Neurodegenerative Erkrankungen früh erkennen
Werden neurodegenerative Erkrankungen anhand der Klinik diagnostiziert, so werden diese Krankheiten unweigerlich erst spät im Verlauf erkannt. Diagnostik anhand von Biomarkern kann diesen Prozess um Jahre beschleunigen. Während biologische Krankheitsdefinitionen bei Morbus Alzheimer bereits in der Klinik angekommen sind, befindet man sich bei Morbus Parkinson noch im Forschungsstadium, berichtet Prof. Dr. Günter Höglinger von der Ludwig-Maximilians-Universität München im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie.

Eine Vielzahl neurodegenerativer Erkrankungen entsteht durch die Aggregation körpereigener Proteine.
Hinter diesen Prozessen können unterschiedliche Ursachen wie zum Beispiel genetisch bedingte, pathologische Varianten dieser Proteine oder chemische Noxen wie Pestizide stehen, erläutert Prof. Dr. Günter Höglinger von der Ludwig-Maximilians-Universität München.*
Die Aggregation verläuft in einer Kettenreaktion, die zur Akkumulation der Protein-Aggregate und damit schließlich zur Schädigung der betroffenen Gewebe führt.
Solche Prozesse stehen hinter häufigen Krankheiten wie Morbus Alzheimer, aber auch seltenen Zustandsbildern wie dem Morbus Huntingdon.
Alle diese Erkrankungen äußern sich in Bewegungsstörungen auf der einen und neurokognitiven Störungen auf der anderen Seite. Mögliche Symptome sind Akinese, Chorea, Dystonie und Ataxie sowie Amnesie, Apraxie, Dysinhibition, Apathie und Aphasie. Die konkreten Ausprägungen hängen vom jeweiligen Syndrom und damit von den Prädilektionsorten im Gehirn, also den betroffenen Hirnarealen, ab.
Die Klassifikation ist in Bewegung
Allerdings bewegt sich die Wissenschaft aktuell weg von einer Einteilung anhand klinischer Syndrome, hin zu einer Klassifikation anhand der zugrundeliegenden biologischen Veränderungen. So können beispielsweise Morbus Parkinson, die Multisystem-Atrophie und die Demenz mit Lewy-Körperchen als Synukleinopathien zusammengefasst werden, da ihnen die Aggregation von a-Synuklein zugrunde liegt. Die kortikobasale Degeneration und die progressive supranukleäre Paralyse zählt man hingegen zu den Tauopathien.
Alle diese klinischen Entitäten unterscheiden sich auch hinsichtlich des histologischen Bildes sowie der Art der pathologischen Proteinfaltung und der Morphologie der Aggregate. Ein und dasselbe Protein kann dabei in verschiedenen Geweben Probleme verursachen. Es bestehe nun die Hoffnung, dass ein Verständnis dieser Krankheiten von der Basis her auch zu Therapien führen werde, die an diesen grundlegenden Prozessen ansetzen und beispielsweise die Protein-Aggregation unterbinden, erläutert Prof. Höglinger. Interventionen, die sich mehr an der Struktur der Moleküle als an der Klinik orientieren, können den Weg zu individualisierten und idealerweise krankheitsmodifizierenden Therapien weisen.
Späte Diagnose
Dabei ist auch der zeitliche Verlauf von Bedeutung, denn das Gehirn verfüge über eine „große Resilienz“, so Prof. Höglinger. In der Folge würden neurodegenerative Erkrankungen erst spät im Krankheitsverlauf diagnostiziert, was dem Umstand geschuldet sei, dass Diagnosen nach wie vor anhand klinischer Symptome und nicht anhand der zugrundeliegenden biologischen Veränderungen erfolgen. Typisch für die genannten Syndrome sind lange präklinische und Prodromalphasen, in denen die Neurodegeneration bereits in Gange ist.
Im Falle des Morbus Parkinson dauert diese Prodromalphase mehr als 10 Jahre, ehe eine klinisch manifeste Parkinson-Erkrankung diagnostizierbar ist. In allen diesen Phasen können bestimmte Biomarker nachweisbar sein. Schon vor Beginn der Neurodegeneration können dies genetische oder Umweltfaktoren sein. Auch eine Hyperechogenität der Substantia nigra weist auf ein massiv erhöhtes individuelles Parkinson-Risiko hin.
Auffälligkeiten in der Prodromalphase bei Morbus Parkinson
In der präklinischen Phase werden mehrere potenzielle Marker in Blut und Liquor beforscht, eine Validierung steht allerdings noch aus. In der Prodromalphase finden sich schließlich manifeste klinische Auffälligkeiten wie Störungen des REM-Schlafes, autonome und olfaktorische Dysfunktion, Depression, Somnolenz und vieles mehr. Auch leichte Motor-Zeichen können in dieser Phase der Erkrankung bereits vorhanden sein.
