei Felix lange bestehenden Atemschwierigkeiten, Probleme mit der Nahrungsaufnahme oder Auffälligkeiten im Gesicht ließen das Ärzteteam aufhorchen. „Bereits nach der Geburt wurde Felix auf Trisomie 21 untersucht“, sagt dazu Peter Hopf. Auch Probleme mit der Niere sowie eine Harnleiterverkrümmung machen bei seinem Sohn immer wieder Spitalsaufenthalte nötig.

Martin Preisel
SALK

Dr. Martin Preisel

Als das Ehepaar Hopf die Information bekam, es sei bei der Genanalyse „etwas herausgekommen“, war es zunächst noch nicht beunruhigt; schließlich haben sie im Vorfeld erfahren, dass die Aufklärungsrate dabei hoch sei. Die genaue Diagnosemitteilung über das Wiedemann-Steiner-Syndrom mit allen möglichen Konsequenzen habe seiner Gattin und ihm jedoch „den Boden unter den Füßen weggerissen“, schildert Peter Hopf.

Die Mitteilung genetischer Befunde bedeutet eine Situation, „wo auch wir immer wieder dazu lernen“, räumt Preisel ein. „Psychologische Expertise wird bei Bedarf hinzugezogen bzw. haben die Familien die Möglichkeit das Psychologenteam an der Klinik zu kontaktieren. Mir persönlich ist es zudem wichtig, eine niederschwellige Kontaktmöglichkeit für Rückfragen anzubieten“, sagt der auf Neurologie spezialisierte Kinderarzt.

Eltern als Case Manager

Komplexe Krankheitsbilder wie jenes von Felix erfordern vor allem eine enge Zusammenarbeit mehrerer Fachkollegen und -Kolleginnen mit therapeutischen Berufen oder mit dem Team des Ambulatoriums für Entwicklungsdiagnostik und Therapie der Lebenshilfe Salzburg. „Da kann ich Familie Hopf nur ein ganz großes Kompliment aussprechen, da es ihr in kurzer Zeit gelungen ist ein gut funktionierendes Netzwerk aufzubauen und Felix Eltern sich um alle nötigen Kontrolluntersuchungen kümmern“, sagt Preisel.

Aufgrund seiner Atemprobleme wird Felix seit kurzem nachts mit High-Flow CPAP-Maske beatmet, bei Abfall der Sauerstoff-Sättigung erhält er auch tagsüber Sauerstoffgaben. „Seither hat er enorme Fortschritte gemacht und uns ist damit erst bewusst geworden, dass er davor im Schlaf gewissermaßen um sein Leben ringen musste“, sagt Hopf.

Felix trägt zudem das Hämophilie-Gen, ist also Bluter. „Er benötigt zwar keine tägliche Substitution, muss aber demnächst erneut die Mandeln und Polypen entfernen lassen. Dafür ist neben dem Gerinnungsmanagement auch ein Intensivbett nötig“, weiß Hopf. 

Soziales und therapeutisches Netz

Bereits nach der Diagnose begann das Ehepaar Hopf sich intensiv mit dem Krankheitsbild des Wiedemann-Steiner-Syndroms auseinander zu setzen und knüpfte auch Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe in Deutschland. Auch damit wurde die Notwendigkeit früher und umfassender Therapien deutlich. So bekommt Felix neben Frühförderung Physio-, Logo- und Ergotherapie, auch um seine Sprachentwicklung zu unterstützen.

Die finanziellen Belastungen, auch für nötige behindertengerechte Umbauten, werden durch Spendenaktionen gemildert, wozu etwa die Salzburger Nachrichten aufgerufen haben. Die breite soziale Unterstützung sowie das Engagement der Therapeuten und des medizinischen Teams gibt der Familie das Gefühl, „extrem gut aufgefangen zu sein“.

Dass auch in pädiatrischen Fachkreisen die Awareness für seltene, genetisch bedingte Erkrankungen wie das Wiedemann-Steiner-Syndrom zunimmt, berichtet Neuropädiater Preisel. Die Diagnostik werde laufend verfeinert, Gendatenbanken erweitert und Fallberichte auf Fachkongressen vorgestellt.

„Dabei kennen wir auch das weite Spektrum der möglichen Verlaufsformen, wo eine realistische Einschätzung für einzelne Kinder nur schwer möglich ist. Unabhängig von ihrer Beeinträchtigung entwickeln sich Kinder immer und dazu müssen wir ihnen auch die Chance geben!“

Eine wichtige Anlaufstelle für Familien mit Kindern mit Stoffwechselerkrankungen, Ernährungs- und Entwicklungsstörungen ist auch das young.hope Forschungszentrum der Salzburger Universitätsklinik (E-Mail: younghope@salk.at).

Das Beispiel von Familie Hopf zeigt zudem, dass auch die Situation gesunder Geschwister von Kindern mit schweren seltenen Erkrankungen eine besondere ist. Bei Felix älterer Schwester Sophia zeigten sich emotionale Belastungen durch die vielen Krankenhausaufenthalte von Mama und Bruder. „Wir versuchen möglichst viel Zeit gemeinsam als Familie verbringen. Einen Nachmittag pro Woche widmet sich meine Frau ausschließlich Felix' Schwester“, erzählt Hopf.

Möglich wird die Betreuung und Pflege von Felix dank der Familien-Hospiz-Karenz und der Unterstützung durch einen externen Pflegedienst. Peter Hopf selbst bekam durch das Verständnis seines Arbeitgebers in der Logistikbranche die Möglichkeit zu einem Abteilungswechsel mit mehr Flexibilität.

Fakten-Check: Wiedemann-Steiner-Syndrom

Das Wiedemann-Steiner-Syndrom (WSS) ist eine seltene, genetisch bedingte Krankheit, die Kinder von Geburt an betrifft und erst 1989 beschrieben wurde.

Typisch sind neben Entwicklungsverzögerungen besondere körperliche Merkmale im Gesicht (lange Wimpern oder dichte zusammengewachsene Augenbrauen) und auch auffällig starkes Haarwachstum etwa an den Ellenbogen. Die zugrunde liegenden Mutationen im KMT2A-Gen wirkt sich auf Histone aus, die die „Verpackung“ der DNA im Zellkern mitbestimmen.

Neben Kleinwuchs der betroffenen Kinder bedeuten Schwierigkeiten beim Essen oder – so wie bei Felix – bei der Atmung vor allem in den ersten Lebensjahren eine besondere Herausforderung für die Betreuung der Kinder. Über den Verlauf der Erkrankung im Erwachsenenalter gibt es bislang erst wenige Informationen. In Österreich sind bislang sieben Kinder mit Wiedemann-Steiner-Syndrom bekannt, weltweit rund 800.

Felix Eltern, Christina und Peter Hopf, sind derzeit dabei eine Selbsthilfegruppe für das Wiedemann-Steiner-Syndrom in Österreich zu gründen. Sie sind zudem bei Pro Rare Austria als Ansprechpartner gelistet. Auf ihrem Instagram-Kanal „WSS Warrior“ geben sie Einblicke in ihr Leben. Damit möchten sie auf das seltene Syndrom aufmerksam machen und andere Betroffene ermutigen.