Gluten bei Reizdarmsyndrom: Starker Nocebo-Effekt
Viele Patienten mit Reizdarmsyndrom führen ihre Beschwerden auf gluten- oder weizenhaltige Lebensmittel zurück. Kanadische Wissenschaftler prüften nun in einer kleinen Kohorte, ob diese Annahme zutrifft.

Frühere Studien zeigen, dass Placebo- und Nocebo-Effekte bei Patienten mit Reizdarmsyndrom (irritable bowel syndrome, IBS) stark ausgeprägt sind. Diese Effekte hängen stark von der Erwartungshaltung ab. Viele Betroffene glauben, dass Gluten oder Weizen ihre Symptome auslöst, und halten strenge Diäten ein, ohne eine Unverträglichkeit abgeklärt zu haben.
Ein Team um Dr. Caroline Seiler von der McMaster University in Hamilton, Kanada, untersuchte in einer randomisierten, doppelblinden, scheinkontrollierten Crossover-Studie (1), ob tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Weizen- oder Glutenaufnahme und IBS-Beschwerden besteht oder ob Erwartungen und Überzeugungen die Symptome verschlimmern.
Eingeschlossen wurden 29 Erwachsene, die die Rom-IV-Kriterien für Reizdarmsyndrom erfüllten und subjektiv von einer glutenfreien Ernährung profitiert hatten.
Gluten- und weizenfreie Schein-Challenge
Die Teilnehmer durchliefen in zufälliger Reihenfolge drei einwöchige "Diät-Challenges":
- Weizen-Challenge: Müsliriegel mit Vollkornmehl und Gluten
- Gluten-Challenge: Müsliriegel mit gereinigtem Gluten
- Schein-Challenge: gluten- und weizenfreie Müsliriegel
Die Müsliriegel waren in Bezug auf Aussehen, Geschmack und Geruch nicht voneinander zu unterscheiden. Zwischen den Phasen lagen 14-tägige Auswaschperioden.
Der primäre Endpunkt war eine klinisch relevante Verschlechterung der Symptome um mindestens 50 Punkte im IBS Symptom Severity Score (IBS-SSS) nach der jeweiligen Challenge.
Sekundäre Endpunkte umfassten:
- allgemeine gastrointestinale Symptome (Diarrhö, Obstipation, Schmerzen und Blähungen),
- das Fortbestehen von IBS-Symptomen nach dem Ende der Challenges,
- gastrointestinale Transitzeiten und
- die Adhärenz zum Studienprotokoll (gemessen an Gluten-immunogenen Peptiden im Stuhl).
Die Wissenschaftler prüften auch, ob sich die Überzeugungen und Beschwerden durch die Ergebnisse ändern ließen.
Verschlechterung auch nach Schein-Challenge
Von 29 Teilnehmern schlossen 28 die Studie ab, überwiegend Frauen (93%). Zwei Teilnehmer hatten Anti-Gliadin-Antikörper (>20U/ml) im Blut. Zwölf von 25 Getesteten wiesen einen "HLA DQ2/DQ8"-Genotyp auf. Die meisten hatten bereits über längere Zeit eine glutenfreie Diät eingehalten. Trotzdem erhielten alle Teilnehmer ein professionelles Training für eine glutenfreie Diät.
Rund 39% der Patienten mit Reizdarmsyndrom berichteten über eine deutliche Zunahme der Symptome unter der Weizen-Challenge (gemessen anhand des IBS-SSS), 36% unter der Gluten-Challenge – aber auch 29% unter der Schein-Challenge. Auch bei sekundären Endpunkten wie Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall oder Obstipation zeigten sich keine signifikanten Unterschiede.
Die hohe Rate an Symptomverschlechterungen unter der Schein-Challenge deutet auf einen ausgeprägten Nocebo-Effekt hin. Patienten erwarteten Beschwerden nach dem Verzehr der Testprodukte und erlebten diese unabhängig vom tatsächlichen Inhalt. Erwartungshaltungen scheinen somit ein entscheidender Faktor bei der Symptomwahrnehmung zu sein.
Bemerkenswert ist, dass die meisten Betroffenen auch nach der Studie und nach der Offenlegung der individuellen Ergebnisse an einer glutenfreien Ernährung festhielten. Selbst Teilnehmer, die nachweislich weder auf Gluten noch auf Weizen reagierten, änderten ihr Verhalten kaum. Dies zeigt, dass Überzeugungen und subjektive Erfahrungen mehr Gewicht haben als objektive wissenschaftliche Befunde.
Nur etwa ein Drittel befolgte das Protokoll
Während Selbstauskünfte nahelegten, dass fast alle Teilnehmer die Vorgaben korrekt einhielten, zeigten objektive Analysen (GIPs in den Stuhlproben) deutliche Abweichungen. Nur etwa ein Drittel erfüllte die Vorgaben vollständig. Einige konsumierten die Testprodukte nicht regelmäßig, andere nahmen außerhalb der Studie glutenhaltige Nahrungsmittel zu sich. Diese Diskrepanz verdeutlicht die Bedeutung objektiver Marker zur Beurteilung der Protokolltreue in Ernährungsstudien.
Da nur eine Subgruppe tatsächlich empfindlich auf Gluten oder Weizen reagierte, ergibt sich für die klinische Praxis, dass beim Reizdarmsyndrom eine strikte gluten- oder weizenfreie Diät nicht pauschal empfohlen werden sollte. Vielmehr ist es sinnvoll, die tatsächliche individuelle Reaktion sorgfältig zu prüfen, unnötige Restriktionen zu vermeiden und Patienten bei der Auseinandersetzung mit ihren Erwartungen und Überzeugungen zu unterstützen. Psychologische Begleitung könnte helfen, Nocebo-Effekte zu reduzieren und ein ausgewogeneres Ernährungsverhalten zu fördern.
- Seiler LS et al. Effect of gluten and wheat on symptoms and behaviours in adults with irritable bowel syndrome: a single-centre, randomised, double-blind, sham-controlled crossover trial. Lancet Gastroenterol Hepatol. 2025; 10: 794–805. doi: 10.1016/S2468-1253(25)00090-1
