16. Apr. 2025Was nährt uns – was zerstört uns?

Hochverarbeitete Lebensmittel (UPFs): Ein unterschätztes Gesundheitsrisiko?

Hochverarbeitete Lebensmittel (Ultra-Processed Foods; UPFs) sind aus der heutigen Ernährung kaum mehr wegzudenken – mit zunehmender Relevanz für die gesundheitliche Entwicklung der Bevölkerung. Aktuelle Studien belegen zunehmend den Zusammenhang zwischen UPF-Konsum und der Entstehung chronischer Erkrankungen. Welche Schlüsse lassen sich daraus für den medizinischen Alltag ziehen?

Hochverarbeitete Lebensmittel (UPF) sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken.
Maria Thomazi/stock.adobe.com

Die moderne Lebensmittelproduktion ist geprägt von Innovation, Effizienz und Globalisierung – und hat gleichzeitig zu einem grundlegenden Wandel unserer Ernährung geführt. Hochverarbeitete Lebensmittel (Ultra-Processed Foods, UPFs) sind heute in den Supermarktregalen omnipräsent.

Ihr günstiger Preis, ihre lange Haltbarkeit und ihr intensiver Geschmack machen UPFs attraktiv – doch mit einem hohen gesundheitlichen Preis.

Was sind hochverarbeitete Lebensmittel?

Die NOVA-Klassifikation, entwickelt von Carlos Monteiro im Jahr 2010 (1), teilt Lebensmittel nach dem Grad ihrer industriellen Verarbeitung ein. UPFs sind Produkte, die mehrere Verarbeitungsschritte durchlaufen und zahlreiche Zusatzstoffe enthalten, die in der privaten Küche nicht verwendet werden.

Dazu gehören

  • Emulgatoren,
  • Stabilisatoren,
  • Verdickungsmittel,
  • Farbstoffe,
  • künstliche Aromen und
  • Konservierungsmittel.

UPFs entstehen durch komplexe industrielle Verfahren wie Emulgieren, Pasteurisation, Sterilisation, Rösten, Frittieren, Backofen- oder Walzentrocknung und Texturierung. Die Verarbeitung zielt nicht primär auf die Verbesserung der Nährstoffdichte, sondern auf verlängerte Haltbarkeit, ansprechende Optik und vor allem eine möglichst hohe Attraktivität für Konsument:innen.

Ein zentrales Konzept in diesem Zusammenhang ist dabei der sogenannte „Bliss Point“, geprägt von Howard Moskowitz (2). Dieser bezeichnet die optimale Kombination von Zucker, Fett und Salz, die das Belohnungssystem maximal aktiviert. Solche Lebensmittel sind nicht nur geschmacklich besonders ansprechend, sondern steigern die Wahrscheinlichkeit von übermäßigem Konsum durch neurobiologisch bedingte Wiederverzehrmechanismen.

Hyper-palatable Foods: Verfügbarkeit und Reformulierungen

Die zunehmende Verfügbarkeit solcher hyper-palatable Foods (HPFs) trägt wesentlich zur Verschiebung unserer Ernährungsgewohnheiten bei. Eine Studie aus dem Jahr 2023 analysierte die US-amerikanische Lebensmittelumgebung zwischen 1988 und 2018 (3). Der Anteil an HPFs stieg von 49 auf 69 Prozent. Besonders stark nahm die Anzahl von Produkten mit hohem Fett- und Natriumgehalt zu – ein Anstieg um 17 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Lebensmittel als HPF klassifiziert wurde, hat sich im Untersuchungszeitraum vervierfacht.

Diese Entwicklung wird durch gezielte Lebensmittelreformulierungen verstärkt. Hersteller passen bestehende Produkte regelmäßig an, um Geschmack, Textur und sensorische Eigenschaften zu optimieren – nicht selten unter dem Deckmantel von Begriffen wie „Clean Labeling“, „Upcycling“, „Storytelling“ oder „Greenwashing“. Solche Marketingstrategien verschleiern oft die Tatsache, dass die gesundheitliche Qualität des Produkts nicht verbessert wurde.