Diese Symptome erlauben in Kombination mit bekannten Risikofaktoren (Genetik, Pestizidexposition) eine Abschätzung der Wahrscheinlichkeit einer klinischen Parkinson-Erkrankung.1 Dessen ungeachtet erfordert die klinische Parkinson-Diagnose nach wie vor das Leitsymptom Bradykinesie in Verbindung mit Tremor oder Rigor.2
Biomarker mit einer so hohen Aussagekraft, dass sie eine Diagnose und Behandlung bereits vor der klinischen Diagnose erlauben, wären wünschenswert, so Prof. Höglinger. Intensive Forschung zu dieser Fragestellung ist im Laufen. Eine Reihe von Kriterien für die prodromale Parkinson-Krankheit ist mittlerweile publiziert, die Autoren betonen jedoch, dass diese Kriterien mangels krankheitsmodifizierender Therapien derzeit nur in der Forschung Anwendung finden sollten.3
Auf dem Weg zu einer neuen Definition des Morbus Parkinson
Mittlerweile wurde mit dem SynNeurGe-Konzept versucht, Biomarker-basierte Diagnosekriterien für den Morbus Parkinson zu entwickeln, die derzeit jedoch erst für Forschungszwecke empfohlen werden.4 Prof. Höglinger äußert jedoch die Hoffnung, dass auf diesem Weg Fortschritte nicht nur in der Diagnostik ermöglicht, sondern auch die Entwicklung medikamentöser Therapien ermöglicht, die ursächlich und früh in den Krankheitsprozess eingreifen.
Dem neuen Konzept liegt ein Drei-Säulen-Modell mit den Säulen a-Synuklein, Neurodegeneration und Genetik (SynNeurGe) zugrunde. Diese neue Klassifikation beruht auf den Komponenten
- Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein von pathologischem a-Synuklein in Gewebe oder Liquor,
- Hinweise auf Neurodegeneration in der Bildgebung und
- Dokumentation pathogener Gen-Varianten, die stark mit Parkinson assoziiert sind
Diese drei Komponenten werden mit einer klinischen Komponente in Verbindung gebracht, die entweder durch ein hochspezifisches klinisches Zeichen oder mehrere klinische Zeichen mit geringerer Spezifität definiert sein kann.
Mittels a-Synuclein Seed Amplification Assays (SAA) ist der Nachweis von pathologischem a-Synuklein heute mit relativ geringem Aufwand möglich – und das bereits im präklinischen Stadium von Morbus Parkinson und anderen Synukleinopathien.5
Mit derartigen Tests lassen sich klinisch relevante Aussagen treffen. So ist es möglich, durch quantitative Bestimmung von a-Synuklein Oligomeren und Neurofilament-Leichtketten Personen zu identifizieren, bei denen sich aus einem Bradbury-Egglestone-Syndrom (Pure Autonomic Failure – PAF) eine Multisystem-Atrophie entwickeln wird.6 In einer Population von Menschen mit isolierter REM-Schlafstörung erwies sich a-Synuklein als Prädiktor einer Konversion zu Morbus Parkinson oder Demenz mit Lewy-Körperchen.7
Eine Metaanalyse von 36 Studien mit mehr als 2.000 Teilnehmenden fand schließlich für die SAA in der Diagnostik von Morbus Parkinson und anderen Synukleinopathien eine Sensitivität von 0,88 bei einer Sensitivität von 0,95.8
Diagnose von Morbus Alzheimer mithilfe mehrerer Biomarker
Im Falle des Morbus Alzheimer sind mittlerweile mehrere Biomarker bekannt, die bereits lange vor der klinischen Manifestation auffällig werden. Amyloid-beta 42 (Ab42) ist als frühester Marker in Liquor und Plasma reduziert, da es im Gehirn akkumuliert und folglich nicht ausgeschieden wird. In der Folge wird vermehrtes Amyloid im Gehirn in der Positronenemissions-Tomografie sichtbar.
Etwas später im zeitlichen Verlauf beginnt sich die Tau-Pathologie durch P-tau in Liquor und Plasma sowie etwas später in der PET zu manifestieren. Schließlich kommt es zu einer in der Bildgebung nachweisbaren Atrophie des Gehirns, die sich letztlich auch im kognitiven Abbau äußert.9 Prof. Höglinger: „Das heißt, wir haben jetzt die Möglichkeit, die Patientinnen und Patienten in einem relativ großen Zeitfenster zu identifizieren. Und das hat mittlerweile auch seinen Niederschlag in der Klinik gefunden.“
Das National Institute on Aging und die Alzheimer’s Association gelangten in einer gemeinsamen Publikation zu dem Ergebnis, dass der Morbus Alzheimer sich durch neuropathologische Veränderungen definiert und nicht durch das klinische Bild. Daher muss die Diagnose entweder post mortem erfolgen oder anhand von Biomarkern, die diese Veränderungen anzeigen.10 Diese Arbeit mündete schließlich in die „Revised criteria for diagnosis and staging of Alzheimer’s disease“ der Alzheimer’s Association Workgroup.11
Prof. Höglinger betont, dass damit der Schritt von Empfehlungen für die Forschung zu Diagnosekriterien für die Klinik getan wurde. Morbus Alzheimer wird heute anhand von Amyloid und Tau als Laborbiomarker oder in der Bildgebung diagnostiziert. Zusätzlich werden mehrere nicht-spezifische Biomarker berücksichtigt.
*Quelle: Vortrag im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN), Innsbruck, 12.–14.3.25
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