16. Juni 2025Von Finger bis E-Nase

Prostatakarzinom-Screening gezielt einsetzen

Das Prostatakarzinom-Screening ist essenziell zur Früherkennung. Um Überdiagnosen und -therapien zu vermeiden, sollte es jedoch gezielt angewendet werden, sagt Prof. Dr. Daniel Eberli, Universitätsspital Zürich, am europäischen Urologie-Kongress EAU 2025. Die digitale rektale Untersuchung sei laut Studiendaten ineffektiv und schrecke viele Männer ab.

Ärzte beraten junge Männer über Prostatakrebs und Geschlechtskrankheiten, einschließlich sexueller Funktionsstörungen.
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Das Prostatakarzinom zählt bekanntlich zu den häufigsten Tumorerkrankungen bei Männern. Die Inzidenz variiert jedoch stark je nach geografischer Region, ethnischer Herkunft und genetischer Veranlagung. In asiatischen Ländern sind die Raten an Neudiagnosen deutlich niedriger. Männer afrikanischer Herkunft sind hingegen bis zu dreimal häufiger betroffen und zeigen zudem aggressivere Verlaufsformen.

Dies liegt unter anderem an der unterschiedlichen Verbreitung begünstigender Mutationen, erklärt Prof. Eberli am EAU-Kongress. Eine BRCA2-Mutation erhöht das Risiko um das Achtfache. Auf der Insel Martinique, einem Hotspot für das Prostatakarzinom, ist durch die Verbreitung der HOXB13-Mutation etwa jeder vierte Mann betroffen.

Genetische Tests: Beratung ist Pflicht

Mutationen in Genen wie BRCA2, HOXB13, ATM, CHEK2 oder den Mismatch-Repair-Genen MSH2, MSH6, MLH1 und PMS2 schaffen eine starke Prädisposition. Im testbaren Keimzellbereich liegt die Prävalenz solcher Mutationen jedoch nur bei vier bis fünf Prozent der Patienten mit Prostatakarzinom. Trotzdem empfiehlt Prof. Eberli ein breites genomisches Testen aller möglichen Mutationen bei allen Betroffenen. Nationale Leitlinien und hohe Kosten verhindern jedoch oft die Umsetzung.

Prof. Eberli warnt zudem vor den Konsequenzen eines positiven Ergebnisses. In vielen Ländern erhalten Patienten mit einer BRCA2-Mutation keine Lebens- oder Zusatzversicherung mehr. Er empfiehlt daher, vor der genetischen Beratung eine entsprechende Schulung zu absolvieren." Da das Prostatakarzinom so häufig ist, hat jede auch noch so kleine gute Entscheidung eine durschlagende Wirkung", sagt Prof. Eberli. Beim Screening auf Prostatakarzinome gibt es jedoch immer eine Gratwanderung zwischen Verbesserung des Überlebens und Überbehandlung.

Die Einführung des PSA-Screenings in den USA führte zu einer sprunghaften Zunahme diagnostizierter Fälle bei gleichzeitig leichtem Rückgang der Mortalität. Der Preis waren Überdiagnosen und unnötige Behandlungen bei indolenten Tumoren. Auch die europäische Screeningstudie (2) zeigte nach 17 Jahren eine Verbesserung des Überlebens um 20 Prozent, aber auch eine Überbehandlung von niedrig-gradigen Tumoren.

Kein Screening ist auch keine Option

In den USA wird derzeit nicht mehr pauschal gescreent, unter anderem aufgrund der Ergebnisse der PCLO-Studie (3). Prof. Eberli kritisiert dies: "Die PLCO-Studie hat uns in eine falsche Richtung gelenkt. Wenn man sie genau liest, erkennt man: Sie war methodisch nicht sauber." Denn was als Vergleich zwischen gescreenter und nicht gescreenter Gruppe geplant war, ging in der Realität nicht auf: Viele Männer in der Kontrollgruppe erhielten dennoch PSA-Tests, meist beim Hausarzt. "Das ist der Grund, warum es in den USA wieder mehr metastasierte Patienten gibt – auch die Mortalität ist gestiegen", so Eberli.

Kein Screening ist also auch keine Option, so das Fazit des Experten. „Stattdessen müssen wir smarter screenen. “ Prof. Eberli empfiehlt ein risikoadaptiertes Vorgehen. Demnach sollte die erste PSA-Messung im Alter von 50 Jahren erfolgen, bei genetischer Belastung oder afrikanischer Abstammung bereits ab 45. Bei niedrigen Werten (<1ng/ml) reicht in der Folge eine Kontrolle alle fünf Jahre aus. Ab 60 Jahren mit weiterhin niedrigem PSA kann auf weitere Tests verzichtet werden. "Die Wahrscheinlichkeit, dass so jemand noch ein Prostatakarzinom entwickelt, ist sehr gering", ist Eberli überzeugt.

Die digitale rektale Untersuchung schreckt Patienten ab

Weltweit gilt die digitale rektale Untersuchung (DRU) immer noch als einfach zugängliche Screening-Methode. Prof. Eberli stellt ihren Nutzen infrage: „Unsere Finger helfen kaum bei der Früherkennung, schrecken aber viele Männer vom Arztbesuch ab.“ Seine Kritik untermauert er mit Studiendaten.

In der deutschen PROBASE-Studie (4), die ein risikoadaptiertes PSA-Screening mit einer digitalen rektalen Untersuchung (DRU) verglich, unterzogen sich 6.537 Männer im Alter von 45 Jahren einer DRU. Das Ergebnis: 57 auffällige Befunde, aber nur zwei bestätigte Prostatakarzinome, beide mit einem ISUP-Grad 1 (Gleason 3+3) und damit klinisch wenig relevant.

Eine Studie aus New York (5) befragte Männer zur Bereitschaft, sich einem Screening zu unterziehen: 100 Prozent waren dazu bereit, wenn nur ein PSA-Test durchgeführt würde, aber nur 78 Prozent, wenn zusätzlich eine DRU vorgesehen war.

Die Kombination aus DRU und PSA bot in einer großen Metaanalyse (6) aus dem Jahr 2024 keinen signifikanten Zusatznutzen.

Eberlis Fazit: „Wir müssen gesunde Männer gesund halten. Wer kein Risiko zeigt, soll schnell wieder beruhigt nach Hause geschickt werden. Nur die wirklich gefährdeten Patienten müssen wir gezielt abklären.“ Dabei hilft ein smarter Einsatz moderner Diagnostik – ohne Angst und Übertherapie.

Die Zukunft der Früherkennung

Prof. Eberli sieht nicht-invasive Methoden wie die Geruchsanalyse (E-Nase) als zukunftsweisend. Hunde können das Prostatakarzinom in seinen Anfängen „erschnüffeln“. Auf diesem Prinzip basiert auch die elektronische Erkennung von flüchtigen Substanzen, die Personen mit Prostatakarzinomen im Frühstadium ausscheiden.

Auch kombinierte Tests, die genetische Marker, Proteine und klinische Parameter einbeziehen, könnten künftig breiter zum Einsatz kommen. Ein Beispiel ist der Stockholm3-Test, der aggressive Karzinome präziser identifizieren kann als der PSA-Wert allein, allerdings zu wesentlich höheren Kosten.