Gesundheitliche Auswirkungen von UPFs: Evidenz aus aktuellen Studien

Ein signifikanter Zusammenhang zwischen UPF-Konsum und chronischer Morbidität ist mittlerweile wissenschaftlich belegt. Eine multinationale Kohortenstudie aus dem Jahr 2023, publiziert in Lancet Regional Health Europe (4), analysierte die Daten von 266.666 Proband:innen aus sieben europäischen Ländern über einen Zeitraum von 11,2 Jahren. Die Teilnehmer:innen waren zu Studienbeginn frei von Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes.

Die Ergebnisse zeigen eine statistisch signifikante Assoziation zwischen einem hohen Konsum von UPFs und dem Risiko für eine gleichzeitige Erkrankung an Krebs und kardiometabolischen Erkrankungen. Die Risikosteigerung betrug durchschnittlich neun Prozent, wobei insbesondere folgende Kategorien als kritisch identifiziert wurden:

  • Tierische UPFs (z. B. verarbeitetes Fleisch, Fertigprodukte auf Milchbasis): +9% Risiko
  • Künstlich und zuckerhaltig gesüßte Getränke: +9% Risiko

Im Gegensatz dazu zeigten hochverarbeitete Brote und Cerealien sowie pflanzliche UPF-Alternativen kein signifikant erhöhtes Risiko (−3 %).

Zusätzlich begünstigen UPFs durch ihren hohen glykämischen Index und schnellen Blutzuckeranstieg einen circulus vitiosus aus kurzfristiger Sättigung, rapider Hypoglykämie und erneutem Hungergefühl. Hierbei spielt das Hormon Ghrelin, wie von Studien in Current Biology gezeigt, eine zentrale Rolle in der neuroendokrinen Steuerung des Appetits (5).

Konsequenzen für die ärztliche Praxis

Die wachsende Evidenzlage macht deutlich: Hochverarbeitete Lebensmittel stellen ein ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko dar. In der ärztlichen Praxis sind daher gezielte Präventions- und Interventionsstrategien gefragt. Folgende Maßnahmen sind besonders effektiv:

  • Ernährungsberatung im klinischen Alltag: Frühzeitige Zuweisung an Diätolog:innen oder Ernährungsmediziner:innen.
  • Patientenaufklärung: Wissenschaftlich fundierte Informationen (z. B. über die DGE) verständlich und praxisnah vermitteln.
  • Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Integration psychologischer Unterstützung, v. a. bei starkem emotionalem Essverhalten.
  • Gesundheitspolitische Maßnahmen: Unterstützung evidenzbasierter Maßnahmen wie Werbebeschränkungen, Zuckersteuer oder klarere Lebensmittelkennzeichnung.

Ziel muss es sein, UPFs nicht nur als individuelles Ernährungsproblem, sondern als systemische Herausforderung für das öffentliche Gesundheitswesen zu erkennen.

Fazit

Hochverarbeitete Lebensmittel haben sich still und leise als treibende Kraft hinter der Entstehung zahlreicher Zivilisationserkrankungen etabliert. Ihre hyper-palatable Beschaffenheit, hohe Energiedichte und aggressive Vermarktung führen zu übermäßigem Konsum mit weitreichenden Folgen für metabolische Gesundheit, Krebsrisiko und gesellschaftliche Krankheitslast.

Ärztinnen und Ärzte sind gefordert, im klinischen Alltag gezielt aufzuklären und zu intervenieren. Der verantwortungsvolle Umgang mit UPFs muss zu einem integralen Bestandteil präventiver und therapeutischer Medizin werden.

Dr. Nina Wolf-Brenner ist Fachärztin für innere Medizin mit Schwerpunkt Ernährungsmedizin am PRO Kompetenzzentrum für Gesundheit in Graz